
© J. Bergmann
Ein Krimi-Autor sucht Inspiration in Potsdam: Wenn Deutschlehrer verschwinden
Raimon Weber, Krimi-Autor aus Westfalen, schreibt einen Thriller, der 1989 in Potsdam spielt. Damit alles stimmig ist, geht er selbst tagelang in der Stadt spionieren und besucht alte Genossen.
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Potsdam - Das darf nicht wieder passieren. Dass der Kommissar seines Buches eine Straße falsch herum befährt. So geschehen in einem seiner Morgenstern-Krimis, die in Potsdam verortet sind. Prompt kamen Anrufe. Die Wollestraße in Babelsberg sei doch eine Einbahnstraße! „Die Potsdamer sind eben aufmerksame Leser“, sagt Krimi-Autor Raimon Weber. Dieses Mal will er alles richtig machen. Gerade arbeitet er an einem Thriller, der nur wenige Wochen nach der Wende im November 1989 spielt. Die Handlung ist wieder in Potsdam angesiedelt. Und Weber, der aus dem ländlichen Nordrhein-Westfalen stammt, ist seit Monaten in und um Potsdam unterwegs – auf Recherche.
Natürlich nicht nur wegen der Straßenführung. Weber will wissen, was damals im Wendechaos so los war, vor allem im Milieu von Grenzer und Polizei, da, wo sich Bürger und Staatsautorität plötzlich unter ganz anderen Umständen begegneten. Ein prima Set-up für einen Krimi. „Alles ist Chaos, ein Staat praktisch in Auflösung, ein rechtsfreier Raum, und die Stasi schreddert ihre Unterlagen – das ist doch total spannend“, sagt Weber bei einem Treffen im Café Heider, auch das ein Ort, der im Buch ein Rolle spielt. Hier wird Weber vielleicht ein Treffen des Volkspolizisten mit der Gerichtsmedizinerin stattfinden lassen. Direkt vor dem Café, damals Treffpunkt für Künstler, Aussteiger und Stasi, liefen im Herbst 1989 Demonstranten die Straßen hinunter und wurden noch bis kurz vor dem 9. November verhaftet. „Zugeführt, so hieß das doch im DDR-Jargon“, sagt Weber. Auch den Stasi-Knast in der Lindenstraße, heute eine Gedenkstätte, hat er besucht.
Wie kommt ein Westfale dazu, einen Potsdamer Krimi zu schreiben?
Wie kommt jemand aus Unna in Westfalen dazu, einen Potsdamer Krimi zu schreiben? In die Ost-Mentalität verliebte er sich vor einigen Jahren, als er zwangsweise, weil es der Plot erforderte, einen Teil einer anderen Geschichte im sächsischen Döbeln ansiedeln musste. Da war schon vieles saniert, aber der Verfall, die Ruinen in zweiter Reihe, das hatte es ihm angetan. Potsdam ist natürlich schöner, aber immer noch Provinz genug, um dem Leser einen Überblick zu bieten. Berlin, das ist ihm zu groß für einen Krimi.
Das neue Buch hat noch keinen Namen, aber schon einen Protagonisten, einen Hauptmann der Volkspolizei. Ein zäher Hund, sagt Weber, einer, der ehrgeizig ermittelt. Es gibt mehrere Tote, eine Leiche zum Beispiel im Jungfernsee, viele komische Dinge, die anfangs scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Und dann ein überraschendes Ende. So muss ein guter Krimi sein. Weber zieht den Leser dabei gern dicht hinein, auch auf der psychischen Ebene. Es soll dem Leser wehtun, sagt er, mit einem feinen Grinsen im Gesicht.
Lieber das Außergewöhnliche
Das Außergewöhnliche war Weber, der demnächst 55 Jahre alt wird, schon immer lieber als Mainstream. Als Kind las er Erwachsenenbücher, je blutiger und bizarrer, desto besser. Er machte eine kaufmännische Lehre und begann irgendwann zu schreiben. Seitdem erschienen zahlreiche Krimis, als Print, E-Book, Hörbuch. Rechtzeitig zur Buchmesse gibt es Webers E-Book „Die geheimen Akten des Sir Arthur Conan Doyle“ nun auch als Print.
Wer vom Schreiben leben will, sagt Weber, muss einigermaßen diszipliniert und effektiv arbeiten. Für seine früheren Hobbys, Schlagzeug spielen, Motorrad fahren, hat er momentan keine Zeit. Im April ist Manuskript-Abgabe, bis dahin wird er weiter recherchieren und schreiben. An der Wand neben seinem Schreibtisch hängen große weiße Blätter, auf denen er das Gefüge der Story festhält. Die Geschichte an sich hat er längst fix und fertig im Kopf. Wenn man das Ende nicht kennt, sagt er, braucht man mit dem Schreiben gar nicht erst beginnen.
Mit Mantel und Notizblock durch Babelsberg
Zurzeit arbeitet er am Feinschliff. Auf seinen Erkundungstrips in der Stadt schaut er dabei selbst ein bisschen aus wie „Columbo“, immer im Mantel und mit kleinem Notizblock in der Hand. Dann geht es durch Babelsberg, in der Tuchmacherstraße soll der Hauptmann wohnen. Weber schaut sich die Kneipen im Kiez an, Klein Glienicke um die Ecke, das ehemalige Grenzgebiet.
Sein Potsdamer Literaturagent machte zudem einen ehemaligen Volkspolizisten ausfindig. Das sei gar nicht so schwer gewesen, die Leute erzählen gerne von früher. Für den Autor ist das eine wichtige Quelle. Der Ex-Vopo erzählte, wie man damals arbeitete, wie die Genossen in der DDR ausgerüstet waren. „Gar nicht so schlecht“, sagt Weber. Einen Computer oder Videorecorder hatte damals allerdings keiner auf der Wache. Sein fiktiver Hauptmann, der eine Video-Kassette zugespielt bekommt, wird sich also etwas einfallen lassen müssen, um sie abzuspielen. Es gab ja noch die Stasi, sagt Weber, und „die Jungs ohne Uniform“ waren technisch super ausgestattet. Selbstverständlich spielt auch die Stasi eine Rolle in seinem neuen Krimi, es ginge ja gar nicht anders. „Die waren überall.“ Die Verbrechen, eine Mordserie, haben allerdings einen anderen Hintergrund, deutet er an.
Suche nach authentischen Alltagsdingen
Auch Schloss Lindstedt, damals Sitz der Gerichtsmedizin, hat er sich bei seinem letzten Potsdam-Besuch angeschaut. Und ist begeistert. Der Ort habe so etwas schaurig Schönes. Was ihm jetzt noch fehlt, sind interessante Kleinigkeiten. Zum Beispiel will er wissen, was man damals getrunken und gegessen hat. Alltagsdinge. Vieles finde man ja im Internet, aber wenn ihm die Menschen persönlich so etwas erzählen, sei das doch viel authentischer. Immer empfänglich ist er für außergewöhnliche Todesarten oder besondere Orte, und was er dieses Mal nicht verwendet, hebt er sich für ein anderes Buch auf. Er ist eine Art Sammler. Auch von Charakteren. Wer ihm blöd kommt, sagt er lächelnd, findet sich vielleicht als Leiche im nächsten Buch wieder. So habe er eines Tages seinen ungeliebten Deutschlehrer verarbeitet.
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