Landeshauptstadt: Vom U-Boot bis zum Pinguin
Seit 60 Jahren werden in Marquardt Schiffsmodelle getestet. Besucher dürfen mitfeiern
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Es sieht aus wie eine Teststrecke für Rennboote – und gewissermaßen ist es das auch: Die 280 Meter lange Schlepprinne der Schiffbau-Versuchsanstalt Potsdam (SVA) ist das Herzstück der Forschungsanlage am Sacrow-Paretzer Kanal, in der seit den 1950er-Jahren Boote und Schiffsmodelle von bis zu 13 Metern Länge auf Eigenschaften wie Strömungswiderstand, Geschwindigkeit und Verhalten bei Wellengang untersucht werden. Am 12. August 1953 wurde der Grundstein der heute international renommierten Einrichtung gelegt, offiziell begeht die SVA ihr 60. Jubiläum am heutigen Samstag mit einem Tag der offenen Tür.
Selbst Geschäftsführer Manfred Mehmel, der seit 1976 bei der SVA arbeitet, fällt es nicht ganz leicht, die verwickelten Umstände zu entwirren, unter denen die Versuchsanstalt einst entstanden ist. Fakt ist, dass der Zweite Weltkrieg die Grundlagen für alles Weitere gelegt hat: „Nach Kriegsende forderte die Sowjetunion von der späteren DDR Reparationszahlungen, unter anderem in Form von Schiffen“, sagt Mehmel. Dazu bedurfte es nicht nur Werften, sondern auch einer Schiffbau-Versuchsanstalt, welche die praktischen Grundlagen für neue und bessere Schiffe liefern konnte.
Nach dem Krieg waren jedoch alle der ursprünglich drei Versuchsanstalten in Deutschland zerstört, von den Alliierten demontiert oder wegen neuer Grenzverläufe nicht mehr verfügbar. Paradoxerweise wurde die zerstörte Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau (VWS) in Berlin auf Betreiben der sowjetischen Militäradministration wieder aufgebaut, obwohl sie sich im britischen Sektor der Stadt befand. „Die Berliner Wasserstraßen unterstanden der sowjetischen Oberhoheit“, sagt Mehmel. Allerdings ließ der Westsenat 1951 die Einrichtung von der Polizei besetzen und die DDR stand erneut ohne Schiffbau-Versuchsanstalt da.
Der frühere VWS-Mitarbeiter Werner Henschke legte schließlich den Grundstein für eine neue Versuchsanstalt: Nachdem verschiedene Standorte – unter anderem Rostock – diskutiert worden waren, regte der künftige SVA-Leiter an, aus Zeit- und Kostengründen zunächst ein Provisorium auf einem ehemaligen VWS-Grundstück bei Marquardt zu errichten. Aus der Übergangslösung wurde schnell eine Institution: Die anfangs 80 Meter lange Schlepprinne wurde 1958 auf 280 Meter verlängert und 1964 durch eine hydraulische Wellenmaschine ergänzt. 1971 kam ein Kavitationstunnel zur Untersuchung von Propellern hinzu - über 600 Propeller-Modelle hat die SVA im Laufe ihrer Geschichte gefertigt.
Die Mitarbeiter testeten in Folge vor allem Schiffsrümpfe, Propeller und Antriebssysteme für Fischereifahrzeuge, hin und wieder wurden aber auch Sportboote und noch ungewöhnlichere Objekte durch die Schlepprinne gezogen: „In den Achtzigern haben wir für das Institut für Wirbeltierforschung einen toten, tiefgefrorenen Pinguin auf seine Wasserwiderstandseigenschaften untersucht“, erinnert sich Mehmel. Das Institut hatte wie in der Bionik herausfinden wollen, ob man die tierischen Eigenschaften auch auf technische Bereiche übertragen kann. Sogar Menschen ließen sich vom Schleppwagen durchs Wasser ziehen: „Das waren Leistungsschwimmer, die damals noch keine Strömungskanäle zum Trainieren hatten“, sagt Mehmel.
Bis 1990 waren 88 Mitarbeiter in der SVA beschäftigt, in den Neunzigern sank diese Zahl zeitweise auf 42. Bis zur Wende war die Einrichtung nie selbstständig gewesen: „Wir waren praktisch nur Vollzugsorgan der DDR“, sagt Mehmel. Nach dem Mauerfall einen Käufer für die SVA zu finden, erwies sich als schwierig. Mehmel, der 1990 die Geschäftsführung übernahm, versuchte sogar japanische Investoren zu gewinnen. Die verwaltende Treuhandgesellschaft stellte die SVA 1993 schließlich vor die Wahl: Schließung oder Privatisierung – man entscheid sich für Letzteres. Doch der Schiffbau steckte Anfang der 90er-Jahre in einer Krise, nur nach und nach gelang es der SVA, sich eine neue Position in Deutschland zu erkämpfen.
Bei den Aufträgen dominierten zunächst Fähren und Schnellboote, ab 2000 gewann der Marineschiffbau an Gewicht. Noch immer ist Deutschland – unter anderem mit Kunden wie Thyssen-Krupp-Marine-Systems – der Hauptmarkt, doch auch in Südeuropa und Südostasien hat die SVA einen festen Kundestamm. „Heute forschen wir viel für den Sonderschiffbau, zum Beispiel für Offshore-Windenergie-Plattformen, aber auch für U-Boote, Jachten oder sogenannte Massengutfrachter“, sagt Mehmel. Containerschiffe hingegen werden gegenwärtig kaum noch gebaut, so Mehmel, dies sei nach der Lehmann- Brothers-Krise eingebrochen.
Die Aufgaben und Möglichkeiten der heute 49 Mitarbeiter haben sich vervielfältigt: Neben dem Wasserwiderstand wird auch der Windwiderstand von Schiffen untersucht – in Zeiten steigender Ölpreise spart jede Geschwindkeitssteigerung bares Geld. Auf Kundenwunsch fertigt die SVA auch Spezialantriebe an. Im Laufe der Jahrzehnte haben die SVA-Ingenieure so einige Patente entwickelt; den Ruhm und den Profit dafür können die Erfinder aber nicht ernten, denn für gewöhnlich landen die Rechte der im Rahmen der Aufträge entstandenen Patente bei den Firmen, welche die Aufträge erteilt haben. Aus diesem Grund ist Fotografieren am Tag der offenen Tür auch verboten – viele der aktuellen Arbeiten unterliegen der Geheimhaltungspflicht.
Schiffbau-Versuchsanstalt, Marquardter Chaussee 100, Tag der offenen Tür heute von 10 - 14 Uhr, Eintritt frei
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