
© A. Klaer
Landeshauptstadt: Warum in München das Licht ausgehen könnte
Der ehemalige Diplomat Wolfgang Ischinger sprach in der Marienschule über deutsche Politik und globale Zusammenhänge
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Die Wirklichkeit hält sich selten an Termine. Wegen der Mahnwache gegen den Terror am Pariser Platz kam der Gast aus Berlin Dienstagabend zu spät in die Marienschule. Das Verkehrschaos in der Berliner Innenstadt war die Ursache für die Verspätung von Wolfgang Ischinger. Damit war auch gleich in das Thema des Abends eingeführt: „Vom Fall der Berliner Mauer zu einem neuen kalten Krieg?“ war das Gespräch mit dem ehemaligen Diplomaten betitelt. Im weiteren Verlauf sollte es auch um die aktuelle politische Lage, den Terror in Paris und die globalen Auswirkungen gehen.
Vorbereitet hatten den Abend die Zwölftklässler. „Obwohl einige von ihnen morgen schon eine Abiturprüfung ablegen“, sagte Schulleiter Thomas Rathmann anerkennend. Im Jahr des Mauerfalls waren bereits mehrere Zeitzeugen zu Gast in der Schule nahe des einstigen Grenzgebiets zwischen Babelsberg und Wannsee. Nun war Wolfgang Ischinger, der selbst eine Tochter an dieser Schule hat, nicht als Vater, sondern als Zeitzeuge eingeladen. Der 68-jährige Jurist und Völkerkundler war unter anderem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Botschafter in den USA und Großbritannien und leitet heute die Münchener Sicherheitskonferenz.
Die Schüler interessierte vor allem, wie Ischinger die innerdeutschen Umwälzungen erlebt hatte. Im Podium saßen neben dem Gast Adrian von der Hagen und Maximilian Baus, die Fragen stellten zu Ischingers Erlebnissen in der Prager Botschaft. Als Mitarbeiter des damaligen Außenministers Genscher war Ischinger vor Ort, als 7000 DDR-Flüchtlinge dort auf ihre Ausreise in den Westen warteten. Sehr bildhaft schilderte er die katastrophalen Zustände auf dem Botschaftsgelände. „Es war sehr kalt in diesem Herbst, es regnete ständig, nur Frauen mit kleinen Kindern durften in das total überfüllte Haus, kampierten selbst im Heizungskeller.“ Vor allem aber litten die Menschen unter der Unsicherheit, waren verzweifelt: Wie lange würde das dauern? Tage? Wochen? Monate? Schließlich begleitete Ischinger einen der Sonderzüge, mit denen die Menschen ausreisen durften. Und erklärte: Der Umweg über DDR-Territorium war nötig, weil die DDR ihre Bürger ordnungsgemäß aus der Staatsbürgerschaft entlassen wollte. Als Polizeibeamte unterwegs zustiegen, um die Ausweise einzusammeln, war die Angst unter den Menschen förmlich zu riechen. Würden sie noch welche aus dem Zug holen? „Ich lief die ganze Nacht lang durch die Waggons, um die Menschen zu beruhigen“, sagt er. Dabei erlebte er auch Kurioses. Manche Ausreisenden wollten mit dem Heimatland gleich eine überflüssige Ehefrau loswerden und sich in der BRD als ledig ausgeben – im Personalausweis der DDR hatte noch „verheiratet“ gestanden. „Ich habe dann erst mal erklärt, dass das Urkundenfälschung und eine Straftat wäre“, sagte der Jurist Ischinger.
Auch nach der damaligen Stimmung im Auswärtigen Amt wurde er befragt. „Wir hatten 1989 keine Ahnung, dass die Mauer fallen würde“, sagt Ischinger. „Wir liefen wie in eine Nebelwand und wussten nicht, kommt dahinter Sonnenschein oder ein Abgrund?“
Die gegenwärtige Krise in der Ukraine sieht auch er kritisch. „Das habe ich natürlich auf die Tagesordnung der nächsten Sicherheitskonferenz Anfang Februar gesetzt.“ Wichtig sei seiner Meinung nach, dass das Schießen dort aufhöre, unabhängig davon, was mit der Krim letztlich geschehen wird. Manchmal sei es besser, kleine Schritte zu gehen. Er halte es da mit dem Prinzip von Egon Bahr, den er sehr schätze. „Er hat Nicht-Lösbares oft ausgeklammert und erst mal kleinere Fragen angepackt.“ Deshalb halte er die Entscheidung der Bundesrepublik, die Ukrainer nicht mit Waffen und Ausrüstung zu unterstützen, auch für richtig. Allgemein mahnte er, die Auswirkungen globaler Konflikte auf Europa und Deutschland nicht zu unterschätzen. Deshalb sei es letztlich natürlich wichtig, den Grundkonflikt zwischen Russland und der Ukraine zu lösen. „Man kann nicht einfach ungestraft Teile vom Nachbarn annektieren, das wäre Wilder Westen“, sagte er. Das könnte sich schnell auf Hunderte ungelöste Grenzkonflikte weltweit auswirken. „Wenn zwischen China und Japan Krieg ausbricht, dann geht zuerst in München das Licht aus. Denn dann kann BMW nicht mehr seine Tausenden Limousinen in Asien loswerden.“
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