
© A. Klaer
Straßenvorleser Dennis Knickel war in Potsdam: Warten auf den Glücksfall
Dennis Knickel sucht den besten Platz. Wo er gesehen und gehört wird, aber niemanden nervt.
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Dennis Knickel sucht den besten Platz. Wo er gesehen und gehört wird, aber niemanden nervt. Nicht direkt am Café, das kommt nicht gut. Und nicht in Hörweite des Straßenmusikers, der Cat Stevens hoch und runter singt. Plötzlich bleibt er stehen. „Hier vielleicht, hier sind doch viele Leute und ein Supermarkt, das ist gut“, sagt er und legt ab. Packt Campingstuhl, Mikrophon und Miniverstärker aus, verstöpselt alles. Legt das große Schild aus Pappkarton in die Mitte der Straße, mit zwei Büchern beschwert. Dann beginnt „Deutschlands erster Straßenvorleser“, wie er sich selbst nennt, mit seinem Vortrag. In der Brandenburger Straße, zwischen Kaisers und Cutman, liest Dennis Knickel am Montagabend aus seinem Buch. Er hofft, dass viele stehen bleiben und bestenfalls sogar sein Buch kaufen.
Ein gutes Dutzend hat er dabei, im Rucksack angeschleppt. Im Kofferraum seines Autos liegt eine ganze Kiste, aber er hat ein paar Straßen weiter weg geparkt. Es gibt ja keine Parkplätze in der Innenstadt. Potsdam ist ein schwieriges Pflaster für einen ortsfremden Straßenunterhalter.
Es ist sein letzter Lesestop auf der Promotour, dann zieht es Knickel, Punk aus philosophischer Überzeugung, Autor, Filmemacher und Schauspieler, nach Hause. In Berlin wartet die Freundin. Eine ganze Woche war er jetzt in Deutschland unterwegs, von Mainz aus durchs Ruhrgebiet, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg.
Sein Buch „Serendipity – Die unverhofften Glücksfälle eines Backpackers in den USA“ hat er im Selbstverlag verlegt. Ein Buch über drei Monate Rucksacktourismus in Kalifornien. „Ich kann mir keine teure Werbung leisten“, sagt er, deshalb die Werbemaßnahme auf Deutschlands Straßen. Ein Experiment. Immer wieder neu. Wie werden die Leute auf ihn reagieren? „Straßenmusiker oder Künstler kennt man ja“, sagt er, die können die Leute einordnen. Wenn jemand vorliest, seien viele zunächst verunsichert. Einmal wurde er als Wanderprediger bezeichnet, einmal rief jemand sogar die Polizei. Die auch nicht wusste, welche gesetzlichen Auflagen für ihn gelten.
Das Potsdamer Publikum ist eher zurückhaltend. Vier Touristen aus Holland sind zumindest neugierig. Aber für eine Lesung sei ihr Deutsch dann doch zu schlecht, sagt ein Mann. Knickel bleibt stoisch, liest ein Kapitel, hält dann inne, schaut in die Runde. Sagt noch einmal sein Intro auf. „Guten Abend, Potsdam“, und legt dann einen Zahn zu. „In Amerika kann so einiges passieren, ich bin vier Mal in Lebensgefahr geraten.“ Der Spruch zieht, ein paar Radler halten an. Einer traut sich sogar in die Nähe des Vorlesers und betrachtet das Cover des Buches. „Naja, ich werde es nicht kaufen“, sagt er.
„Ich finde gut, was er macht“, sagt eine Frau. „Aber der Platz ist blöd. Der Volkspark wäre besser.“ Eine andere bleibt mit ihrer Tochter stehen, drei Minuten vielleicht. Drei Minuten für Knickel, sein Publikum zu fesseln. Die Frau ist unentschlossen. Nein, Geld wollte sie jetzt nicht ausgeben, obwohl Bücher ja was Tolles sind.
„Wenn es jemand unbedingt will, gebe ich es auch für weniger als zwölf Euro weg“, sagt Knickel. Aber schön wäre es schon, mal Geld zu verdienen. Wenn es gut läuft, verkauft er sechs oder sieben Stück an einem Lesetermin, erzählt er. Noch nie hat er vom Amt gelebt. Wenn er das sagt, klingt es, als gehe das gegen seine Punk-Ehre. Ein Punk ist frei, sagt er, und will Spuren in der Welt hinterlassen. Deshalb macht er Filme und schreibt Bücher. Derzeit hat er noch eine ganz andere Idee, er will eine Lehre machen und Brauer werden. Da wabert aus dem Nachbarhaus eine Musikschulkakophonie aus dem offenen Fenster. Und Knickel liest und wartet auf den „unverhofften Glücksfall“ eines Backpackers in Potsdam.
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