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Landeshauptstadt: Von der Seele schreiben

In der Schreibwerkstatt von Barbara Tauber sollen arbeitslose Frauen selbstbewusster werden

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Die Briefe hätten sie eigentlich misstrauisch machen müssen. „Es wurden schon langsam Romane“, erzählt Marion Sachs. Adressiert waren sie an ihren Bruder. Denn dem konnte sich die 48-Jährige anvertrauen, ihre Erlebnisse und Gedanken schildern, über das schwierige Verhältnis zu ihrem Sohn nachdenken. Die Potsdamerin ist zuhause, arbeitet nicht – weil sie Invalidin ist. Beim Reden macht sie oft Pausen, gerät ins Nachdenken, so als müsste sie erst noch Worte finden für das, was ihr seit Januar passiert ist. „Ich war überrascht“, sagt sie dann mit umso größerem Nachdruck. Dass sie einmal „richtige“ Texte schreiben und in einem Buch veröffentlicht würde, hätte sie wohl noch vor einem Jahr kaum gedacht.

Aber genau dass soll nun passieren. Denn die Potsdamerin besucht seit Januar die „Schreibwerkstatt“, ein „Projekt für Mütter und Töchter in Krisensituationen“, wie es in der Kurz-Beschreibung von Leiterin Barbara Tauber heißt. Als Abschluss der Werkstatt für arbeitslose Frauen soll es ein Buch geben, bestätigt die Journalistin und Sozialpsychologin. Außerdem sei im September eine Lesung geplant – die Frauen, die sich 18 Wochen lang jeden Montag zum Austausch und Schreiben getroffen haben, werden ihre Werke in Caputh vorstellen.

Es ist ein sonniger Montagmorgen, kurz vor neun Uhr. Sieben Frauen kommen heute in die Räume des SHBB (Soziale Hilfen in Berlin/Brandenburg) in der Dortustraße. Sie haben Brötchen dabei, selbst gemachte Kräuterbutter, duftenden Apfelkuchen, Käse, Honig – und die Erlebnisse der letzten Woche. Sie alle sind „arbeitslos“ – aber aus ganz verschiedenen Gründen: Da ist Rosemarie Olbrich, mit ihren 68 Jahren bereits Pensionärin, oder Katrin Nuck, die gerade im Babyjahr ist. „Frauen können sich total gut unterstützen“, findet die 39-jährige Krankenschwester. Ihr Kind wird während des Kurses im Nachbarzimmer betreut. Die „Gemeinschaft von Frauen“ schätzt auch Cora Pech: „Es ist berührend, was da zutage kommt.“ Die 46-jährige Wirtschaftskauffrau ist auf Jobsuche, hat gerade eine „Maßnahme“ beim Arbeitsamt begonnen.

Irgendwann wird schließlich abgeräumt. Für jedes Treffen hat Leiterin Barbara Tauber dann einige Übungen vorbereitet: Das erste Thema heute lautet „loslassen“. Nahe liegend, denn der sechsmonatige Kurs geht dem Ende zu. Die Frauen sollen eine „Mindmap“ malen, eine Landkarte der Begriffe, die ihnen zu dem Thema einfallen. Eine Stiftekiste und buntes Papier stehen bereit. Wenige Minuten später herrscht konzentrierte Stille im Raum. Die Blätter füllen sich.

Schreiben ist für die Werkstatt-Leiterin Barbara Tauber „ein Schlüssel“: „Da kommt ganz viel nach oben.“ Es gehe nicht darum, literarisch wertvolle Produkte zu verfassen. „Jede hat ihren eigenen Stil entwickelt“, sagt Tauber über ihre Gruppe. Beim Schreiben sollen die Frauen sich selbst erfahren und über ihre Lebensorientierung klar werden, so die Intention. Denn „mit gestärktem Selbstbewusstsein kommen sie weiter, beruflich und in der Familie“, meint Tauber. Der Workshop wird mit EU-Mitteln aus dem Programm „Lokales Budget für Soziale Zwecke“ finanziert.

Die nächste Aufgabe an diesem Montagmorgen ist eine Geschichte. Die Vorgaben dafür macht jeweils die Nachbarin: Sie sucht drei Wörter aus der Loslassen-Landkarte aus. Diese Worte müssen in den Text eingearbeitet werden. „Fünfzehn Minuten“, sagt Barbara Tauber. Die Frauen schreiben sofort los.

Eine Viertelstunde später werden sie Sätze vorlesen wie „Ich gebe meinem Leben die Hand und bin gespannt, wohin es mich führt.“ Oder von Vögeln erzählen, „gefangen in einer Zwangsmaßnahme des Arbeitsamtes“: Es ist eine Sammlung trauriger Gestalten mit gestutzten Flügeln und „Pfauen, die kein Rad mehr schlagen“, die Cora Pech da beschreibt. Und gleichzeitig ist es ein Bild für ihre eigene Situation. Ihre letzte Bewerbung sei gescheitert, erzählt die Wirtschaftskauffrau. Die Personalabteilung eines Möbelhauses fand sie „zu schöngeistig“, berichtet sie. „Ich weiß gar nicht, ob ich heute hier sitzen dürfte.“ Aber ihr sei das Schreiben wichtiger als die nächste „Maßnahme“ des Arbeitsamtes.

Auch Rosemarie Olbrich möchte das Schreiben nicht mehr missen: „Ich kann mir Sachen richtig von der Seele schreiben“, sagt sie. Besonders erstaunt war sie darüber, „dass einem plötzlich Sachen einfallen, die 30, 40 Jahre her sind“. „Ich erinnere mich“, sagt auch Marion Sachs, wenn sie erzählt, wie sie zu ihren Geschichten kommt. Da ist zum Beispiel der immer wiederkehrende Traum von der weißen Villa, in der sie wie in einem Labyrinth gefangen ist. Irgendwann wurde daraus ein Text. „Am Anfang wollte ich noch nicht so richtig raus aus mir“, erzählt Marion Sachs: „Ich musste erstmal aufwärmen.“ Das sei ihr richtig gut gelungen, sind sich die anderen Frauen einig.

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