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Ein Jahr Stadt-Kooperation. Ihre erste Sitzung in der Stadtverordnetenversammlung begann mit einer Besetzung des Parlamentes durch Jugendliche (Bild ganz oben), danach folgten weitere Stolpersteine. Doch kaum ein Thema ist für die Kooperation so herausfordernd wie die Jugendkultur, das Vorgehen hier ist umstritten. Eine andere Dauerbaustelle ist der gesperrte Uferweg am Griebnitzsee (rechts), hier schießt die FDP/ Familienpartei quer. Dagegen herrscht Konsens bei Themen wie dem Neubau eines Bades an der Biosphäre (oben) oder dem künftigen Potsdam-Museum (links).

© A. Klaer (3) / S. Schicketanz

Von Jan Brunzlow, Guido Berg und Henri Kramer: Wenig Anspruch, graue Wirklichkeit

Bilanz: Seit einem Jahr gibt es die Rathaus- kooperation aus SPD, CDU/ ANW, Grünen und FDP/ Familienpartei

Stand:

Potsdam galt einmal als unregierbar. Über Jahre musste sich Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) auf wechselnde Mehrheiten stützen, um die Zustimmung zu prägenden Entscheidungen für die Stadtentwicklung zu erhalten. Seit vergangenem November sollte dies anders werden. Einen Monat nach der Kommunalwahl am 27. September handelten die Fraktionen von SPD, CDU/ ANW, Grünen und FDP/ Familienpartei aus, gemeinsam eine Rathauskooperation zu schmieden. Ihre Ansprüche für die künftige Zusammenarbeit formulierten sie in eine neunseitige Vereinbarung. Etwa ein Jahr später ziehen die Partner heute ab 18 Uhr vor Journalisten eine Bilanz ihrer Arbeit.

Dabei können die Kooperations-Mitglieder schon diesen Termin als Erfolg werten. Denn Gegner wie Linke-Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg hatten dem neuen Bündnis keine lange Lebensdauer prognostiziert. Ziel der Kooperation sei die „Ausgrenzung“ seiner Fraktion, so Scharfenberg damals. Umso härter gestaltete sich anfangs der Oppositionskurs der Linken im Stadtparlament – erst seit dem rot-roten Bündnis auf Landesebene will die Partei eine Annäherung an die SPD prüfen. Dort sind die Avancen bisher eher kühl aufgenommen worden.

POLIT-PERSONAL

Die Kooperationsvereinbarung hat die Weichen für das politische Personal an der Spitze der Stadtverwaltung neu gestellt. So schrieb das Papier fest, dass die Grünen das Vorschlagsrecht für den Baudezernenten erhalten und die CDU eine Kandidatin als Kultur- und Schulverantwortliche favorisieren darf: Mit Matthias Klipp und Iris Jana Magdowski arbeiten nun zwei Beigeordnete in Potsdam, die frischen Wind und neue Kontroversen nach Potsdam gebracht haben.

Den wichtigsten Satz des Vertrags birgt Zeile 379: „Die Fraktionen werden in ihren Parteien dafür werben, dass ein Kandidat für das Oberbürgermeisteramt aus ihrer Mitte spätestens in der Stichwahl von allen unterstützt wird.“ Damit hätte Stadtoberhaupt Jann Jakobs (SPD) bei der Oberbürgermeisterwahl im kommenden Jahr wohl die Hilfe von vier Fraktionen sicher, sollte ein zweiter Wahlgang nötig sein. Zudem besitzt die SPD das Vorschlagsrecht für den Nachfolger von Kämmerer Burkhard Exner (SPD) und der Sozialbeigeordneten Elona Müller (parteilos). Als wahrscheinlich gilt, dass die Beiden ihre Ämter noch einmal acht Jahre lang bekleiden dürfen.

HAUSHALT UND FINANZEN

Der Kooperationsansatz eines „ausgeglichenen Haushaltes als übergeordnetes Ziel“ kann unbenommen auch in den nächsten Jahren verfolgt werden. Denn die Formulierung lässt alles und nichts zu. Einen Schuldenabbau wird es wahrscheinlich nicht geben können. So droht in diesem und im nächsten Jahr erstmalig seit einigen Jahren wieder ein Defizit am Ende des Haushaltsjahres. 2010 könnte es bei 20 Millionen Euro liegen. Wirtschaftskrise und höhere Ausgaben für Sozialleistungen engen den Handlungsspielraum der Stadtkooperation ein. Bestandserhalt steht im Vordergrund. Investitionen in der Landeshauptstadt werden daher zum Großteil über die kommunalen Unternehmen – Wohnungen durch die Pro Potsdam, ein Schwimmbad von den Stadtwerken – beziehungsweise mit umfangreichen Förderprogrammen gestemmt.

SCHULE, SPORT, KITA UND FAMILIE

Ein Leitmotiv der Kooperation ist auf den Weg gebracht: Bis zum Ende der Wahlperiode soll der Sanierungsstau an Schulen und Kitas abgebaut sein. Das könnte klappen, denn dafür werden in den nächsten vier Jahren etwa 130 Millionen Euro investiert. Inhaltlich haben die Stadtverordneten keinen Einfluss, die Gestaltungsmöglichkeit beschränkt sich auf die Schul- und Kita-Infrastruktur. Denn Personalschlüssel sind Landesaufgabe, ebenso der Schülernahverkehr.

