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Ausgezeichnet vom Bundespräsidenten. Die Vietnamesin Hai Bluhm ist seit fast 40 Jahren in Deutschland, sie kümmert sich in Potsdam und ganz Brandenburg um ihre Landsleute. Ihr Engagement wurde nun von höchster Stelle gewürdigt.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Vom Roten Fluss an die Havel

Hai Bluhm, geboren in Vietnam und heute in Potsdam zu Hause, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet

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Als Hai Bluhm im kalten Oktober 1975 in der DDR aus dem Flieger stieg, trug sie Sommersachen, leichte Hosen, Bluse und Strickjacke, Sandalen. „Wir wurden sofort eingekleidet“, sagt die Vietnamesin, die damals zum Studium in das Bruderland kam. Eingekauft wurde in der Kinderabteilung. „Ich bin dann noch mal fünf Zentimeter gewachsen“, sagt sie und lacht. Seitdem ist allerdings noch mehr passiert im Leben der gebürtigen Vietnamesin. Weil sie sich in all den Jahren und Jahrzehnten stets viel für die Belange von Migranten einsetzte, wurde die heute 57-jährige kürzlich mit dem „Verdienstkreuz am Bande für ihren herausragenden Einsatz für die Integration“ ausgezeichnet.

„Schrecklich!“, entfährt es ihr, als sie danach gefragt wird. Und lächelt wieder. Eine so hohe Auszeichnung, das sei immer noch unfassbar. Der Bundespräsident habe sogar kurz mit ihr geplaudert, beim Empfang im Schloss Bellevue. Erzählt, dass er in Rostock einen Verein von Vietnamesen kennt. „Ich hab gesagt, ich komme ursprünglich aus Sachsen, das fand er sehr komisch und musste lachen“, erzählt Hai Bluhm.

Und tatsächlich verrät ein ganz zarter sächsischer Einschlag, dass Hai Bluhm mehr als zehn Jahre im Raum Chemnitz verbracht hat. Es sei schon vorgekommen, dass Exilsachsen sie daraufhin gerührt ansprachen: „Sie kommen aus meiner Heimat!“

Seit 2000 ist Potsdam ihre Heimat. Hierher kam sie, weil es Arbeit gab. Die ausgebildete Informatikerin hatte zunächst daran gedacht, nach dem Studium nach Vietnam zurückzugehen – um beim Wiederaufbau des kriegskaputten Landes mitzuwirken. Doch dann fand sie dort keinen Job und es frustrierte sie, dass dort alles so zerstört war. „Die 1980er-Jahre waren schwierig“, sagt sie. Also nutzte sie die Gelegenheit, als Dolmetscherin und Betreuerin für Vertragsarbeiter erneut in die DDR zu kommen. Mit der Wende änderte sich auch hier alles, Hai Bluhm war für viele Vietnamesen nicht nur Sprachmittlerin, sondern auch Sozialarbeiterin. Und beriet zunehmend Landsleute, die den Sprung in die Selbstständigkeit wagten. Bis heute kommen Unternehmer zu ihr mit behördlichen Formblättern und amtlichen Schreiben, mit Verträgen und Steuerunterlagen. Dann muss Hai Bluhm das Amtsdeutsch übersetzen.

Fehlende Sprachkenntnisse, das sei immer noch das größte Integrationshindernis. Manche Vietnamesen seien schon ewig hier, doch bleiben sie unter sich, dann bleibt die deutsche Sprache, ohnehin nicht so einfach, auf der Strecke. „Wenn man in einem Schreiben die Wörter Stadtverwaltung und Staatsanwalt verwechselt, kann das schlaflose Nächte bereiten“, nennt sie ein Beispiel.

Mit dem 2004 in Potsdam gegründeten Verein Song Hong, zu deutsch Roter Fluss, versucht sie, zum Deutschlernen zu motivieren. Etwa 400 Vietnamesen leben in Potsdam, viele davon sind kleine Unternehmer. „Sie wissen doch, selbst und ständig“, scherzt sie. Also organisierte Bluhm Sonntags-Sprachkurse – da hat jeder Zeit. Dann werden deutsche Tageszeitungen gelesen und Vokabeln geübt: Deutsch für Arbeitsverträge, fürs Arbeitsamt, Deutsch für Arztbesuche, Deutsch für Ausflüge. „Wir sind einmal mit dem Zug nach Frankfurt (Oder) gefahren und haben dabei gleich Fahrkarte, Zug und Bahnsteig gelernt.“

Die Geselligkeit ist der andere Aspekt der Vereinsarbeit, gemeinsam feiern sie sowohl deutsche als auch vietnamesische Feste und Bräuche. Und schließlich geht es um konkrete Hilfe für Landsleute, Beratung in Behördensachen zum Ausländerrecht. Hai Bluhm hält Kontakt zu Vereinen in ganz Brandenburg, das Netzwerk Migrations- und Integrationsarbeit Land Brandenburg geht auf ihre Initiative zurück. In Potsdam war sie einige Jahre im Ausländerbeirat aktiv, bis heute vertritt sie die Berlin-Brandenburgische Auslandsgesellschaft (BBAG) im Landesintegrationsbeirat. Sie weiß, dass viele ebenso aktiv und engagiert sind wie sie, und auch eine Auszeichnung verdient hätten. „Aber naja, die können ja nicht alle zu Herrn Gauck“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.

Im Haus der BBAG in der Schulstraße hat auch der Verein Song Hong seinen Sitz. Hai Bluhm organisiert alles aus einem winzigen Büro heraus, zehn Quadratmeter im Kellergeschoss. Aber der Garten ist schön, sagt sie, dort kann man feiern oder auch einfach nur zusammen essen, grillen. Die vietnamesische Küche ist leicht und vor allem schnell. Rindsrouladen und Klöße, ihr deutsches Lieblingsessen, das brauche ja Stunden.

Zurzeit wird ihr Einsatz über EU-Fördermittel vergütet, aber Ende des Jahres ist damit Schluss. Sie hofft, dass es dennoch weitergeht. Denn nach wie vor ist viel zu tun. Die erste Generation ehemaliger Vertragsarbeiter ist alt, gerade viele Frauen haben gesundheitliche Probleme. Die jüngste Generation ist schon gut integriert, für diese bildungshungrigen Jugendlichen wird vom Verein Nachhilfe in Sachen vietnamesischer Kultur und Sprache angeboten. Und letztlich hat sie ihre Geburtsheimat nicht vergessen. Der Verein sammelt Spenden für Menschen, die unter Spätfolgen des Krieges in Vietnam leiden, vermutlich seien das mehrere Millionen. „Denn das Pflanzengift von den Agent-Orange-Einsätzen bleibt ja ewig in der Erde“, sagt Hai Bluhm nachdenklich.

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