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Landeshauptstadt: Wenn aus „Potter“„Boter“ wird

Legasthenie-Diagnostiktag der Universität Potsdam zog Eltern und Kinder aus ganz Brandenburg an

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Legasthenie-Diagnostiktag der Universität Potsdam zog Eltern und Kinder aus ganz Brandenburg an Innenstadt – Maximilian mag am liebsten Mathe, aber auch Zeichnen und Sachkunde liegen ihm sehr. Nur mit dem Schreiben, da hapert es halt. Aus „Sie“ wird bei ihm „Eis“, er verwechselt gerne ähnliche Laute, wie g und k oder v und f. Außerdem liest Maximilian langsam, stockend und oft ohne die Sinnzusammenhänge wirklich zu erfassen. Die Lehrerin an der Schule hat den Elfjährigen deswegen schon abgeschrieben. So sieht es jedenfalls Annika Gumprecht, Maximilians Mutter. Sie sagt, für die Pädagogin sei der Junge schlicht und einfach „zu dumm zum richtigen Schreiben und Lesen“. Also lasse die Lehrerin Maximilian im Diktat eben die Hälfte der Fehler durchgehen und schleife den Jungen mit durch. Doch damit ist Annika Gumprecht nicht einverstanden. Für sie leidet der Junge an einer Krankheit: Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS). Deswegen haben die beiden am Sonnabend den weiten Weg aus Bad Freienwalde in die Psychologische Ambulanz der Universität Potsdam auf sich genommen um den Jungen hier am Diagnostiktag kostenlos auf LRS testen lassen. Annika Gumprecht hofft auf eine gezielte Förderung ihres Kindes. Doch eine solche Behandlung will bezahlt werden und da LRS von den Krankenkassen nicht als Krankheit anerkannt wird, kommt in der Regel das Jugendamt für die Kosten auf. Allerdings kostet allein die Diagnose als Grundlage einer solchen Behandlung rund 150 Euro und die müssen die Eltern sonst selbst bezahlen. Susanne Jammers, Leiterin des LRS-Instituts an der Universität Potsdam erklärt die – landläufig auch unter dem Fachterminus “Legasthenie“ bekannte – Störung als einen, „oft genetisch bedingten Defekt der Informationsverarbeitung.“ Legastheniker seien sich meist nicht bewusst, dass Wörter in Silben und Silben in Laute zerlegt werden könnten oder sie hätten Schwierigkeiten verbales Material wie Wörter oder Zahlenketten über einen kurzen Zeitraum im Gedächtnis zu behalten. Deshalb sei ein flüssiges Lesen und richtiges Schreiben für LRS-Patienten nahezu unmöglich. Die Diagnose der Krankheit sei äußerst schwierig, da andere Faktoren wie Seh- und Hördefekte oder eine unterentwickelte Intelligenz ausgeschlossen werden müssten. Zudem sei LRS erst bei Schulkindern ab der zweiten Klasse diagnostizierbar, da die entsprechenden Fertigkeiten bei den Kleinen vorher einfach noch nicht weit genug ausgebildet seien, so Jammers. Vollständig heilbar ist Legasthenie aber auch bei frühzeitiger Diagnose nicht, räumt die Institutsleiterin ein. Durch eine intensive Therapie ließe sich die Krankheit jedoch soweit beherrschen, dass der Patient zumindest durchschnittlich gut schreiben lerne. Für die Kinder ist die Störung, gerade weil sie oft nicht richtig erkannt und behandelt wird, eine große Bürde, die nicht selten zu einem lebenslangen Martyrium wird. Laut Jammers haben Langzeitstudien erwiesen, dass Legastheniker überproportional oft arbeitslos werden. Viele der Kinder erfahren schon früh in ihrer Schulzeit derartig häufig Misserfolge, „dass sie sich davon nie mehr erholen“, so die Expertin. Dabei sind Legastheniker meist auf anderen Gebieten hoch begabt und deshalb um so sensibler für ihre eigenen Unzulänglichkeiten – und die Hänseleien durch ihre Schulkameraden. Etwa vier bis acht Prozent aller Kinder leiden unter LRS, die meisten davon Jungen. Rund 60 Kinder haben sich am Sonnabend dem Test in der Psychologischen Ambulanz unterzogen. Bei 77 Prozent der getesteten wurde zumindest eine Auffälligkeit festgestellt, so dass sie weiter untersucht werden müssen. Der jährliche Diagnostiktag der Potsdamer Universität ist für viele Eltern die einzige Möglichkeit Klarheit über die Lernprobleme ihrer Kinder zu erhalten. Dafür nahm „ein überraschend hoher Prozentsatz“, so Susanne Jammers, auch weiteste Anfahrten aus Oranienburg oder Bad Freienwalde in Kauf. Der kostenfreie Potsdamer Diagnosetag hat sich offensichtlich herumgesprochen. Für Maximilians Mutter hat sich die Fahrt gelohnt, sie weiß jetzt, dass es einen Grund dafür gibt, warum „Max statt der Milch die Saura Sahne auf den Frühstückstisch stellt.“ Sie wird ihren Sohn weiter untersuchen und fördern lassen. Jörg Isenhardt

Jörg Isenhardt

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