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Landeshauptstadt: Wenn es ein richtiges Parlament wäre

Der Potsdamer Politologie-Professor Jürgen Dittberner erklärt, warum Europa für die Bürger so uninteressant ist. Notwendig wäre der Schritt vom Staatenbund zum europäischen Bundesstaat

Stand:

Herr Professor Dittberner, warum wird die europäische Integration von den Bürgern als so unsexy wahrgenommen?

Weil es unüberschaubar ist. Es gibt über 700 Europa-Abgeordnete aus fast 30 Staaten, die zur Europäischen Gemeinschaft gehören. Keiner weiß so genau, welche Kompetenzen hat das Europaparlament, wie ist das mit der Kommission, wie sieht das mit dem Ministerrat aus. Es ist nicht so überschaubar wie die Bundespolitik. Es wird auch nicht soviel in den Medien über Europa berichtet. Die Bürger sehen die Vorschriften, die aus Brüssel kommen, hören etwas von Bananen, die eine bestimmte Größe haben sollen

die Bananen-Debatte ist aber schon lange her

es kommen immer wieder neue Bananen, im übertragenen Sinn. Die Bürger sehen allerdings auch nicht, dass viele Mittel, gerade für Brandenburg, im Rahmen der verschiedenen Förderprogramme aus Europa kommen.

Für Geld ist echte Liebe eben nicht zu haben.

Offenbar nicht. Etwas anderes wäre es, wenn die Personalisierung stärker wäre. In Deutschland weiß man, wenn man beispielsweise die CDU wählt, dann wählt man Angela Merkel uns so weiter. In Europa ist das anders; es gibt keine Wahl von Repräsentanten, es wird nur ein riesiges unüberschaubares Parlament gewählt mit vielen Fraktionen. Ein Aspekt ist auch, dass von den über 700 Abgeordneten nur 99 aus Deutschland kommen. Ohnehin hat man deshalb das Gefühl, man kann nur zum Teil mitbestimmen.

Sie haben die Rolle der Medien angesprochen. Fehlt es an einer europäischen Öffentlichkeit?

Das denke ich schon. Das liegt aber auch daran, dass die europäischen Institutionen zu kompliziert sind. Wen interessiert es eigentlich, was die europäischen Fraktionen machen? Dann die vielen Sprachen, die vielen Länder – das ist alles unüberschaubar und es lässt sich nicht zugespitzt darüber berichten wie eben über die Bundespolitik. Die Bürger halten die Bundespolitik für den wichtigsten Politikbereich, Kommunalpolitik, Länderpolitik und Europapolitik kommen dahinter.

Überschaubar ist, was einfach ist. Wäre das klassische Demokratiemodell mit Legislative, Exekutive und Jurisprudenz nicht besser geeignet als der Zuständigkeits- und Verfahrensmischmasch der Europäischen Union?

Europa ist ja kein Bundesstaat, sondern ein Staatenbund. Die nationalen Regierungen wollen natürlich keine weiteren nationalen Kompetenzen abgeben. Sie wollen auch in Europa letzten Endes den Hut aufhaben. Darum ist ja auch der Ministerrat nach wie vor so ein wichtiges Organ. Die nationalen Regierungen haben gar kein Interesse daran, dass etwa ein europäischer Präsident gewählt wird. Oder dass das europäische Parlament direkt die europäische Regierung – also die Europäische Kommission – wählt.

Dabei ist die nationale Gesetzgebung bereits jetzt zu einem großen Teil nichts anderes als die Umsetzung europäischer Richtlinien. Wenn das Europaparlament zu wenige Kompetenzen hat – haben wir dann nicht ein Legitimationsproblem in Europa?

Das ist so. Ein Parlament muss vor allen Dingen eine Regierung wählen können, es muss eine Regierung kontrollieren und sich mit ihr auseinandersetzen können. Bloß daran haben die nationalen Regierungen kein Interesse. Die Bundesregierung wird vom Bundestag gewählt. Aber die Kommission wird nicht in klassischer Form vom Europaparlament gewählt. Es ist auch nicht so, dass klassische Rechte wie das Haushaltsrecht beim Europaparlament liegen. Wenn das alles wäre, wenn es ein richtiges Parlament wäre, dann wäre das für die Bürger interessanter. Freilich, das Europaparlament versucht ja, sich Kompetenzen an Land zu ziehen, aber wie gesagt, das Gegengewicht sind immer noch die nationalen Regierungen.

Was wünschen Sie sich für Europa?

Wenn man sich mehr Interesse der Bürger wünscht, müsste schon der Schritt gewagt werden vom Staatenbund weg zum Bundesstaat. Das würde aber bedeuten, dass große Staaten wie Deutschland Souveränitäten abgeben müssten an Europa. Aber das werden sie nicht so ohne Weiteres tun. Es gibt ja einen Vergleich von der Größenordnung her, die Vereinigten Staaten von Amerika. Man könnte einen europäischen Präsidenten haben, ein Parlament mit zwei Kammern, eine mit den direkt gewählten Abgeordneten und eine weitere, in der die Bundesstaaten vertreten sind. Aber soweit wird es nicht gehen.

Sie sprechen von den Vereinigten Staaten von Europa.

Die sind es eben bis dato noch nicht. Sondern es ist die Europäische Gemeinschaft. Jeder Mitgliedsstaat möchte seinen Haushalt, seine wichtigen Gesetze, seine Armee behalten. Nur widerwillig werden Teile der Souveränität abgegeben.

Glauben Sie, dass die Europaabgeordneten fleißig genug sind, dass sie bürgernah genug sind?

Ich glaube schon, dass sie fleißig sind. Aber sie arbeiten wie im luftleeren Raum. Die Leute wissen nicht einmal genau, ob sie gerade in Brüssel tagen oder in Straßburg. Das ist nichts, was die Transparenz fördert. Ich denke, dass die Abgeordneten die Machtfrage stellen müssen gegenüber der Kommission, die ja so eine Art europäische Regierung sein soll, aber letzten Endes doch von den nationalen Regierungen bestimmt wird. Die Macht sitzt nach wie vor in den Hauptstädten der Mitgliedsstaaten.

Sie sind Emeritus, Sie geben ihren Lehrstuhl an der Universität Potsdam aus Altersgründen ab. Welche Bilanz ziehen Sie als Politologe?

Gerade hier in Potsdam war eine wichtige Aufgabe für mich, Multiplikatoren wie etwa Lehrer und Studienräte für die parlamentarische Demokratie, wie sie im Grundgesetz formuliert ist, zu begeistern. Ob mir das durchgängig gelungen ist vermag ich nicht zu beurteilen. Es ist ja ein Riesenproblem, dass nach der Wiedervereinigung eine neue politische Kultur von Innen heraus erwachsen muss. An dieser Aufgabe werden auch künftig noch weitere mitwirken können. Das ist eine Aufgabe, die nie beendet ist.

Kam es vor, dass Politiker bei Ihnen, dem Politologen, um Rat nachgefragt haben?

Das kommt schon vor. Aber meistens wissen die ja alles besser. Eigentlich ist es sogar umgekehrt, dass wir Politiker zu uns an die Uni holen und sie aus der Praxis berichten und sich darstellen. Sie mögen es ja, wenn sie auf der Bühne stehen.

Das Interview führte Guido Berg.

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