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Homepage: Wehmut ist immer mit dabei

Der Russland-Fokus bestätigt Klischees

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Der erste Filmblock zum Russland-Fokus der „Sehsüchte“ ist „ Privjet“ überschrieben, zu deutsche Hallo! Er beginnt am Mittwoch mit Verspätung. Was aber nichts macht. Das Klischee besagt, die Russen seien immer zu spät. Und es gibt Birkensaft, russische Kekse und den typischen Brottrunk Kwass am Kinoeingang – damit lässt sich die Wartezeit gut vertreiben. Warten gehört eben dazu in Russland.

Die gängigen Klischees bedienen dann auch die Filme. Einiges ist recht düster geraten, etwa die Animation „Bozhyi Ruki“ („In God“s Hands“). An den Bäumen einer kaputten, trostlosen Stadt hängen die Menschen. Einer kann durch Zufall dem Tod durch den Strang entrinnen, er beruft sich auf Gottes Willen, der ihm das Leben noch einmal geschenkt habe. Doch dem finsteren Treiben ist kein Ende zu setzen. Die Inquisitorin in Frauengestalt sagt, man werde die Sache prüfen – und lässt den Mann aufhängen. Mit Überraschung nimmt man im Publikum zur Kenntnis, dass solch ein grausiger Film von einer Frau gemacht wurde (Tatjana Gorbushina). Warum aber auch nicht, schließlich ist die Sachwalterin des Todes bei ihr auch eine Frau.

Die Rollenverteilung von Frau und Mann in Russland – auch hier werden Klischees bestätigt. Die Frauen werden von den oft noch etwas kindischen, vor der Verantwortung fliehenden Männern angebetet. Die Entscheidungen treffen schließlich die Frauen, überhaupt sind sie die Instanz, die die Familie zusammenhält. Der mit Abstand schönste Film des ersten Russland-Filmblocks war dann „Progulka“ („Let“s go for a walk“) von Julia Kolesnik. Ljoschka und Katarina kennen sich seit ihrer Kindheit. Einen Tag vor Katarinas Hochzeit taucht Ljoschka auf, von der Armee abgehauen gesteht er ihr seine Liebe. Sie machen einen Spaziergang, der alle Pläne ändern könnte.

Die Wehmut ist immer mit dabei. Auch dies ein Klischee von Russland, das die Festivalleiterin Julia Jurtaeva aber gerne bestätigt. „Das wohnt fast allen russischen Filmen inne, auch wenn sie fröhlich sind, das ist eben die geheimnisvolle russische Seele“, sagt die 24-Jährige im Gespräch. Sie selbst ist Russin, aufgewachsen im fernen Kasan, der Hauptstadt von Tatarstan. Seit fünf Jahren lebt sie nun in Berlin, nach dem Grundstudium an der FU fing sie an der Potsdamer HFF an Medienwissenschaften zu studieren. Seit drei Jahren ist sie im Sehsüchte-Team, erst Gästebetreuung, dann Rahmenprogramm und nun, zusammen mit Silvio Divani, an der Spitze.

Seit der Grundschule hat die Russin Deutsch gelernt, dann kam ein Schüleraustausch mit 14 Jahren in Berlin und schließlich trieb sie das Fernweh zum Studium nach Deutschland. Ihre Familie kann sie nur noch einmal im Jahr sehen. „Das fällt schon schwer, da bei uns Russen die Familie eine so große Bedeutung hat“, sagt sie. Die Filme zeigen es. Auffällig oft steht hier vor allem die Mutter-Sohn-Beziehung im Vordergrund. So auch bei dem Film „4+“, der das Festival mit eröffnet hatte. „Bei uns sind die Beziehungen in den Familien viel stärker ausgeprägt als im Westen“, stellt die angehende Filmwissenschaftlerin fest. Das schlage sich auch in den russischen Filmen nieder. Nicht die Identitätskrisen würden im Vordergrund stehen sondern eben die Familie. „Das hat bei uns Tradition, das war schon bei Tarkowskij so“, weiß die junge Russin.

Und wenn sie fertig ist mit dem Studium? Festivalarbeit liegt Julia Jurtaeva, vielleicht in Russland, vielleicht in Deutschland. „Oder in New York – auch eine interessante Stadt“, sagt sie ohne große Aufgeregtheit.

Heute: 15 Uhr, Thalia Kino 3, „Im Osten viel Neues“, Diskussion zu Perspektiven des osteuropäischen Films. 18 Uhr Thalia 2: Filmblock Russland; ab 21:30 Uhr: Party „Please check in to Hotel RotFront“ , Russenhalle in der Schiffbauergasse.

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