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Landeshauptstadt: Was Grünes im Gemüseladen
Schorlemmer sprach sich in Marquardt erneut gegen Garnisonkirche aus
Stand:
Ein wenig abgekämpft wirkt der großgewachsene schlanke Mann jetzt. Mit einer Kaskade aus heiteren und nachdenklichen Anmerkungen hat er gerade zwei Stunden lang die über 100 Leute im Saal bei Laune gehalten. Viele Bücher signiert und auf Fragen geantwortet. Nun hält ihn nichts mehr an seinem Platz. Vielleicht will er jetzt auch einfach nur hinaus, sich in der abendlichen Dämmerung den Nachhall dieses sonnigen Herbsttages ins Gesicht wehen lassen. Das prächtige Wetter an diesem Samstag hatte er schließlich selbst zuvor mit einigen Worten bedacht.
Doch bevor Friedrich Schorlemmer den Saal in der Marquardter Kulturscheune verlässt, blitzt noch einmal die Streitlust dieses intellektuellen Endsechzigers auf: „Die Kirche hat andere Aufgaben, als eine Gedächtniskirche des preußischen Militarismus wieder aufzurichten“, sagt er über die Pläne zum Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche. „Ich kann nicht erkennen, wie man daraus eine Versöhnungskirche machen will“, fügt der Theologe hinzu. Der Tag von Potsdam sei „eine Schande für die Kirche“, wobei er mit Kirche nicht das einstige Gotteshaus in der Breiten Straße meint, sondern die Kirche als Institution. Bischof Dibelius habe an jenem verhängnisvollen 21. März 1933 im Talar – und somit „nicht als Staatsbürger“, sondern als geistlicher Würdenträger, wie Schorlemmer anmerkt, gemeinsam mit Hitler und Hindenburg in der Kirche gesessen. Heute nun wolle man den durch seine Geschichte derart belasteten einstigen Sakralbau „einem Umtaufprozess“ unterziehen. Dies finde er „nicht einsichtig“.
Für genausowenig überzeugend hält der streitbare Theologe und Publizist auch so manch andere Ansicht, die heute als staatstragend bezeichnet werden kann. Das wird schnell deutlich an diesem Nachmittag in Marquardt. Wenn Bundespräsident Joachim Gauck die Soldaten der Bundeswehr als „Mutbürger in Uniform“ lobe, dann, so Schorlemmer, müsse er zugleich auch diejenigen respektvoll erwähnen, die zum Beispiel als Ärzte in den Krisenregionen dieser Welt „Mutbürger ohne Uniform“ seien. Der Krieg in Afghanistan habe das dortige „Problem verschärft und nicht gelöst“.
Aber natürlich, an diesem Nachmittag, an dem Schorlemmer seine kürzlich im Aufbau-Verlag erschienene politische Autobiografie „Klar sehen und doch hoffen“ vorstellt, kommt auch der ehemalige DDR-Pfarrer und Bürgerrechtler in ihm nicht zu kurz. Er, den die Stasi einst im operativen Vorgang „Johannes“ ausspionierte, plädiert heute „gegen die Dämonisierung des Lebens“ in der DDR. Aber „bitte auch nicht eine Verklärung“.
„Wir geben dem Teufel zu viel Raum“, sagt Schorlemmer und meint, man solle nicht immer nur Filme über die DDR drehen, in denen die Stasi vorkommt. Die Bedrängnisse, die Uwe Tellkamp in seinem Roman „Der Turm“ verarbeitet habe, seien zwar in der DDR Realität gewesen, aber das Leben der unfreien Bürger habe auch fröhlichere Facetten gehabt. „Sehr schön“, pflichtet ihm eine Zuhörerin leise, aber vernehmlich bei.
Überhaupt, an diesem Samstag in der Marquardter Kulturscheune hat Schorlemmer das Publikum von Beginn an auf seiner Seite. Mit nahezu kabarettistischen Einlagen versucht sich der Theologe Schorlemmer immer wieder als Menschenfischer. Und wenn man das Schmunzeln und Lachen der Zuhörer als Zustimmung werten darf, dann ist Schorlemmers „Fangquote“ nicht schlecht.
Gleichsam wie in einer zweistimmigen Fuge verwebt der heute als Publizist tätige Schorlemmer Freud und Leid der DDR-Bürger miteinander. „Ulbricht, das war ein widerlicher Machtmensch“, ruft er seinem Publikum zu – und ist sich zugleich nicht zuschade, die Zuhörer in – jedenfalls für Brandenburger Ohren – gekonntem Sächsisch mit einer Parodie Ulbrichts zum Lachen zu bringen. Er wolle keine Erfahrungen verschweigen, die er im totalitären Staat gesammelt habe. Nicht die guten und nicht die schlechten. In der DDR habe er nun einmal nicht jeden Tag an die Stasi gedacht. Das wolle er auch heute nicht einfach ausblenden. Und überhaupt, „wenn man die Atmosphäre einer Zeit nicht in den Blick nimmt, hat man nichts verstanden“, betont der Theologe.
Nach fast zwei Stunden bremst sich der Unterhalter Schorlemmer dann selbst: „Schluss jetzt, also 500 Seiten mit Bildern zwischendrin“, und hält sein – im Gegensatz zum Autor – dickleibiges Werk in den Händen. Doch er wäre nicht der Beinahe-Kabarettist Schorlemmer, wenn er das Publikum an diesem Samstag ohne ein paar DDR-Witze ziehen ließe. Drei Kostproben aus seinem Buch gibt er zum Besten, darunter diese: Warum sollte man in jeden DDR-Gemüseladen einen Polizisten stellen? Antwort: Damit wenigstens etwas Grünes im Laden zu sehen ist. – Spricht’s und signiert anschließend sein neuestes Werk. Holger Catenhusen
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