
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: „Wer Erfolg hat, hat auch Neider“
Die umstrittene Babelsberger Firma Kirsch & Drechsler Hausbau feiert bald 20. Jubiläum. Ein Ortstermin
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Gertraud Drechsler ist eine schicke Frau. Wenn sie jetzt stilsicher und entspannt mit „ihren“ beiden Männern an dem riesigen Konferenztisch sitzt, mag man kaum glauben, was sie sagt: „Anfangs haben wir alle drei in den völlig kaputten Wohnungen, wo man durch die Decke in die nächste Etage sehen konnte, auf dem Boden geschlafen und das Wasser in der Kaffeemaschine warm gemacht!“ Sie lacht. Was für eine Zeit. „Eine Pionierzeit! Stimmt’s, Herr Kirsch?“
In diesem Sommer feiert die in Babelsberg ansässige Firma Kirsch & Drechsler Hausbau ihr 20-jähriges Jubiläum. Noch immer sind die drei Geschäftspartner per Sie, Immobilienökonom Wolfhard Kirsch, Bauingenieur Michael Drechsler und dessen Frau Gertraud, Industriekauffrau. Per Sie könne man besser konstruktiv miteinander diskutieren und dabei angemessen höflich bleiben, sagen sie.
Auch im Gespräch über die Firma, die seit 20 Jahren goldene Tafeln an fertig sanierte Altbauten in Babelsberg an- bringt, funktioniert das Trio nach eingespielten Regeln. Alphatier Wolfhard Kirsch, der bereits durch seine physische Präsenz dominiert, ist unangefochtener Wortführer. „Es gibt in Potsdam Leute, die denken ernsthaft, der Herr Drechsler existiert gar nicht“, amüsiert er sich. „Aber ohne ihn wäre ich verloren.“ Das meint er ernst. Sie haben die Zuständigkeiten klar aufgeteilt. Kirsch nennt sich selbst den „Kaufmichl“, verhandelt mit den Banken. Für die technische Baubetreuung und den Gang zu Ämtern und Behörden ist Drechsler verantwortlich. Über allem schwebt Gertraud Drechsler als letzte Instanz. „Sie kann halt gut rechnen,“ sagen die Männer. Eigentlich wollte Gertraud Drechsler nur etwas Teilzeit arbeiten, damals, als sie Mitte der Neunziger den Männern aus ihrer aller Heimat München nach Potsdam folgte. Heute ist sie meist die Letzte, die abends das Büro verlässt.
15 Mitarbeiter zählt die Firma mit dem Sitz in der Kleiststraße. Das Haus gehörte zu den ersten, die damals saniert wurden. Aus dem Fenster schaut man auf das Objekt, mit dem alles begann: Kirsch erwirbt kurz nach der Wende den Altbau und bittet Drechsler, den er von einem Projekt aus Münchener Zeiten kennt, mit ihm nach Potsdam zu kommen und „das Ding durchzuziehen“. 1992 wird die Firma gegründet, anfangs machen sie etwa zwei Häuser im Jahr, sanieren, verkaufen, vermieten, verwalten.
Meist stehen die Altbauten leer, „alles verrottet da drinnen, die Dächer kaputt, Klos im Treppenhaus – wir dachten, wie kann man so wohnen?“, erinnert sich Gertraud Drechsler mit Schrecken an die ersten Besichtigungen im Osten. „84 Prozent der Wohnungen hatten kein Bad, fast alle nur Kohleheizung, die Thälmannstraße, wie die Großbeerenstraße damals hieß, grau in grau“, sagt Kirsch. Die Stadt sei froh gewesen, dass jemand die Sanierung der potenziellen Abrisshäuser begann. Oft hätten Nachbarn gefragt, ob ihr Haus nicht auch gemacht werden könnte. „Das war schon ’ne tolle Werbung!“
Mit der Zeit lernten sie den Kiez kennen, die Struktur der Anfang des 20. Jahrhunderts gebauten sogenannten Zinshäuser. Im Erdgeschoss immer Drei-Zimmer-, darüber Zwei-Zimmer-Wohnungen. Podest-Toilette. Manchmal unten eine Kneipe. Bei den Begehungen der leergezogenen Wohnungen finden sie einmal einen geheimnisvollen, zugemauerten Raum, einmal die Leiche eines ehemaligen Bewohners, der es nicht mehr aus seinem Sessel geschafft hatte.
