Landeshauptstadt: Wenn der Dienst krank macht
Hilfe für Helfer: In der Heinrich-Heine-Klinik werden Angehörige von Rettungsdiensten und Polizei behandelt
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Fernsehkommissare müssen Helden sein. Sie lösen kniffelige Fälle und stecken selbst schlimme Erlebnisse bei einer Tasse Kaffee oder Currywurst locker-sportlich weg: den Verkehrsunfall, bei dem die Reanimation des verletzten Kindes erfolglos bleibt, das Überbringen einer Todesnachricht an Familienangehörige oder selbst den Schusswaffengebrauch. Mit dem Alltag echter Polizisten habe das meist wenig zu tun, sagt Rüdiger Höll, Ärztlicher Direktor der Heinrich-Heine-Klinik in Neu Fahrland und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Unter seiner Leitung wurde in den letzten Jahren ein Behandlungskonzept speziell für Polizisten, Feuerwehrleute, Notärzte, Soldaten oder Altenpfleger mit dem Burn-Out-Syndrom aufgebaut.
Höll selbst macht einen ruhigen und aufgeräumten Eindruck. Der 54-jährige gebürtige Franke zog vor sechs Jahren aus Sachsen nach Neu Fahrland. Er schwärmt von der Heinrich-Heine-Klinik, einer der neun Ebel-Fachkliniken Deutschlands. Hier zwischen Wald und Wasser am Ufer des Krampnitzsees baute einst auch die Familie Siemens ihr Anwesen, die repräsentative Villa, einen Steinwurf entfernt vom Klinik-Neubau, wurde bis 1993 als Klinik genutzt und steht seitdem leer.
Die Heine-Klinik ist eine von nur vier Fachkliniken in Deutschland für stationäre Reha-Maßnahmen von Patienten mit posttraumatischen Belastungsstörungen, etwa 300 kommen jedes Jahr nach Potsdam. Der Bedarf sei also gegeben, sagt Höll. Brandenburgs Straßen beispielsweise seien nicht mehr oder weniger gefährlich als in Berlin oder Frankfurt. Mit schweren Unfällen, Gewaltverbrechen und kriminellen Rockerbanden sehen sich Kollegen der Einsatzkräfte hier wie dort konfrontiert. „Und 90 Mal passiert nichts, aber dann gerät man eben doch an einen Täter mit einer Waffe“, so Höll. Der Dauerstress, die ständige Anspannung, die einen auch im Feierabend nicht loslässt, sei ungesund. Hinzu kommt der Schichtdienst in diesen Berufsgruppen, bekanntermaßen eine weitere Belastung.
Studien haben gezeigt, dass sogar jeder dritte Arbeitnehmer im Laufe eines Jahres ein Mal in eine psychosoziale Krise gerät, die behandlungsbedürftig wäre, sagt Höll. Im aktuellen Stressreport Deutschland 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin heißt es, jeder zweite Arbeitnehmer fühle sich gestresst, jeder fünfte am Arbeitsplatz überfordert. Anzeichen für das Burn-Out-Syndrom, ein zwar überstrapazierter aber treffender Begriff, seien beispielsweise hartnäckige Schlafstörungen, depressive Erschöpfungszustände, Ängste, bis hin zu körperlichen Beschwerden. „Oft wartet man dann auf den Urlaub oder greift zu Alkohol und Selbstmedikation, sagt sich, das wird schon wieder“, beschreibt Höll das, was er Verschleppungsprinzip nennt.
Über Monate und Jahre könne sich viel ansammeln, obwohl es gelingt, die Belastung bis zu einem gewissen Grad zu kompensieren. Gelingt das nicht mehr, findet keine Verarbeitung von aktuellen Ereignissen mehr statt, spreche man von einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich mit verfestigten Depressionen und Angstzuständen und körperlichen Beschwerden zeige: vom Magengeschwür bis zum Herzinfarkt – oder im Einzelfall zum Suizid mit der Dienstwaffe führen kann.
Wie viele Betroffene es unter den Einsatzkräften gibt, sei kaum erfasst: Laut einer Studie des Bundesinnenministeriums leiden 25 Prozent aller Beschäftigten der Bundespolizei unter psychischen Belastungen, die Dunkelziffer sei vermutlich noch höher. Als Grund werde Stellenabbau und erhöhter Leistungsdruck genannt. Auch Höll hat das aus den Gesprächen mit Betroffenen erfahren.
Ein zusätzliches Problem: Die eigene Erkrankung werde oft verdrängt. Zwar gebe es Angebote wie psychologische oder seelsorgerische Beratung, manche Dienststellen bieten auch Schulungen zum Selbstmanagement an. Doch den Weg zum Dienstarzt müsse jeder selbst finden – oder mit Hilfe eines Burnout-Lotsen. „Das sind speziell ausgebildete Kollegen, die dafür sensibilisiert sind, Kollegen anzusprechen und auf ihr Problem aufmerksam zu machen“, sagt Höll. Bundesweit gebe es bereits 300 solcher Lotsen, auch in Berlin. In Potsdam hat man davon noch nichts gehört, sagt Polizeisprecherin Ingrid Schwarz. Hier werde zurzeit ein Kurs „Selbstmanagement am Arbeitsplatz“ angeboten und sehr gut angenommen. Nicht immer reicht das, meint Höll. „Man kann auch beim Auto nicht jahrelang nur Benzin und Öl nachkippen, das fällt dann eines Tages auseinander“, sagt er.
Das von ihm entwickelte Therapiekonzept für die Bedürfnisse dieser Berufsgruppen sei allerdings ein Stück harte Arbeit: „Das ist nicht wie bei einer Blinddarm-OP, wo man in Narkose liegt, hier muss man wach sein und aktiv mitmachen“, sagt der Arzt: bei Einzel- und Gruppengesprächen, Körpertherapien, Qi Gong, Drachenbootfahren auf dem Krampnitzsee als Team-bildende Maßnahme. Der Stockkampf soll das Selbstbewusstsein aufrichten, Bogenschießen eigne sich hervorragend, den Wechsel zwischen Anspannung, Halten und Loslassen zu üben, sagt Höll. Wenn seine Patienten die Klinik wieder verlassen, wissen sie, wie sie verantwortungsvoll mit sich und ihrem Körper umgehen, sagt Rüdiger Höll.
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