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Landeshauptstadt: Wenn’s in Wannsee knallt, müssen die Taxifahrer ran Babelsberger protestieren gegen Forschungsreaktor Berliner Abgeordnete fordert Moratorium

Babelsberg - Rainer Scholz vom Katastrophenschutz Potsdam hat den größten anzunehmenden Unfall schon oft durchgespielt: Das Telefon klingelt, das Helmholtz-Zentrum Berlin ist dran. Es gibt Probleme am Forschungsreaktor in Berlin-Wannsee, vier Kilometer von Babelsberg entfernt.

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Babelsberg - Rainer Scholz vom Katastrophenschutz Potsdam hat den größten anzunehmenden Unfall schon oft durchgespielt: Das Telefon klingelt, das Helmholtz-Zentrum Berlin ist dran. Es gibt Probleme am Forschungsreaktor in Berlin-Wannsee, vier Kilometer von Babelsberg entfernt. Eine radioaktive Wolke ist ausgetreten. Es wird ernst: Scholz trommelt den Führungsstab zusammen und alarmiert Potsdams Taxifahrer, das ist Teil des Notplans: Die Fahrer sollen im atomaren Ernstfall die Verteilung von 600 000 Jod-Tabletten übernehmen – noch nie ist der Fall eingetreten, darauf wollen sich immer weniger Babelsberger verlassen.

Am Montagabend hatte die Bürgerinitiative Babelsberger Park zu einer Infoveranstaltung zum nahen Reaktor eingeladen. Rund 80 Gäste waren gekommen, sie wollten wissen, was im Notfall zu tun ist. Ein Bericht des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ über Sicherheitsmängel in der Anlage hatte viele aufmerksam gemacht. Der Ingenieur Thilo Scholz, ein leitender Ex-Mitarbeiter der Anlage, hatte von einen Riss im Kühlsystem berichtet. Bei einem Störfall könnte Radioaktivität austreten. Am Montag war Scholz in Babelsberg. Die Angst konnte er den meisten Zuhörern nicht nehmen.

„Man versucht mit einem Fahrradreifen Ferrari zu fahren“, sagte er. Im vergangenen Herbst hatten Techniker den Reaktor für Wartungsmaßnahmen heruntergefahren. Scholz hatte den Ersatz einiger Bauteile angemahnt, er wurde entlassen. Im August soll der Reaktor die Arbeit wieder aufnehmen – nach einem Stresstest.

„Es sind leider diejenigen am Stresstest beteiligt, die über gewisse Dinge hinweggehen“, mahnte Thilo Scholz. Er sei kein Atomkraftgegner, aber sicher müsse sie sein. Gegenüber den PNN hatte das Helmholtz-Zentrum Scholz’s Kritik als „böswillige Falschaussage“ zurückgewiesen. Es gäbe keinen Riss im Kühlsystem – sondern nur eine undichte Trennwand. Der Mangel sei nicht „sicherheitsrelevant“. Daran mag Ingenieur Scholz nicht glauben. Mit seiner Entlassung sollte sichergestellt werden, „dass ich Dinge nicht sehe, die ich nicht sehen soll.“

Diese Zweifel sollen nun aus dem Weg geräumt werden: Der Umweltausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses forderte zeitgleich zur Debatte in Babelsberg ein Moratorium für den Forschungsreaktor. Erst nach „vollständiger Sicherheitsüberprüfung“ solle über den Weiterbetrieb entschieden werden, dabei sollen auch „atomkritische Wissenschaftler“ einbezogen werden.

Einer davon könnte Sebastian Pflugbeil sein. Der Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz war ebenfalls Gast in Babelsberg. In Vorbereitung hatte sich der Experte vergeblich um Daten zu Krankheitshäufungen in der Umgebung des Reaktors bemüht. „Es ist mir nicht gelungen.“ Die wenigen Zahlen die vorlägen, wiesen jedoch eine Belastung bei Normalbetrieb des Forschungsreaktors vergleichbar mit einem großen Kernkraftwerk auf. „Was hier passiert, ist nicht von schlechten Eltern“, kritisierte Pflugbeil auch die angedachten Notfallpläne. Bei einem GAU müssten weite Teile Potsdams evakuiert werden – ob Taxifahrer Tabletten verteilen wollten, sei mehr als fraglich.

Da nickte auch unbemerkt Rainer Scholz vom Potsdamer Katastrophenschutz. Dann sagte er: „Ich gebe zu, wenn der Reaktor abgestellt wird, sind alle Beteiligten froh“ – auch die Taxifahrer.

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