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Alleinerziehende in Potsdam: Wer Kinder hat, muss wählen gehen

Wenig Zeit und viel Frust: Vier Alleinerziehende erzählen, was sie über die Politik und die anstehende Bundestagswahl denken.

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Potsdam - Es gibt viele Dinge, die Annett Behrend einfallen, wenn es um Familienpolitik geht. Dinge, um die sich die Politiker mal kümmern könnten. Zum Beispiel dass Kinder auch dann was vom Teilhabepaket abbekommen, wenn das Familieneinkommen knapp über der Bemessungsgrenze liegt. Dass auch Kinder von ALG-II-Empfängern von Vergünstigungen im öffentlichen Nahverkehr profitieren. Schülermonatstickets sind teuer, sagt die alleinerziehende Mutter einer neunjährigen Tochter. Sie selbst ist zurzeit arbeitslos und hat Anspruch auf ein ermäßigtes Mobilitätsticket vom Amt. „Aber warum gibt es das nicht auch für das Kind?“, fragt sie. Dazu kommt, dass die Unterstützung vom Amt, die errechneten Mehrbedarfe, mit dem Alter des Kindes schrumpfen. Das ist doch absurd, sagt sie. „Kinder kosten doch mehr, je älter sie werden.“

Annett Behrend würde vor allem sehr gerne selber für alles sorgen und nicht vom Amt anhängig sein. Aber im Handel hat die gelernte Einzelhandelskauffrau mit Kind kaum Chancen auf eine Stelle. „Da muss man auch mal bis 20 Uhr arbeiten oder an Brückentagen, wenn Kitas und Horte geschlossen sind.“ Schließzeiten, was für ein Wort – als ob das Leben dann anhält. „Im Einzelhandel sind gerade Brückentage umsatzstark“, sagt die Verkäuferin. „Warum gibt es keine Unterstützung für Arbeitgeber, die Alleinerziehende einstellen?“

Versprechungen auf bunten Plakaten am Straßenrand: „Ich setze da keine Hoffnungen rein"

Und nun kommt die Bundestagswahl. Mit all den bunten Plakaten am Straßenrand und den schönen Versprechungen. „Ich setze da keine Hoffnung rein“, sagt Annett Behrend. Wählen gehen wird sie aber trotzdem. Auch wenn sie noch nicht weiß, wen. Sie wünscht sich, dass die Politik mehr für Familien tut, und anstatt so viel Geld für Wahlwerbung auszugeben, lieber Familienzentren unterstützt werden. Wie das Eltern-Kind-Zentrum der Awo am Stern. Hier nebenan geht ihre Tochter in den Hort, gleich wird sie sie abholen, anschließend ist kurz Zeit für Hausaufgaben und dann ist der Tag auch schon zu Ende. Aber sie kommen zurecht, sagt die Mutter. „Ich habe ein bescheidenes Kind, das ist mein Glück.“

Die Kinder von Rahel, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sind noch sehr klein. Und turnen an diesem Nachmittag über den Parcours im Turnraum des Eltern-Kind-Zentrum. Die Kleine, ein Jahr alt, trägt Rahel auf dem Arm, die Große balanciert schon alleine über Balken und rutscht über Bänke. Reden über Politik? „Ich war noch nie wählen“, sagt die 28-Jährige. „Ich habe gar keine Zeit für so was.“ Sie ist mit den Kindern ganz allein, es gibt keine weiteren Familienmitglieder, die helfen würden. Rahel will jetzt zurück in ihren Beruf als Erzieherin. Dabei überschneidet sich zu Beginn des Kitajahres ihr eigener Arbeitsbeginn mit der Eingewöhnungszeit der Mädchen in deren Kita. „Ich nehme gerade unbezahlten Urlaub.“ Danach wird es auch kompliziert, weil sie, obwohl sie gerne voll arbeiten würden, nur eine Teilzeitstelle bekommen hat, und die Mädchen folglich auch nur einen Rechtsanspruch auf sechs Stunden Betreuung am Tag haben. Wie sie das machen wird, wenn sie mal spät arbeiten muss, das weiß sie noch nicht. Jedenfalls hat sie für Politik bei all dem Stress keine Zeit. Keinen Platz im Kopf.

Ein Feuerwehrmann wählt Rot

Auch Thomas Pellert kommt mit seiner kleinen Tochter regelmäßig zum Kinderturnen. „Du musst wählen gehen, sonst stärkst du die anderen Idioten“, sagt der Vater. Er ist Feuerwehrmann, da ist er es gewöhnt, Verantwortung zu übernehmen. „Ich wähle links-sozial“, sagt er. Ihm selbst geht es gut, er und die Mutter seiner Tochter haben sich auf das Wechsel-Betreuungsmodell geeinigt. Die Kleine ist abwechselnd bei ihr oder bei ihm. Das klappt gut, auch mit seiner Arbeit. „Die Kollegen sind sehr rücksichtsvoll, notfalls tauschen wir Schichten.“ Das größte Problem ist seiner Meinung nach die zunehmende Politikverdrossenheit. „Die Leute verstehen nicht, dass Nicht-Wählen den Rechten Kraft gibt.“

Friederun von Both ist 50 Jahre alt und wird im Staudenhof-Café von einem jungen Flüchtling begrüßt. Er erzählt, dass er einen Praktikumsplatz bekommen hat. Friederun freut sich für ihn, sie kennen sich schon eine Weile. Seit zwei Jahren engagiert sich die Potsdamer Physiotherapeutin in der Flüchtlingsarbeit, vor allem für Jugendliche. Und das, obwohl sie drei eigene Kinder alleine großzieht.

„Verantwortung liegt nicht nur bei der Politik"

Die Kinder sind jetzt 16, 18 und 20 Jahre alt. Die beiden großen werden zusammen mit ihrer Mutter wählen gehen. Sie haben gemeinsam und manchmal auch mit Flüchtlingen Wahlkampfveranstaltungen besucht. Auch das TV-Duell Merkel gegen Schulz haben sie sich alle angeschaut. Mitmachen, sich in der Gesellschaft einbringen, das ist ihr wichtig und das möchte sie ihren Kindern mitgeben. Die Gesellschaft habe auch ihr als Alleinerziehende geholfen, obwohl es schwer war und zum Teil noch ist. „Es gibt ja viele Hilfsangebote, viele Möglichkeiten, Unterstützung zu bekommen“, sagt Friederun von Both. „Aber man muss sich halt kümmern, immer hinterher sein, jedes Jahr neue Anträge stellen“, sagt sie. „Nur leider mangelt es bei all den Vorschriften manchmal an Flexibilität.“ Oder an gesundem Menschenverstand: Was nütze einem ein Kitaplatz am anderen Ende der Stadt, sodass man erst mal mit dem Fahrradanhänger eine Stunde unterwegs ist? „Ich würde gerne für eine vernünftige, wohnortnahe Betreuung bezahlen.“

Dass sich jemand so gar nicht für Politik interessiert, findet sie verantwortungslos. Gerade wer Kinder hat, könne das Thema nicht verdrängen. Außerdem werde man auch mal alt und sei dann wieder auf die Gemeinschaft angewiesen. „Verantwortung liegt auch in unseren Händen und nicht nur bei der Politik.“

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