Wenn Kirsch & Drechsler sanieren, dann soll es heute endverbraucherfreundlich sein, wie sie sagen. Soll heißen: kein Marmorbad, sondern normale Fliesen, die man sich leisten kann. Laminat statt Parkett. Dafür achten sie auf kleine Details, es findet sich in fast jedem Hauseingang ein Wandbild oder eine Stuckrosette, werden die originalen Doppelflügelfenster erst dann ersetzt, wenn es wirklich nicht mehr anders geht.
In eine der von ihnen sanierten Wohnungen zog gleich zu Anfang Ehepaar Drechsler. So lerne man das eigene Produkt kennen, sagen sie. Kirsch wohnt seit 1996 in einem Mehrparteienhaus am Griebnitzsee. Weil er seine privaten Interessen im Uferwegstreit nicht der Parteidisziplin unterordnen wollte, trat er vor vier Jahren aus der SPD aus, ist jetzt Stadtverordneter für das Bürgerbündnis. „Das ist sein Privatvergnügen“, sagt Drechsler, ein wenig gönnerhaft, zu den politischen Aktivitäten seines Geschäftspartners. Das Engagement bringe der Firma weder Vor- noch Nachteile, ist er überzeugt.
Recht machen könne man es ohnehin keinem, findet Drechsler. Selbst Mieter, die wegen der Sanierung verärgert aus der Wohnung ausziehen mussten, sagten hinterher oft: Das Haus ist aber schön geworden. Insgesamt 60 Häuser hat die Firma bisher auf Vordermann gebracht und anschließend verkauft. Für sie ist das ein ganz normaler Vorgang. Gleichwohl hängt ihnen der Ruf der Immobilienhaie aus dem Westen an. Anfang Juni skandierten Demonstranten bei einer Demonstration für bezahlbaren Wohnraum in Potsdam sogar: „Kirsch und Drechsler in den Häcksler“. Vor der Demo hatte Kirsch erklärt, es ließe sich auch gegen Regen oder Sonne demonstrieren: „Der beste Schutz gegen hohe Mieten sind aber die Schaffung von neuen Wohnungen oder der Kauf von eigenen Immobilien.“ So richtig erklären können sich die Firmeninhaber ihren Ruf als Vermieterhaie jedenfalls nicht. „Wer Erfolg hat, hat auch Neider“, wirft Gertraud Drechsler trocken ein. „Zeitgleich mit uns haben viele angefangen, nicht alle haben durchgehalten. Man muss seine Grenzen kennen, nicht jedes Schnäppchen mitnehmen“, findet sie.
Auch bei „K&D“ wurde zwischenzeitig gerechnet. Als 1998 die Sonderabschreibung Ost wegfiel, überlegten sie: Können wir weitermachen? Kirsch und Drechslers haben weitergemacht. Die Option Rückkehr nach München besteht seit Langem nicht mehr. Die Wände der Geschäftsräume zieren mehrere Luftbildaufnahmen von Babelsberg. Man sieht eine Entwicklung – weg vom Grau hin zur Farbe. Es geht ihnen durchaus um den Kiez als Ganzes, erklären sie. Jedes weitere sanierte Gebäude mit Rasen und Buddelkiste im Hinterhof bedeute eine Aufwertung des gesamten Quartiers. Es gibt keinen Stillstand. Kirschs neue Idee: Die Autostellplätze mit Steckdosen ausrüsten, für Elektroautos.
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