zum Hauptinhalt
Erzählen hilft. Jutta Fleck kam nach einem gescheiterten Fluchtversuch in DDR-Haft. Später kämpfte sie vom Westen aus um ihre in der DDR festgehaltenen Töchter. Heute leitet sie in Hessen ein Zeitzeugenprojekt.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Vom Unrecht sprechen

Jutta Fleck, „Die Frau vom Checkpoint Charlie“, berichtete von der DDR-Haft und dem Kampf um ihre Töchter

Stand:

Es war ein Plan, geboren aus dem Stegreif – und scheinbar bestechend einfach. Taschendiebe hatten Jutta Gallus beim Rumänienurlaub im August 1982 sämtlicher Papiere beraubt. Nach dem ersten Schock reagierte die DDR-Bürgerin, die zu diesem Zeitpunkt bereits zwölf Ausreiseanträge gestellt hatte und von Rumänien aus eigentlich mit einem Schiff über die Donau nach Jugoslawien fliehen wollte, ebenso geistesgegenwärtig wie kurzentschlossen: Sie meldete sich mit ihren beiden Töchtern in Bukarest bei der bundesdeutschen Botschaft und bekam – nach telefonischer Rückversicherung mit einem im Westen lebenden Onkel – prompt westdeutsche Ersatzdokumente. „Wir feierten schon in einem Lokal“, erinnerte sich Jutta Gallus, die heute Jutta Fleck heißt, am Dienstagabend in der Gedenkstätte im früheren Stasi-Gefängnis in der Lindenstraße 54/55. Die Freude war verfrüht.

Jutta Fleck, auf Einladung des CDU-Kreisverbandes in Potsdam zu Gast, ist „Die Frau vom Checkpoint Charlie“. Ihr Buch, das jetzt vor ihr auf dem Tisch liegt, ist zerlesen, ein Dutzend bunter Zettel markiert entscheidende Stellen. Die Geschichte vom Kampf der aus der DDR-Haft vom Westen freigekauften Dresdnerin um ihre im Osten festgehaltenen Töchter kennt spätestens seit der Verfilmung aus dem Jahr 2007 mit Veronica Ferres ein Millionenpublikum.

Aber in dem Buch blättert Jutta Fleck an diesem Abend kaum. Sie lässt die Erinnerungen für die etwa 40 Zuhörer stattdessen in freier Erzählung lebendig werden. Auch fast 30 Jahre später gehen ihr die Geschehnisse von damals spürbar nahe. Die Verhaftung am 25. August 1982 durch den rumänischen Geheimdienst Securitate, der sie mit den Kindern erst tagelang in einem dreckigen Verschlag auf dem Flughafen festhielt, bevor sie am 1. September von einer ausschließlich mit Stasi-Wächtern bemannten ostdeutschen Interflug-Maschine abgeholt wurde. Der letzte Blick auf die beiden Töchter durch das Bullauge des Flugzeuges. Der Schmerz der Trennung. Die entwürdigenden Bedingungen in der Stasi-Untersuchungshaft in Dresden. Gerichtsprozess und Urteil – drei Jahre Gefängnis wegen „versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall“. Die Zeit im berüchtigten DDR-Frauengefängnis Hoheneck, wo Jutta Fleck im „Kommando Planet“ in Schichtarbeit Bettwäsche für westdeutsche Versandhäuser nähte. Der Freikauf durch die Bundesrepublik im März 1984. Der viereinhalb Jahre währende Kampf um ihre beiden Töchter. Die Flugblattaktionen und Fernsehauftritte, der Besuch beim Papst, der Auftritt im Reichstag am 13. August 1986, als es Jutta Fleck bei einer Gedenkveranstaltung gelang, nach Willy Brandt an das Pult zu treten. Die Mahnwachen am Checkpoint Charlie. Und die Freude am 25. August 1988, dem Tag, an dem sich ihre Beharrlichkeit schließlich auszahlen sollte und DDR-Anwalt Wolfgang Vogel die beiden Töchter im goldenen Mercedes nach Westberlin fuhr. „Das vergisst man nicht“, wird Jutta Fleck an diesem Abend mehrmals sagen.

Erzählen hilft, das hat sie mit den Jahren erfahren: „Von Mal zu Mal geht es besser.“ Seit 2009 leitet die gelernte Informatikerin bei der hessischen Landeszentrale für politische Bildung in Wiesbaden das Schwerpunktprojekt „Politisch-Historische Aufarbeitung der SED-Diktatur“ – sie organisiert Zeitzeugengespräche an Schulen, ist selbst Gast in Schulklassen. Die Aufarbeitung sei „wahnsinnig wichtig“, betont die 64-Jährige: „Wir dürfen damit nicht 60 Jahre warten.“

Es gebe dabei aber noch „ein gutes Stück Arbeit“. In ihrer früheren Heimatstadt Dresden etwa erhalte die Leiterin der Landeszentrale für Politische Bildung Morddrohungen, jungen Lehrern werde es durch ältere Kollegen oder Eltern schwer gemacht, DDR-Unrecht im Unterricht zu thematisieren. „Es wäre schön, wenn die Täter von damals endlich mal dazu stehen würden, was das für ein Unrecht gewesen ist“, sagt Jutta Fleck.

In wenigen Tagen, am 25. August, wird sich ihre Familie wieder treffen. „Wir feiern unsere persönliche Wiedervereinigung natürlich jedes Jahr.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })