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Was bedeutet das Berlin-Urteil von Karlsruhe für Brandenburg? Antworten von der Regionalforscherin Prof. Heiderose Kilper
Stand:
Frau Professor Kilper, welche Auswirkungen wird das negative Berlin-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auf das Land Brandenburg haben?
Das Urteil wird natürlich Wasser auf die Mühlen der Fusionsgegner leiten. Andererseits: Es gibt das große gemeinsame Infrastrukturprojekt, den Internationalen Flughafen Berlin-Brandenburg in Schönefeld. An diesem Projekt haben beide Landesregierungen großes Interesse, aus ökonomischen und aus verkehrstechnischen, logistischen Gründen. Ich bin sicher, dass ein gesunder Pragmatismus auch in Zukunft die Zusammenarbeit der beiden Landesregierungen bestimmen wird.
Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck sieht nun keine Chance mehr für die Fusion von Berlin-Brandenburg. Was bedeutet das für die Region?
Durch das Wort des Ministerpräsidenten geht natürlich eine politische Perspektive verloren. Dies erschwert unter Umständen jetzt auch die kleinen Schritte bei der Optimierung der Zusammenarbeit. Auf der Arbeitsebene ist die Politik der Abstimmung zwischen beiden Ländern aber eine weithin geübte Praxis, zu der es keine Alternative gibt, und die von beiden Seiten sicher weiter verfolgt werden wird.
Sehen Sie noch eine Möglichkeit für die Fusion?
Die Argumente, die für eine Länderfusion sprechen, sind bekannt; an ihrer Triftigkeit hat sich durch das Urteil nichts geändert. Das Land Brandenburg hat dennoch seit längerem in dieser Hinsicht zögerlich agiert; dies geschah vor allem mit dem Argument der fehlenden Akzeptanz in der Bevölkerung. Tatsächlich gibt es in Brandenburg eben nach wie vor Gegner wie Befürworter einer Fusion. Anders als in den peripher gelegenen Regionen Brandenburgs dürfte die Zustimmung dazu im Entwicklungsraum rund um Berlin sicher höher ausfallen, da man hier die praktische Wirkung der Ländergrenzen im Alltag erfährt: Berliner Schulen lassen den Besuch von Schülern aus Brandenburg kaum zu, die Berliner Werkstoffhöfe können von Brandenburger Seite nicht genutzt werden – es gibt viele weitere Beispiele dafür, wie die Landesgrenzen gegenwärtig Alltagsräume durchschneiden.
Und für die politische Praxis?
Hier dürften die Aussichten, das Thema Länderfusion erfolgreich auf die Agenda zu setzen, auf absehbare Zeit gering sein. Das muss eine Vertiefung der Kontakte auf der Arbeitsebene nicht ausschließen, vielleicht eher im Gegenteil.
Könnte Berlin auch ohne Fusion bei negativer Entwicklung zur Belastung für Brandenburg werden?
Ich würde die Situation nicht so ohne weiteres als eine durchaus negative Entwicklung beschreiben. Natürlich gibt es beispielsweise im Bereich der Steuereinnahmen und der Finanzströme Konkurrenzen zwischen beiden Ländern, und die wird es weiter geben. Das ändert aber nichts daran, dass wir ökonomisch gesehen einen Gesamtraum vorfinden. Die wirtschaftlichen Akteure verhalten sich auch so. Hier können beide Seiten versuchen, durch die wechselseitige Nutzung ihrer Kompetenzen und Ressourcen Chancen zu nutzen. Klar ist aber auch, dass in einer solchen Konstellation die Stärken und Schwächen der Partner aufeinander abstrahlen.
Sollte Brandenburg nun besser auf eine eigenständige Entwicklung bauen?
Was heißt „eigenständige“ Entwicklung? Schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts waren beide Länder gefordert, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um nach der Wende für ihre Länder die Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten für eine zukunftsfähige Entwicklung zu schaffen. Dies gilt für Berlin wie für Brandenburg gleichermaßen. Und dies geht nicht gegen- , sondern nur miteinander. Die Landwirtschaft in Brandenburg braucht die Hauptstadt als Absatzmarkt. Ebenso baut die Tourismusbranche auf die Tagesausflügler aus Berlin. Viele große Unternehmen, die sich nach der Wende in Brandenburg angesiedelt haben, brauchen das Know how der Brandenburger Universitäten und Fachhochschulen, aber auch der Universitäten und Fachhochschulen in Berlin. Auch hier gilt, was ich schon gesagt habe: Wechselseitige Nutzung der Kompetenzen und Ressourcen, die in beiden Ländern zweifellos vorhanden sind. Man kann der Brandenburgischen Landesregierung nicht guten Gewissens dazu raten, sich jetzt auf Kosten der Berliner profilieren zu wollen.
Vielleicht wäre es für Brandenburg sinnvoller, einen Zusammenschluss mit benachbarten Bundesländern, etwa Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, zu suchen?
Ich halte das für keine gute Idee. Länderfusionen sind ja nur sinnvoll bei funktionalen Synergien, bei denen das Ganze mehr ist als seine Teile. Das Ziel einer Länderneugliederung in der Bundesrepublik müsste die Schaffung von ökonomisch gleich starken, lebensfähigen, sich dynamisch entwickelnden Bundesländern sein. Da die Argumente für einen Zusammenschluss von Berlin und Brandenburg nach wie vor gute Argumente sind, halte ich nichts davon, sich nun partout in alle möglichen anderen Himmelsrichtungen umzuschauen.
Ihr Institut geht in den Randregionen Brandenburgs langfristig von einem Bevölkerungsrückgang aus, wie verträgt sich dieses Szenario mit einem Sozialfall Berlin in der Mitte?
Es gibt zwar in Berlin nach wie vor Deindustrialisierungseffekte. Wir verzeichnen aber auch starke Zuwächse in vielen Dienstleistungssektoren und in den Sektoren, die wir als Wissensökonomie bezeichnen. Sie vermögen zwar im Moment die Arbeitsplatzverluste nicht aufzuwiegen, aber daraus kann noch mehr entstehen. Wir finden bei ausländischen Investoren ein starkes und noch wachsendes Interesse an Immobilien in Berlin, weil das Preisniveau hier im Vergleich mit dem anderer Hauptstädte Europas erstaunlich niedrig ist. Insgesamt findet die Politik stark unterschiedliche Entwicklungsdynamiken im Raum vor: ein stagnierendes Zentrum, ein moderat wachsender Entwicklungsraum rund um Berlin und eine schrumpfende Peripherie – mit dieser Ungleichheit, die ja nicht neu ist, müssen die Entwicklungskonzepte umgehen. Allenfalls werden in Zukunft die verschiedenen Raumtypen mit ihren unterschiedlichen Entwicklungsdynamiken noch klarer hervor treten.
Und der Speckgürtel?
Der Ausdruck – obwohl hartnäckig verwendet – ist nur mit Abstrichen auf die Situation im Berliner Umland zu beziehen. Ist der Wohlstand und das Einkommensniveau im Umland wirklich höher als in der Kernstadt? Ich habe da meine Zweifel. Es gibt das Zugleich von Wachstum und Schrumpfung auch im so genannten Speckgürtel – wie überall in Brandenburg. Trotz Wachstums haben die Berliner Umlandgemeinden längst nicht das Niveau der Wohlstandsgürtel, die wir aus Westdeutschland kennen, und auch im Blick auf die Besiedlungsdichte sind sie nicht vergleichbar.
Beträfe es nicht auch Arbeitsplätze in Brandenburg, wenn Berlin seinen Sparkurs verschärfen muss?
Es ist klar, das Berlin und Brandenburg auf der Ebene beispielsweise von Forschungsnetzwerken im Bereich der Medizin- oder der Gesundheitstechnik längst eine einzige Region sind. Sollte Berlin sein Engagement in diesen Bereichen ändern, kann das nicht ohne Auswirkungen auf die Partner bleiben. Das würde die Chancen und das Profil der gesamten Region verändern. Man muss aber auch sehen, dass Berlin etwa im Bereich der Investitionen für Forschung und Entwicklung heute schon die Ziele der europäischen Lissabonstrategie, die eine Entwicklung zur wissensbasierten Ökonomie befördern will, mehr als übererfüllt. Berlin investierte wenigstens die letzten Jahre deutlich mehr als die geforderten drei Prozent des Bruttosozialprodukts in Forschung und Entwicklung.
Welche Bedeutung haben die Pendlerströme zwischen den beiden Ländern für die Entwicklung?
Ihre Bedeutung ist hoch; wir wissen, dass die Verflechtungen seit Jahren beständig zunehmen. Es gibt einen hohen Anteil von Arbeitspendlern: viele Brandenburger arbeiten in Berlin; ein hoher Anteil der Potsdamer Ministerialverwaltung reist morgens aus Berlin zur Arbeit. Diese strukturellen Koordinaten sind längst bekannt und werden sich nicht plötzlich verändern.
Schon die Entscheidung gegen die Berliner FU als Elite-Uni hatte die Gewichte mehr in den reichen Süden Deutschlands verschoben, wird der Nordosten nun abgekoppelt?
Ich finde den Ausdruck „abkoppeln“ übertrieben. Auf Grund der Exzellenzinitiativen werden sich konkurrierende Bildungsregionen profilieren. Das ist ja auch Zweck der Veranstaltung. Aber die Berliner Universitäten sind hier im Zusammenwirken mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Berlin und Brandenburg gut im Spiel und werden dies auch künftig sein. Dass man über den Sinn und Unsinn von „Eliteuniversitäten“ trefflich streiten kann, ist dabei ein anderes Thema.
Schon heute schützt sich die Uni Potsdam per NC vor einem Überlaufen aus Berlin. Welche Folgen hätte ein Abbau bei der Berliner Wissenschaft, der Forschung und den Hochschulen für Brandenburg?
In Berlin ist der NC in praktisch allen Fächern schon lange der Regelfall. Im Osten Deutschlands finden wir, gemessen an den Betreuungsrelationen an westdeutschen Universitäten, überwiegend recht komfortable Studienbedingungen vor. Für manche Studiengänge besteht wegen Unterauslastung eher die Gefahr, dass sie eingestellt werden müssen. Die nach dem Konzept der dezentralen Konzentration in Brandenburg gegründeten Universitäten und Fachhochschulen haben zum Teil echte Probleme, genügend Studenten anzuziehen. Vor diesem Hintergrund könnte man auch argumentieren, die NC“s der Universität Potsdam sind ein geeignetes Instrument, um eine sinnvolle Verteilung der Studienwünsche auf die vorhandenen Kapazitäten zu erreichen.
Und die aktuelle Debatte um Studiengebühren?
Die in Berlin derzeit geführte Diskussion, dass Landeskinder weiterhin kostenfrei einem Erststudium nachgehen können sollen, von auswärtigen“ Studierenden aber Studiengebühren gefordert werden sollen, ist dagegen aus der Not geboren. Man ist auf der Suche nach zusätzlichen Einnahmen. Damit würden erneut regionale Zusammenhänge durch politische Grenzziehungen durchschnitten. Für Brandenburger Abiturienten würde das die absurde Konsequenz mit sich bringen, dass sie als auswärtig gelten, obwohl sie vielleicht sogar in Berlin geboren und in einer der Umlandgemeinden aufgewachsen sind.
Das Urteil von Karlsruhe war eine juristische Entscheidung, nun ist die Politik an der Reihe. Welche Herausforderung sehen Sie für den zweiten Durchgang der Föderalismusreform?
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedeutet ja, dass die föderale Finanzverfassung in ihrer Wichtigkeit höher eingeschätzt wurde als die Haushaltslage des Landes Berlin. Unabhängig davon wird im weiteren Verlauf der Föderalismusreform der Länderfinanzausgleich neu justiert werden. Auch das Thema Länderfusion wird dann wieder auf die Agenda kommen. Damit werden sich die Konstellationen für das Land Berlin verändern.
Zum Beispiel?
Speziell im Bereich von Wissenschaft und Forschung sind zu wenige und auch widersprüchliche Dinge verabredet worden. Die Universitäten in den ärmeren Ländern werden ihren derzeitigen Stand nicht aufrechterhalten können; die Einheit von Forschung und Lehre ist für sie ebenso eine Überforderung wie die Maßnahmen des Hochschulbaus, die nun ebenfalls in die Kompetenz der Länder übergegangen sind. Deshalb muss nach einem neuen Ausgleich in den Finanzbeziehungen gesucht werden. Hier kann auch eine Kompensation dafür gefunden werden, dass in Berlin tatsächlich überproportional viele Studierende aus anderen Bundesländern ausgebildet werden.
Allgemein sollte im Rahmen der fortgesetzten Föderalismusreform auch über geeignete Anreize für Länderfusionen nachgedacht werden. Analog zum Solidarpakt könnten für eine gewisse Zeit sinkend ausgestaltete Mittel für Länder zur Verfügung gestellt werden, die gemeinsam ihre Organisationsstrukturen optimieren möchten.
Fragen von Jan Kixmüller
Heiderose Kilper (53) ist seit Februar 2005 Direktorin des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner (IRS). Sie ist zudem Professorin an der BTU-Cottbus.
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