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Offen für Neues. Christian Thorau hat der Wagner-Büste in seinem Büro eine Basecap aufgesetzt. Weil sie ihm sonst zu altmodisch erscheint. Der Musikwissenschaftler will die Distanz zu großen Künstlern möglichst klein halten.

© Andreas Klaer

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Christian Thorau erforscht an der Universität Potsdam die Geschichte des Musikhörens

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Richard Wagner gehört zu den Komponisten, die ihn faszinieren. Auf der Fensterbank seines Büros in Golm steht eine Büste des Komponisten. Sie trägt eine dunkelgrüne Kopfbedeckung. „Ohne Basecap ist er mir zu altmodisch“, sagt Christian Thorau und lächelt. Zu großen Künstlern möglichst keine Distanz aufzubauen, ist ihm ein echtes Anliegen. Dazu passt auch das Plakat des Dokumentarfilms „Rhythm’ Is It!“ an der Wand. Die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Sir Simon Rattle und der britischen Choreograf und Tanzpädagoge Royston Maldoom bringen Jugendliche in Berlin dazu, Igor Stravinskys Ballett „Le sacre du printemps“ aufzuführen. „Ein Schüler sagt in dem Film, dass er sich irgendwann die Musik einfach mal so angehört hat und sie plötzlich ,richtig cool’ fand – das hat mich begeistert“, erzählt Thorau. Der 47-jährige gebürtige Berliner ist seit Oktober 2010 Professor für Musikwissenschaft am Bereich Musik und Musikpädagogik der Humanwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Potsdam.

Begeisterung bringt Thorau für vieles mit. Ihr verdankt er auch seine wissenschaftliche Karriere. Angefangen hatte alles mit einem Lehramtsstudium für Musik. Nachdem er sich 1991 in Bayreuth von Wagners „Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung von Harry Kupfer hatte begeistern lassen, entschloss er sich zu einer Dissertation über die Rezeption Wagners durch das Publikum. „Die Hörerseite hat mich schon immer interessiert“, sagt Thorau, der selbst Klavier und Bratsche spielt. Es folgten Lehraufträge an der TU Berlin, eine Gastprofessur an der Universität der Künste Berlin sowie eine Professur an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/Main. Als Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung forschte Thorau auch an den Universitäten Harvard und Stanford. Wagners grünes Basecap stammt aus Thoraus Fellowship am National Humanities Center in den USA. Als Fellow war er außerdem am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien tätig.

Die Veränderung des Musikhörens ist einer von Thoraus Forschungsschwerpunkten. „Im 19. Jahrhundert setzte eine hohe Spezialisierung ein. Man richtete das Konzert so ein, dass eine Konzentration allein auf die Musik möglich wurde“, erklärt Thorau. Im 20. Jahrhundert veränderten neue Medien wie die Schallplatte die Hörgewohnheiten. „Heute befinden wir uns erneut in einer Zeit des Umbruchs – die Möglichkeiten von MP3 und I-Pod verändern unseren Umgang mit Musik massiv.“

Um das Musikhören zu erforschen, untersucht der Wissenschaftler Quellen aller Art. Für das 19. Jahrhundert geben Programmhefte, sogenannte Leitfäden, Aufschluss über Hörerlebnis und Musikverständnis. „Sie waren eine Art Gebrauchsanleitung und spiegeln die Herausbildung des Bürgertums zur kulturtragenden Schicht wider“, so Thorau. Auch Gemälde, die eine Konzertaufführung zeigen, seien wichtige Quellen. Heute geben Karikaturen, Anekdoten und sogar Aufkleber mit musikalischen Zitaten Auskunft über alle Arten von musikalischen Hörerlebnissen und das populäre Wissen, das mit Musik verbunden ist.

In seiner Habilitation untersuchte Thorau, ob es in der Musik Strukturen gibt, die wie Metaphern funktionieren. Er versteht sich jedoch nicht nur als Musik-, sondern auch als Kulturwissenschaftler, der Musik immer auch in ihrem historischen Kontext betrachtet. Den Studierenden will er einen breiten Überblick verschaffen. Deshalb sind Woodstock und Michael Jackson in seinen Vorlesungen ebenso präsent wie Wagner. Da Lehramtsstudenten Musik später auch weitergeben und vermitteln, passe fundiertes Wissen über die Hörer und deren Erwartungshaltung ganz gut dazu, findet Thorau.

Die Veränderung des Musikhörens ist auch Thema einer internationalen Fachtagung in Berlin, die Thorau im Sommer gemeinsam mit dem Historiker Hansjakob Ziemer vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte anbietet. Der Titel: „The art of listening“ – Trends und Perspektiven einer Geschichte des Musikhörens“.

Die Universität Potsdam sieht der Inhaber des einzigen Lehrstuhls für Musikwissenschaft im Land Brandenburg, insgesamt positiv. „Das ist ein guter Ort zum Lehren und Forschen. Die Studierenden sind sehr motiviert.“ Alarmiert ist der Wissenschaftler jedoch angesichts des Immatrikulationsstopps für den Bachelor-Studiengang Musikwissenschaft: „Ich wünsche mir für die Entwicklung des Faches, dass Fakultät und Universität verstehen, dass die wissenschaftliche Perspektive auf Musik eine Investition in die Kultur des Landes Brandenburg ist.“

Maren Herbst

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