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Potsdamer Zeithistoriker über die Ambivalenz des offiziellen Antifaschismus in der DDR
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Dem Antifaschismus in der frühen DDR rückt der Potsdamer Zeithistoriker Dr. Jürgen Danyel nun auf den Leib. In einer aktuellen Publikation des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) geht er der Ambivalenz dieser Haltung nach. Durch die Wiederholung der Gedenkrituale aus der Nachkriegszeit habe die DDR ihren „guten Anfang“ immer wieder zu zementieren versucht. „Auch wenn diese Rituale immer mehr zur Karikatur ihrer Selbst wurden“, schreibt Danyel in dem unlängst erschienen Band „Zeiträume“ des ZZF.
Die offizielle Geschichtspolitik der DDR habe auf dieses Gedenken – etwa an die öffentlich inszenierte Erinnerung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) am 12. September 1948 im Berliner Lustgarten – immer wieder zurückgegriffen. „Sie nutzte dessen Suggestionskraft und Vitalität, um damit innere Bindekräfte für den fragilen Staat und seine permanenten Legitimationsnöte zu gewinnen“, so der Zeithistoriker. Und setzt noch nach: „Mit dem Antifaschismus verfügte der ostdeutsche Staat über ein kulturelles Kapital, ohne das die lange Lebensdauer des scheinbar in Raten untergehenden Staates wohl kaum zu erklären ist.“
Die Ambivalenz schildert Danyel wie folgt. Während die aus Verfolgung, Widerstand und Emigration gewachsene literarische und künstlerische Tradition schon bald eine Heimat in der DDR fand, sei die Gesinnungsethik der Verfolgten schon sehr früh mit dem pragmatischen Machtkalkül der Partei kollidiert. Der Einfluss der KPD/SED sei in der Organisation der Verfolgten von Anfang an sehr groß gewesen – getreu nach Ulbrichts Motto: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“
Als die SED dann im Zuge der Bodenreform die Fundamente der bürgerlichen Gesellschaft angriff, sei es zur Flucht der Vorsitzenden einiger jüdischer Gemeinden nach Westen gekommen. Als die Verfolgten-Vereinigung dann vom Staat zum Hort ehemaliger politischer Kämpfer umgeschrieben wurde, habe man automatisch die rassisch verfolgten Gruppen der Juden sowie Sinti und Roma, aber auch Gruppen wie die Zeugen Jehovas ausgegrenzt. Zum Bruch sei es dann schließlich gekommen, als man in den Nachkriegsjahren im Osten Deutschlands gewahr geworden sei, dass auch hier die Mehrheit der Bevölkerung aus ehemaligen Anhängern des NS-Regimes bestand. Danyel kommt zu dem heute durchaus überraschenden Schluss, dass die SED im Interesse der Stabilisierung ihrer Herrschaft ehemalige NSDAP-Mitglieder, Soldaten und Offiziere der Wehrmacht in die Gesellschaft integrieren musste. Worauf es zum offenen Konflikt mit der Basis der Verfolgten-Vereinigung kam, die Ulbricht dann im Februar 1953 kurzerhand auflöste und durch ein loyales „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer“ ersetzte.
„Der Antifaschismus war von Anfang an ein in sich widersprüchliches Konstrukt: politisch und kulturell attraktiv, gleichzeitig vieldeutig und beliebig instrumentalisierbar“, schreibt der Historiker. Indem er wichtige Opfergruppen ausgrenzte und für die innere Konsolidierung des ostdeutschen Staates in den Dienst genommen wurde, habe sich der Antifaschismus immer stärker gegen diejenigen gerichtet, die ihn in anfangs eigentlich verkörpert hatten. Schließlich habe er nur noch die Welt- und Feindbilder einer kleinen Minderheit kommunistischer Funktionäre widergespiegelt, die bis zum Ende der DDR die politische Klasse dominiert habe. In seiner kulturellen Dimension allerdings habe der Antifaschismus in der Gesellschaft nachhaltige lebensgeschichtliche Prägungen und Sozialisationserfahrungen bewirkt, die bis in die Gegenwart hinein reichen würden.
Der Band „Zeiträume“ (Transit Verlag, ISBN 978-3-88747-219-1) versammelt eine Auswahl von zeitgeschichtlichen Themen, die im Jahr 2005 am ZZF entstanden. Die Zusammenstellung soll nach den Worten von ZZF-Direktor Martin Sabrow einen Eindruck von der Vielfalt der Wege geben, die zum Verständnis „unserer zugleich so nahen und so fernen“ Zeitgeschichte im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert führen können. Jan Kixmüller
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