Alle finanziellen Erleichterungen für Familien müsste die Stadt aus eigener Tasche bezahlen, was angesichts der angespannten Haushaltslage trotz vieler Lippenbekenntnisse in den nächsten Jahren kaum möglich sein wird. Weder ein kostenloser Nahverkehr für Schüler noch eine Änderung der Elternbeitragsordnung bei Kitas und Hort zugunsten der Potsdamer ist zu erwarten. Einzig im Sport wird derzeit kräftig investiert. Mehr als 33 Millionen Euro fließen in das Sportareal Luftschiffhafen, eine bundesligataugliche Sporthalle wird gebaut, auch das Karl-Liebknecht-Stadion wird für acht Millionen Euro saniert – beides dank des Konjunkturpaketes II des Bundes.

BAUEN UND INFRASTRUKTUR

Auf den Bereich Stadtplanung und Bauen hat die Stadtkoalition über die Personalie Matthias Klipp großen Einfluss genommen. Obwohl Klipp noch keine 100 Tage im Amt ist, muss die Potsdamer Zeitrechnung bereits in die Zeit vor und nach Klipp eingeteilt werden. Das liegt nicht allein an dem unbekümmert agierenden 47-Jährigen, sondern auch daran, dass der Sektor unter Vorgängerin Elke von Kuick-Frenz (SPD) zum permanenten Krisenherd verkam. Es ist bezeichnend, dass erst jetzt durch Klipp eine „Task Force“ eingerichtet wurde, um den Stau bei der Erteilung von Steuerbescheinigungen für Investitionen in Baudenkmäler abzuarbeiten. Streitigkeiten um diese Steuerbescheide hatten 2007 im Rahmen der Sanierung der Villa Gericke sogar Oberbürgermeister Jakobs in Erklärungsnöte gebracht. Dass der Bearbeitungsstau bei den Steuerbescheiden allen städtischen Verlautbarungen zum Trotz anhält, muss als besonderes Beispiel bürokratischen Beharrungsvermögens gelten. Dennoch dürfte Klipp, der schon einige weitere Kuick-Frenzsche Knoten durchschlagen hat, die Große Kooperation bislang nicht enttäuscht haben.

Umgekehrt sieht es anders aus: Er sei nach Potsdam gekommen, weil die Stadt jährlich 800 000 Euro für die Verbesserung des Radwege-Konzeptes ausgeben wollen, so Klipp. Diese Summe „verbindlich“ zu berücksichtigen hat sich auch die große Koalition vorgenommen – bislang jedoch vergeblich. Im Haushalt 2009 war diese Summe nicht enthalten, was bei den Grünen für heftigen Ärger sorgt.

Differenzen deuten sich auch beim Thema dritter Havelübergang an. Um die Debatte zu „objektivieren“, soll nach Ende der Verkehrsumgestaltung in Potsdams Mitte ein Verkehrsgutachten in Auftrag gegeben werden, heißt es im Vertrag. Geklärt werden soll, ob Potsdam einen dritten Havelübergang braucht – den allerdings hat Baudezernent Klipp bereits abgelehnt. Das Geld dafür wäre im Ausbau von Nahverkehr sowie Radwegenetz besser angelegt, so Klipp.

Ein anderer Anspruch ist es, den Bau von jährlich 1000 neuen Wohnungen zu befördern. Ein Akzent in diese Richtung war etwa, den Bebauungsplan für einen Studenten-Campus plus Wohngebäuden in Eiche mit einer höheren Priorität zu versehen. Für die nächsten Jahre ist aber noch unklar, wie das ehrgeizige Ziel der vielen neuen Wohnungen wirklich erreicht werden kann.

KULTUR UND SOZIOKULTUR

Seit Jahren gibt es in Potsdam eine Debatte, wie es mit Kultur und speziell der Jugendkultur weiter gehen soll. Doch fallen die Aussagen des Kooperationsvertrags zur Kulturpolitik in der Kulturstadt Potsdam dünn aus. „Wir wollen, dass die vorhandenen soziokulturellen Standorte erhalten bleiben“, ist die griffigste Aussage. Allerdings steht beispielsweise das alternative Kulturzentrum „Archiv“ auch ein Jahr später noch auf der Kippe. Ob die zugesagten 200 000 Euro für nötige Sanierungsmaßnahmen reichen, gilt als ungewiss. Zudem ist das Thema Jugendkultur eines, das die Kooperation spaltet. So gibt es beim „Archiv“ erklärte Vorbehalte bei FDP/Familienpartei und auch der CDU, dass Archiv an seinem Standort Leipziger Straße dauerhaft zu belassen. Zerstritten ist die Kooperation zudem in der Frage, wie mit dem „Freiland“-Vorhaben als Ersatz für das geschlossene Jugendhaus „Spartacus“ umgegangen werden soll. In der SPD ist eine Mehrheit dafür. Auch die Grünen wirken nicht abgeneigt. Dagegen geben sich FDP und CDU äußert skeptisch, ob „Freiland“ realisiert werden sollte.

SONSTIGES

Es gibt auch Punkte in der Kooperationsvereinbarung, die den Stadtpolitikern offensichtlich gleich wieder entfallen sind. So ist ungewiss, was aus der geplanten „Arbeitsgruppe Verwaltungsmodernisierung“ geworden ist. Auch die „nach der Kommunalverfassung mögliche Satzung zur Einwohnerbeteiligung“ blieb bisher nur ein Satz, obwohl sie doch „unverzüglich“ erstellt werden sollte. Nicht zuletzt konnte die Kooperation auch nicht die Sperrung des Uferwegs am Griebnitzsees verhindern. Doch über die Strategie an diesem umstrittenen Stück Potsdam verliert auch der Kooperationsvertrag keinen Satz. Es gibt noch viele offene Punkte, die die „Kooperationäre“ in den nächsten vier Jahren beackern müssen.

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