Landeshauptstadt: Vom preußischen Planspiel zur Monsterschlacht
Ein kleiner Laden am Platz der Einheit ist das Zentrum für „Tabletop“-Rollenspieler in Potsdam. Ein Besuch
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Große Schlachten zwischen Orks, Menschen und Zwergen finden längst nicht nur auf der Kinoleinwand statt: Wer will, kann mit Horden von selbstgebastelten, handbemalten Miniatur-Fantasy-Figuren auf detaillierten Modellspielfeldern Krieg spielen. Und zwar nach strengen Regeln. „Tabletop“ – zu deutsch „Tischplatte“ – heißt dieses in Deutschland noch wenig bekannte Hobby, dessen weltweit größter Anbieter das britische Unternehmen „Games Workshop“ ist.
Auch in Potsdam gibt es eine kleine wachsende Tabletop-Fangemeinde, für welche die kleine Filiale von „Games Workshop“ am Platz der Einheit – die einzige in Brandenburg – eine wichtige Anlaufstelle ist: Die Wände sind bis an die Decke gefüllt mit sorgfältig geordneten Figuren-Bausätzen diverser Spielsysteme, in der Mitte stehen mehrere Spieltische mit Miniatur-Landschaften, im Hintergrund läuft der Soundtrack von „Herr der Ringe“. Ein junger Mann betritt das Geschäft, Ladenleiter Eugen Wenzel tritt sogleich auf ihn zu: „Na, wie weit bist du mit deinen Echsenmenschen?“ – „Naja, ich hatte in letzter Zeit nicht so viel Zeit zum Pinseln “ Man kennt sich, die Szene ist klein, Mundpropaganda ersetzt Werbung.
Wenzel führt die seit 2009 bestehende Filiale seit 2013. Wer überhaupt nicht weiß, was Tabletop ist, dem gibt der 27-Jährige gerne einen kostenlosen Crashkurs inklusive Figuren-Bemalen und kurzer Testpartie: „Tabletop lässt sich am besten beschreiben als eine Kombination aus Modellbau, Schach und dem Strategiespiel ,Risiko’.“ Sprich: Bevor es losgeht, müssen die trotz ihres martialischen Äußeren sehr filigranen und nur wenige Zentimeter großen Plastikfiguren, die im Spiel über verschiedene Punktewerte verfügen, zusammengeklebt und bemalt werden. Hat man ein paar zusammen, kann man gegen andere Spieler Kämpfe zwischen den Mini-Kriegern ausfechten, zum Beispiel im weltweit beliebtesten Spielsystem „Warhammer“. Die zum Teil hochkomplexen Regelsysteme versuchen dabei auch Dinge wie Ausrüstung, Vor- und Nachteile des jeweiligen Geländes oder die Truppenmoral in Zahlenwerte zu übersetzen. Zwischen einer und drei Stunden kann so eine Partie dauern.
Viele Stammkunden kommen regelmäßig in den „Games Workshop“ zum Basteln und Spielen, denn nur die wenigsten haben eigene Modelllandschaften im Hobbykeller aufgebaut. „Die meisten benutzen dazu den Fußboden und markieren die Grenzen“, sagt Wenzel. Da es kein Spielfeld-Raster wie beim Schach gibt, werden die ausgewürfelten Bewegungen und Angriffe mit kleinen Zollstöcken und Linealen ausgemessen. „Kein Spiel läuft gleich ab“, sagt Wenzel über den Reiz von Tabletop. „Und es ist einfach cool, so eine Masse an Modellen zu befehligen und Strategien zu entwickeln.“
Im Prinzip kehrt mit Spielen wie „Warhammer“ eine alte Tradition nach Brandenburg zurück, denn heutige Tabletop-Spiele sind lediglich eine Weiterentwicklung der Kriegsspiele, die vom preußischen General Georg Leopold von Reiswitz erfunden wurden: Mit diesen Tisch-Kriegssimulationen wollte von Reiswitz ursprünglich nur die strategischen Fähigkeiten von Offizieren schulen. 1812 stellte er seine Erfindung Kaiser Friedrich Wilhelm III. in Sanssouci vor, der schnell Gefallen an dem Spiel fand und ihm quasi zum Durchbruch verhalf. In Folge wurde das Kriegsspiel, das zuvor für einen rein militärischen Zweck geschaffen worden war, auch zu einem Gesellschaftsspiel, und damit zur Grundlage etlicher Strategiespiele.
Heutzutage sind neben historischen Tabletop-Szenarien – die Spanne reicht von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg – vor allem fiktive Fantasy- und Science-Fiction-Szenarien beliebt. Zum Beispiel steht im Potsdamer „Games Workshop“-Laden auch ein „Der Hobbit“-Tabletop. Die Altersspanne der Potsdamer Spieler reicht von acht bis 70 Jahren, erzählt Wenzel: „Besonders Eltern sind immer wieder sehr begeistert von Tabletop. Durch Fernseher und Computer verbringen Kinder heutzutage ja acht Stunden am Bildschirm; da ist man froh, wenn es auch mal so was macht, wo es ums Ausschneiden, Kleben und Bemalen geht.“
Zwar sind viele Tabletop-Spieler männlich, doch es gebe auch viele Frauen, so Wenzel: „Frauen spielen meist weniger, bemalen aber gerne.“ Gelegentlich kommen sogar Modelleisenbahner in seinen Laden, so Wenzel, hauptsächlich wegen der großen Auswahl von über 150 Farben, die der „Games Workshop“ zum Bemalen verkauft.
Auch wenn es zunächst aufwendig klingt und einzelne Figuren bis zu über hundert Euro kosten können: Tabletop sei nicht zeit- und kostenintensiver als andere Hobbys auch, sagt Wenzel: „Und welches Hobby kostet kein Geld?“ Rund um die verschiedenen Spielsysteme gibt es umfangreiche Hintergrundstorys und sogar Romane, einige Systeme wurden auch für Computerspiele adaptiert. „Derzeit ist Tabletop noch ein Nischenmarkt in Deutschland, doch er wächst langsam“, meint Wenzel. Bis Tabletop hierzulande so populär ist wie in England, dürfte es allerdings noch ein Weilchen dauern: „Da kennt das jeder - ich glaube, fast jeder zweite Engländer spielt ‚Warhammer’.“
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