
© A. Klaer
Landeshauptstadt: Wenn der Nachwuchs nicht kommen will
Seit drei Jahren gibt es in Potsdam das Kinderwunschzentrum für Paare, bei denen es von allein nicht klappt
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Im Wartezimmer gibt es eine kleine Spielecke. Das bunte Plastikparkhaus ist das einzige Indiz, das in der Praxis von Dr. Kay-Thomas Moeller vordergründig auf Kinder schließen lässt. Denn manche Paare kommen wegen eines Geschwisterkindes ins Kinderwunschzentrum, und so verbreitet das Spielzeug doch ein bisschen Hoffnung, findet der Arzt. Babyfotos all der Kinder, denen hier auf die Sprünge geholfen wurde, hängen erst versteckt im Ruhe- und Aufwachraum neben dem OP.
Nicht, weil Moeller und sein Team nicht stolz auf die Erfolge wären. Doch es falle vielen Paaren ohnehin schwer, in die Praxis zu kommen, oftmals suchen sie den Erstkontakt anonym per E-Mail. Niemand soll deshalb gleich zu Anfang mit Bildern seines sehnlichsten Wunsches konfrontiert werden. „Das frustriert noch zusätzlich“, sagt er. Stattdessen sind die weitläufigen Räumlichkeiten hoch oben über den Bahnhofspassagen neutral gestaltet, mit modernen Möbeln und unverfänglichen Kunstgegenständen. Moeller sieht sich als Dienstleister. Wer hierher kommt, soll sich entspannen, wohlfühlen, und vor allem nicht lange warten müssen, jetzt, wo die Paare womöglich schon zu lange gewartet haben.
Ein halbes Jahr kann es dauern, bis man unter normalen Umständen schwanger wird, sagt der Facharzt für Anästhesie und Gynäkologie, Schwerpunkt Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. Doch was ist normal, wenn man sich ein Kind wünscht? Beide Partner sollten im Idealfall unter 25 Jahre alt sein, gesund und am besten „frisch verliebt“, woraus sich automatisch eine verlässliche Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs ergibt, erklärt Moeller. Dann sind etwa 80 Prozent der Paare nach einem halben Jahr schwanger. Die verbleibenden 20 Prozent gehören genau genommen bereits zu seiner Klientel. Und er ergänzt: „Ab dem Alter von 35 nimmt die Erfolgsquote bei einer Kinderwunschbehandlung von Frauen rapide ab.“ Wer dann noch wartet, entscheide sich nicht für ein Kind – sondern eigentlich gegen ein Kind, sagt er. Er wünsche sich deshalb, dass Paare in so einer Situation so zeitig wie möglich Hilfe suchen.
Das Kinderwunschzentrum, bisher das einzige im Land Brandenburg, gibt es seit drei Jahren. 2010 eröffnete Kay-Thomas Moeller aus Berlin, wo er Teilhaber einer Praxis war, in Potsdam in der obersten Etage über dem Hauptbahnhof seine eigene. Mit 16 Mitarbeitern, darunter zwei Ärzten und einem Laborleiter, der mit seinen ruhigen Händen über das Zelllabor herrscht, ein kleiner Raum mit hohen Sicherheits- und Hygienestandards.
Anfangs war Moeller skeptisch, ob gerade der Bahnhof die richtige Lage war. Heute ist er froh über seine Entscheidung – nicht nur wegen der beneidenswerten Aussicht über Potsdams neue Mitte mit dem wiederentstehenden Stadtschloss. Seine Patienten kommen aus Berlin und ganz Brandenburg, die Nahverkehrsanbindung war ihm letztlich wichtiger als der Schick einer vielleicht klassizistischen Villa am Stadtrand. Moeller weiß, dass er Prioritäten setzen muss. Es geht um alles oder nichts auch für diejenigen, die hier vor seinem Schreibtisch sitzen. Sich offenbaren, ihre gefühlte Niederlage, eine „narzisstische Kränkung“, wie Moeller sagt: „Warum bekomme gerade ich kein Kind?“ Das sei ein schwerer Schritt.
