Landeshauptstadt: Weihnachten für die Mahmos
Der syrische Junge Semav Mahmo und seine Familie sind als Flüchtlinge seit fünf Monaten in Potsdam. Auch wenn sie als Jesiden das Fest nicht feiern, wollen sie trotzdem etwas Besonderes machen
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Potsdam-West - Ihr Weihnachtsgeschenk haben Semav und seine Familie schon vor zwei Wochen erhalten. Da musste der syrische Junge mal wieder mit seiner Mutter, seinem Vater und seinen beiden Geschwistern zur Ausländerbehörde. Der 14-jährige Semav Mahmo, der so gut Deutsch spricht, hat für seine Eltern übersetzt, wie so oft in den letzten Monaten, als sie sich jeden zweiten Tag auf dem Amt in Eisenhüttenstadt melden mussten. Diesmal aber, vorletzten Dienstag, nun endlich die frohe Botschaft: Die Mahmos dürfen für drei Jahre in Deutschland bleiben. Einen vorübergehenden Pass hätten sie erhalten, erzählt Semav an der Straßenbahnhaltestelle vor der Steuben-Gesamtschule auf dem Weg in ihr Zuhause, zum Flüchtlingsheim am Magnus-Zeller-Platz. „Jetzt wird alles okay“, sagt er nur.
Semav ist seit diesem Sommer in der Schule im Kirchsteigfeld, zusammen mit anderen ausländischen Jugendlichen in einer sogenannten Vorbereitungsklasse – damit sie Deutsch lernen, bevor sie in Potsdam eine Schule besuchen. Viele von ihnen kommen als Flüchtlingskinder aus Krisengebieten: aus dem Libanon, aus Afghanistan. Manche von ihnen sind ohne ihre Eltern bei Verwandten untergekommen, andere haben traumatische Fluchten erlebt – etwa 18 Stunden zu Fuß durch Afghanistan. Wenn ihr Deutsch gut genug ist und sie dazu bereit sind, erzählen sie im Unterricht von ihren Erlebnissen – so weit es eben geht. Semav gehört zu denen, die in kürzester Zeit Deutsch gelernt haben und heute offen davon berichten können.
Er stammt aus Al Qamischli, einer 200 000-Einwohner-Stadt im Nordosten Syriens. Dort ging er zur Schule. Sein Vater Kostantin Mahmo arbeitete als Mathematiklehrer. Doch dann begannen die Unruhen.
Vor inzwischen fast drei Jahren eskalierte der Konflikt zwischen Machtinhaber Baschar al-Assad und oppositionellen Gruppen. „Mein Vater hat gesagt, er hat Probleme mit der Polizei“, erzählt Semav über diese Zeit. „Ich weiß nicht genau, was die Probleme sind.“ Später im Flüchtlingswohnheim wird der Vater davon auf Englisch erzählen: Als Beamter wurde von ihm Treue und Loyalität zum Präsidenten Baschar al-Assad gefordert, er sollte für den Präsidenten einmal die Woche demonstrieren gehen. Er tat es nicht und wurde von der Polizei verhaftet. Die Angst begleitete die Familie fortan. „Man weiß nicht, ob man morgen tot ist“, so beschreibt Semav das vorherrschende Gefühl jener Wochen und Monate. „Hier können wir nicht bleiben“, sagte der Vater und beschloss, mit seiner Familie zu fliehen, wie so viele. Ihre Flucht gelang wie die vieler anderer nur mithilfe von Geld und Schmugglern.
Fast zwei Jahre hat die Odysee der Familie gedauert. Über die Türkei, Griechenland, Italien, die Schweiz bis nach Deutschland. Von Griechenland aus ist Semav von einem ihm fremden Mann mit dem Auto nach Mailand gebracht wurden, später dann in die Schweiz. In Basel sollte er den Zug nach Freiburg nehmen. Die Polizei habe ihn am Freiburger Hauptbahnhof mitgenommen und ihn in ein Kinderheim gebracht, so erzählt er. Eines Tages musste er wieder zur Polizei. Dort zeigten ihm die Beamten das Foto einer Frau und fragten, ob er sie kenne. Es war seine Mutter. Die Polizei half, die Familie wieder zusammenzuführen. Auf dem Berliner Hauptbahnhof sahen sie sich wieder, das war im Sommer: „Das war ein gutes Gefühl. Ich hatte meine Mutter ein Jahr lang nicht gesehen“, sagt Semav. Mehr Worte verliert er nicht über die Erlebnisse, auch nicht über die lange Zeit ohne Mutter und Vater.
Ein Weihnachtsbaum, von seinem jüngeren Bruder in der Grundschule aus grünem Karton gebastelt, steht auf dem dunklen Sofa. Es ist die einzige Dekoration in ihrer Wohnung im Flüchtlingsheim. Eigentlich haben sie sogar zwei Wohnungen, weil sie fünf Personen sind und eine Zwei-Zimmer-Wohnung zu klein wäre. Jetzt haben sie zweimal zwei Zimmer, verteilt auf einem langen Gang, ohne Namen an der Tür, nicht einmal Nummern stehen daran.
Semav und seine Familie kennen Weihnachten nur von der christlichen Bevölkerung in Syrien, sie selbst sind Jesiden, eine religiöse kurdische Minderheit, die mehrere Götter anbetet. Feiern wird Semavs Familie Weihnachten nicht. Aber der Vater hat gesagt: „Wenn wir Weihnachten in Deutschland sind, müssen wir etwas Neues machen.“ Vielleicht verreisen sie, zu Verwandten nach Westdeutschland. Den Weihnachtsmarkt in der Brandenburger Straße kennt Semav auch schon. Er finde ihn schön, sagt er, aber er wundere sich, dass die Leute auf der Straße Alkohol trinken. Sein Vater kennt den Markt nur vom Vorübergehen auf dem Weg zum Sozialamt, wegen des Sozialtickets. Denn der Schulweg seiner Kinder ist 200 Meter zu kurz. Wenn er 4,5 Kilometer lang wäre, hätten Semav und seine Geschwister Anspruch auf eine kostenlose Monatskarte. Der Weg ist aber nur 4,3 Kilometer lang. Den Einspruch hat das Amt nicht gelten lassen. Nun bezahlt die Familie rund 80 Euro monatlich für die drei Kinder. Die Straßenbahn zur Schule müssen sie schließlich trotzdem nehmen.
Das Sozialamt zahlt den Mahmos 1400 Euro im Monat. Im nächsten Jahr braucht die fünfköpfige Familie eine eigene Wohnung. Und Semavs Vater muss sich eine Arbeit suchen. Der 41-Jährige weiß, dass er in Bewerberkategorien die „number 3“ ist, wie er sagt, hinter den Deutschen, hinter den Europäern. Kostantin Mahmo und seine Frau wollen unbedingt zurück nach Syrien. Hoffnung, dass dies bald geschehen wird, macht er sich allerdings nicht. Es werde dauern, bis der Bürgerkrieg in Syrien beendet sei, sagt er. Auch mit einem neuen Präsidenten werde kein dauerhafter Frieden einkehren.
Semav aber will nicht wieder zurück. Er hat hier schnell Freunde gefunden. Er will Abitur machen und Elektroingenieur werden. „Ich bleib da, ich schaff das“, sagt er nur. Grit Weirauch
Grit Weirauch
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