
© A. Klaer
Landeshauptstadt: Wenn Opa nicht mehr spricht
Bei Älteren mit Depression ist die Scheu vor dem Arzt groß. Experten diskutierten, wie man helfen kann
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Es ist eine Krankheit, die einsam macht – und Angehörige oder Freunde oft hilflos zurücklässt: Betroffene ziehen sich zurück, sprechen kaum noch, vernachlässigen frühere Hobbys und Interessen, konsultieren den Arzt mit körperlichen Beschwerden, für die dann keine Ursache gefunden wird, fühlen sich missverstanden. Dabei endet eine Depression für mindestens jeden siebenten Erkrankten sogar tödlich – mit Selbstmord. Ein Blick in die Statistik lässt Experten wie Christian Kieser, den Chefarzt der Psychiatrie des städtischen „Ernst von Bergmann“-Klinikums, aufmerken: Rund 42 Prozent aller Selbstmorde in Deutschland gehen mittlerweile auf das Konto von Menschen, die 60 Jahre oder älter sind.
Wie sich Depressionen im Alter äußern, welche Behandlungsmöglichkeiten und Präventionsangebote es in Potsdam gibt und welche noch fehlen, darüber diskutierten die geschätzt gut 100 Teilnehmer der Konferenz „Depression im Alter“, zu der das Potsdamer Bündnis gegen Depression am Dienstagnachmittag in den Nikolaisaal eingeladen hatte.
Die wichtigste Botschaft: Depressionen sind gut behandelbar, sei es mit Medikamenten oder Psychotherapie. Aber Psychiatriechef Kieser weiß auch, dass gerade bei Älteren die Scham oder Scheu sehr groß ist, Hilfe bei einem vermeintlichen „Irrenarzt“ zu holen. Wie schwierig das in der Praxis auch für Angehörige werden kann, wurde deutlich, als eine Konferenzteilnehmerin von der Krankengeschichte ihres verstorbenen Mannes berichtete: Er habe sich immer mehr zurückgezogen, schließlich gar nicht mehr mit der Familie geredet. Auf besorgte Nachfragen habe er nur ablehnend reagiert: „Er hat nichts eingesehen, in seinen Augen waren wir diejenigen, die sich verändert hatten“, berichtete die Frau. Einen Termin mit einem Psychologen, den sie für ihren Mann vereinbart hatte, habe er kommentarlos abgesagt.
„Für diese Situationen gibt es keine Patentlösung“, sagte Christian Kieser. Er empfiehlt Angehörigen, die eine Notsituation vermuten, den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt oder das Klinikum zu kontaktieren. Gleichzeitig verwies er auf bestehende Defizite: So müssten etwa Hausärzte, Apotheker und das Personal in Pflegeeinrichtungen gezielt geschult werden, Anzeichen für eine Depression bei Älteren richtig zu deuten.
Auch die Einrichtung einer sogenannten Krisenwohnung, die Stadt und Klinikum seit etwa zwei Jahren anstreben, ist momentan noch unsicher, wie die Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger (parteilos) sagte.
Das auf drei Jahre angelegte Vorhaben steht und fällt mit der Finanzierung durch die Krankenkassen – auf einen Bescheid warte man jedoch noch. In der Krisenwohnung sollen Menschen, die sich etwa akut überfordert fühlen, unkompliziert und rund um die Uhr Hilfe erhalten, „ohne gleich eine Diagnose gestellt zu bekommen“, erläuterte Kieser die Idee. Gleichzeitig sollen die Mitarbeiter erkennen, ob ein Hilfesuchender etwa selbstmordgefährdet ist und stationär versorgt werden muss.
Auf Prävention setzt dagegen ein neues Projekt des Sekiz (Selbsthilfe-, Kontakt- und Informationszentrum): Unter dem Motto „Generation Gemeinsam – statt einsam“ sollen einsame Ältere durch sogenannte Generationsbegleiter bewegt werden, wieder Kontakte zu knüpfen, erklärt Sekiz-Leiterin Angelika Tornow. „Wir wollen einsame Menschen in ihrem Lebensbereich abholen.“ Einsamkeit ist nicht nur Folge einer Depression, sondern auch Risikofaktor für eine Erkrankung. Für das Projekt suche man noch Ehrenamtler.
Kritik gab es am Dienstag auch an Pflegeheimen: Die Atmosphäre sei vielfach „nicht lebenswert und auch nicht gesund machend“, sagte Elona Müller-Preinesberger. Es sei fraglich, ob die aktuelle Form von Pflegeheimen Depressionen vorbeuge. Die Sozialbeigeordnete regte an, Pflegewohnungen und normale Wohnungen in einem Haus zu kombinieren: „Wir sind aufgerufen, quer zu denken.“
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