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Landeshauptstadt: Warten und beten

Mitte Oktober hat für die rund 5000 Muslime in Potsdam der Fastenmonat Ramadan begonnen. Das heißt mehr als Fasten bis Sonnenuntergang. Man sagt, dem Satan werden in dieser Zeit die Fesseln angelegt. Ein Besuch bei den Abdallahs

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Mitte Oktober hat für die rund 5000 Muslime in Potsdam der Fastenmonat Ramadan begonnen. Das heißt mehr als Fasten bis Sonnenuntergang. Man sagt, dem Satan werden in dieser Zeit die Fesseln angelegt. Ein Besuch bei den Abdallahs Von Marion Hartig Familie Abdallah und ihre Gäste sitzen dicht nebeneinander auf dem dunkel gemusterten Sofa und vertreiben sich die Zeit. Sie warten. Darauf, dass die Sonne endlich untergeht und Uhren auf 18.19 Uhr umspringen. Noch zwanzig Minuten, dann ist es geschafft. Das Fasten kann gebrochen, Essen und Trinken aufgetischt werden. Diana Abdallah, die Mutter, verschwindet für die letzten Vorbereitungen in der Küche. Es riecht nach gebratenem Huhn. Im Fernsehen läuft unbeachtet ein arabischer Sender. An der Wand hängen verschnörkelte Verse aus dem Koran, die heilige Kaba in Mekka steht in Porzellan auf dem hellen Holzregal. Die Abdallahs gehören zu den rund 5000 bis 6000 Muslimen, die laut Büro der brandenburgischen Ausländerbeauftragten in Potsdam leben. Überträgt man eine bundesweite Studie des Zentrums für Türkeistudien auf die Landeshauptstadt, beteiligen sich rund 80 Prozent der Gläubigen am Ramadan, auch wenn nur rund 30 Prozent regelmäßig beten. Seine Familie hat ihn muslimisch erzogen, seit er denken kann, fastet er einmal im Jahr, im Ramadan, dem neunten Monat im islamischen Mond-Kalender, erzählt Jalal Abdallah, der Vater. Er ist 37 Jahre alt. Über seiner weiten Hose trägt er einen weißen Mantel, auf dem dunklen Haar thront eine Kappe. Das Fasten gehört zu seinen Pflichten, zu den fünf Säulen des Islam, erklärt er. So wie das Bekenntnis, dass Allah der einzige Gott ist und Mohammed sein Gesandter. Nie hat Jalal daran gezweifelt. Nie hat er darüber nachgedacht, einmal nicht zu fasten. Seit er in Deutschland lebt, ist es für ihn leichter geworden, vier Wochen tagsüber auf Essen und Trinken zu verzichten. Es ist feuchtes Wetter, wird spät hell und früh dunkel. Er kommt aus dem trockenen Libanon, dort ist es schwerer durchzuhalten. Diana stellt ein Tablett mit Datteln und Wasser auf den Tisch. In dem langen Rock kann sie keine großen Schritte machen. Eine Spange hält ihr schulterlanges Haar aus dem blassen Gesicht. Mit Datteln und Wasser wird das Fasten gebrochen, erklärt Jalals Bruder, Kamal. Er kennt sich aus, er ist Vorprediger in der Potsdamer El-Faruk-Moschee. Genau drei soll man essen, sagt die islamische Ordnung. Er reicht den Teller mit den nahrhaften Früchten herum. Diana fastet zum zweiten Mal. Sie ist in der DDR aufgewachsen, erzählt sie, ohne Gott. Den Islam lernte sie durch ihren Mann kennen. Was sie über den Glauben hörte und las hat sie überzeugt. Vor etwa zehn Jahren nahm sie den islamischen Glauben an. Von sich aus, betont sie, nicht um ihrem Mann zu gefallen. Eigentlich würde sie auch Kopftuch tragen. Wenn sie damit in Potsdam nicht so schlechte Erfahrungen gemacht hätte. Sie war schwanger, als sie in die Stadt zogen und hat erfahren, wie Ausländer manchmal in Deutschland behandelt werden. „Kanake raus“ gehört zu den harmlosen Beschimpfungen, die sie sich anhören musste. Sie hatte Angst, verhüllt vor die Tür zu gehen. Ein Tag im Ramadan läuft bei den Abdallahs fast ab wie jeder andere Tag auch. Jalal arbeitet als Koch und Verkäufer in der Gastronomie, Diana kümmert sich um den Haushalt, Mohammed geht in den Kindergarten, Jasmin in die Schule. Nur dass die Eltern auf Essen und Trinken verzichten und die Kinder alleine frühstücken und zu Mittag essen. Und doch haben die Tage im neunten Monat für sie eine ganz besondere Bedeutung. „Ich faste für Gott“, erklärt Jalal. Er fühlt sich ihm näher, betet intensiver und häufiger. Mehr noch als sonst achtet er darauf, die Regeln des Islam zu befolgen, er redet nicht schlecht über andere, guckt keine Fernsehfilme, in denen viel Haut gezeigt wird, macht nichts, was der Gesundheit schadet. Er ist stolz über jeden Fastentag, den er geschafft hat. Man sagt, im Ramadan werden dem Satan Fesseln angelegt, sagt Jalal. Das trotz der Fastenzeit die Terrornachrichten aus dem Nahen Osten nicht weniger werden, mag nicht in sein Bild passen. Das ist Politik, sagt er. Die Idee vom gebändigten Teufel funktioniert nur als Ideal. Er rückt den Tisch zur Seite, breitet ein Tischtuch auf dem Teppich aus. Aus der Küche werden Töpfe und Schalen geholt. Hähnchenkeule in Tomaten und Kartoffeln, Reis mit gerösteten Nudeln, Hackfleischröllchen, Salate, Joghurtsoße, flaches Brot. Man soll langsam essen, erklärt Kamal, und den Magen mit einem Drittel Essen, einem Drittel Wasser und einem Drittel Luft füllen. Nach der Hauptspeise, wenn der Hunger gestillt ist, wird das Abendgebet vollzogen. Erst danach gibt es das arabische Tiramisu, eine Variante mit Kirschwasser statt Amaretto. Und dazu einen Kaffee, denn den vermissen die Abdallahs im Ramadan am meisten.

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