
© Ralf Hirschberger/dpa
Landeshauptstadt: Wenn der Bahnchef vorliest
Kita „Sonnenschein“ bekam als erste in Brandenburg den interkulturellen Vorlesekoffer
Stand:
Es ist ein kleiner roter Koffer, der die Kinder in seinen Bann ziehen soll. „Ich bin nicht der Weihnachtsmann“, sagt Rüdiger Grube bei dessen Übergabe an die Fünf- und Sechsjährigen, „sondern derjenige, der in Deutschland dafür sorgt, dass hin und wieder ein Zug vorbeifährt.“ In dem Koffer bringt der Bahnchef der Potsdamer Kita „Sonnenschein“ neun Bücher mit. „Es sind spannende Geschichten darüber, wie Kinder aus anderen Ländern Feste feiern“ – etwa das muslimische Zuckerfest, das chinesische Frühlingsfest oder auch den ersten ausgefallenen Milchzahn. So schildert der Band „Mwangaza und die Geschichte mit dem Zahn“, schön bebildert und nicht zu textlastig, warum in der aus Tansania stammenden Familie der ausgefallene Zahn aufs Dach geworfen und dort vom Raben Kunguru in einen neuen, stabileren umgetauscht wird.
Es ist bei Weitem nicht der erste Koffer dieser Art, mit dem der Bahnchef durch das Land reist. Mit dem sogenannten interkulturellen Vorlesekoffer „Alle Kinder dieser Welt“ haben die Deutsche Bahn Stiftung und die Stiftung Lesen seit 2010 nach und nach einen Großteil der 50 000 Kitas bundesweit ausgestattet. Als erstes Bundesland kam Nordrhein-Westfalen wegen des hohen Migrantenanteils an die Reihe, in diesem Jahr wird das Projekt in den letzten sechs Bundesländern, darunter Sachsen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, abgeschlossen. Brandenburg ist mit seinen 1500 Tageseinrichtungen für Kinder zuletzt dran. Für die rund 59 000 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren, davon sieben Prozent mit Migrationshintergrund, nahm Bildungsminister Günter Baaske (SPD) den Koffer entgegen.
In der frisch renovierten Kita „Sonnenschein“ stammen mehr als zehn Prozent der 190 Kinder aus Indien, der Türkei oder arabischen sowie afrikanischen Ländern. „Sie kommen aus ganz Potsdam, aber auch aus Orten wie Michendorf oder Nuthetal“, sagt Kitaleiterin Conny Friedrich. „Für uns ist Integration schon lange ein Thema, nicht erst seit der Flüchtlingswelle im letzten Jahr.“ Als Konsultations- oder Vorzeige-Kita im Bereich Sprache ist die Einrichtung der Paritätischen Kindertagesstätten gGmbH am Freitag als erste in ganz Brandenburg in den Genuss des Koffers gekommen.
„Warum ist Lesen wichtig?“, fragte Bahnchef Grube in die Runde der jungen Zuhörer. „Dann kann man sich die Bücher selbst vorlesen“, weiß ein Junge. „Lesen und Schreiben ist wichtig, damit ihr ein erfolgreiches Leben habt“, betont Grube. Das rote Gepäckstück, für dessen Inhalt der Carlsen Verlag mit verantwortlich ist, fährt zweigleisig: Vorlesen und Lesen bildet nicht nur, sondern trägt zur Integration bei, so das Credo der beiden Stiftungen. Bei deutschen Kindern wecken die Bücher das Verständnis für fremde Kulturen und Religionen. Bei Kindern mit Migrationshintergrund fördert das Vorlesen die Sprachkenntnisse – und damit ihre Eingliederung. „Sprache bildet die Basis für gegenseitiges Kennenlernen und Verstehen“, betonten Rüdiger Grube und Günter Baaske vor dem Hintergrund, dass die Zahl der Kitakinder mit Migrationshintergrund bundesweit weiter ansteigt. Im vergangenen Jahr seien „zusätzlich 70 000 bis 80 000 Kinder unter sechs Jahren neu nach Deutschland“ gekommen.
Die Kinder drängen sich um Grube, Baaske und Schirmherrin Christina Rau, die abwechselnd die Zahngeschichte vorlesen. Eines soll der Koffer auch leisten: den Spaß am Lesen wecken. So hat der Bahnchef noch einen Tipp: „Lest als erstes Buch bloß nicht Winnetou. Das ist so dick und hat so kleine Buchstaben.“
Isabel Fannrich-Lautenschläger
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: