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Landeshauptstadt: Vom „ultimativen Ziel der Abstinenz“ abrücken

Aktion zum Gedenktag verstorbener Drogenabhängiger 2010 in Potsdam

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Innenstadt – „Tobias T., 23 J. - Sechs Entzüge, vier Therapieversuche, zweimal Knast. Überdosierung, da keine Testmöglichkeit für illegale Substanzen vorhanden. 2010“ Diese kurze, nüchterne Todesanzeige liegt auf dem nassen Boden der Brandenburger Straße, daneben ein Paar Schuhe, eine Blume und eine Kerze. Ein knappes Dutzend dieser traurigen Kurzbiografien, an deren Ende stets ein Kreuz und das Jahr 2010 stehen, haben die Mitglieder des Chillout e.V. am Donnerstagabend auf der Einkaufsmeile verteilt. Neben jeder steht ein Schuhpaar. Die Potsdamer Fachstelle für Suchtprävention hat mit dieser Aktion den bundesweiten „Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige“ unterstützt, der jedes Jahr am 21. Juli stattfindet: 1237 Menschen sind 2010 in Deutschland an den Folgen ihres Drogenkonsums gestorben.

Umso provokanter wirken die Forderungen von Chillout e.V.: „Heroinabhängige, die nicht einfach direkt aussteigen können, müssen auch sauberes Heroin bekommen können. Außerdem müssen Drogengebraucher die Möglichkeit haben, ihre Drogen auf Reinheit und Menge testen lassen zu können“, sagt Rüdiger Schmolke, Geschäftsführer von Chillout e.V. Nur wenige Menschen bleiben bei der Aktion stehen, was allerdings eher am Regenwetter liegt. Dennoch: Die wenigen Passanten, die mit den Mitgliedern von Chillout e.V. ins Gespräch kommen, scheinen Verständnis zu zeigen.

Chillout e.V. tritt für „akzeptierende Drogenarbeit“ ein: Drogenabhängigen soll erstmal das Über- und Weiterleben ermöglicht werden, ohne Verpflichtung zum Ausstieg. Hauptziel ist die Verhinderung von Drogentoten – ein Ausdruck, der Schmolke nicht sonderlich gefällt: „Die meisten sogenannten Drogentoten sind ja nicht direkt auf die Drogen zurückzuführen, sondern darauf, dass es keine Möglichkeit gibt, kontrolliert zu konsumieren.“ Unreiner „Stoff“, unhygienische Spritzen oder das falsche Einschätzen der Dosis seien die eigentlichen Todesursachen – und die, so Schmolke, könnten von der Politik verhindert werden. Die Politik müsse vom „ultimativen Ziel der Abstinenz“ abrücken, meint er: „Ich kann gut verstehen, dass man lieber totalen Drogenverzicht von den Konsumenten fordern will, aber das verhindert ganz viel Hilfe, die nicht angenommen wird.“

Für Potsdam oder Brandenburg fordert Chillout e.V. jedoch ausdrücklich keine Erweiterung der Angebote wie etwa Konsumier-Räume oder Drogenvergaben: „Das wäre unrealistisch. Hier gibt es keine wirklich massive Szene, das konzentriert sich eher auf Berlin“, so Schmolke. „In Brandenburg gibt es pro Jahr fünf bis zwölf ‚Drogentote’; da besteht kein so massiver Handlungsbedarf.“ Erik Wenk

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