Von Anbeginn war die Praxis voll, eine genaue Zahl will Moeller jedoch nicht preisgeben. „75 Prozent aller Paare, die hier herkommen, gehen früher oder später schwanger nach Hause.“ Etwa 250 Kindern hat er bisher indirekt oder direkt – zählt man die Befruchtung im Zelllabor als Beginn des Lebens dazu – auf die Welt geholfen. Wenn es nach einer Behandlung in der Praxis zu einer Schwangerschaft kommt und das Herz des Embryos etwa in der siebenten Woche zu schlagen beginnt, ist für ihn die Arbeit getan. Dann verabschiedet er die werdenden Eltern in die Obhut eines Gynäkologen und Geburtshelfers. Entwickelt sich alles positiv und wird ein Kind geboren, hat er bis jetzt fast immer eines Tages Besuch bekommen – von Eltern und Kind. Oder sie schickten ein Babybild. „Wir verfolgen das natürlich auch von uns aus weiter“, sagt Moeller, schon wegen der Statistik.
Die 120 Kinderwunschzentren Deutschlands sind untereinander vernetzt, ihre Daten fließen zusammen und werden ausgewertet. Es ist ein sensibles Feld, die Praxis ein hochspezialisiertes Minikrankenhaus mit komplizierten Sicherheitsauflagen, regelmäßig habe er den TÜV im Haus, sagt Moeller, denn schließlich werde hier mit Lebendmaterial, mit Eizellen und Sperma, hantiert. Es gibt ein sogenanntes Herrenzimmer, mit Laptop und Ledersofa, niemand muss hier für eine Spermaprobe auf die Toilette. Um an die Eizellen ranzukommen, führt am OP allerdings kein Weg vorbei. Nicht jedes Paar braucht jedoch eine Behandlung per In-Vitro-Fertilisation, bei der die von der Frau entnommene Eizelle mit dem Sperma des Mannes außerhalb des Körpers befruchtet wird, oder eine Befruchtung sogar per Spermieninjektion direkt in eine Eizelle vorgenommen wird. Unerfüllter Kinderwunsch kann viele Ursachen haben, hormonelle Störungen, physische oder auch psychische. Laut Umfragen ist etwa jedes siebente Paar in Deutschland davon betroffen. Für eine Behandlung im Kinderwunschzentrum müssen Paare nicht verheiratet sein, die Diagnostik wird in jedem Fall von der Krankenkasse bezahlt, sagt Moeller. Die Kosten der weiteren Behandlung werden zumindest bei verheirateten Paaren in der Regel von den Kassen übernommen.
Es geht jedoch nicht nur um die klassische ungewollte Kinderlosigkeit. Zu ihm kommen auch Frauen oder Männer vor einer Chemotherapie, die eigene Eizellen oder das Sperma für sich selbst spenden und einfrieren lassen wollen. Das muss manchmal sehr schnell gehen. Es kommen auch gleichgeschlechtliche Paare mit Kinderwunsch zur Beratung: Nicht alles, was medizinisch möglich ist, ist in Deutschland legal. Auch das Einpflanzen von fremden Eizellen ist beispielsweise in Deutschland bisher nicht erlaubt. „Das wird mit Haftstrafen geahndet“, sagt Moeller. „Ich verstehe das nicht. Das wird sogar im katholischen Polen praktiziert.“
Und noch etwas kann sich der erfahrene Arzt nicht so recht erklären. Er habe schon Paare gehabt, die besonders lange auf ein Kind gewartet hatten – und beim Erstgespräch in der Praxis plötzlich entdeckten, dass die Frau bereits schwanger war. Ein zwar unerklärliches, aber erfreuliches Phänomen, findet Moeller.
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