Homepage: Wie aus Plaudern Struktur wird
Zwei Forschungsprojekte der Universität untersuchen Meinungsbildungsprozesse im Internet
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Wann wurde die Intervention in Afghanistan als Krieg bezeichnet? Und warum wollen die Potsdamer Bürger ihr neues Schwimmbad am Brauhausberg oder am Bornstedter Feld? Nach welchen Kriterien die Standortdiskussion im vergangenen Mai entschieden wurde und wie die Etikettierung der militärischen Operation in der öffentlichen Debatte entsteht, das möchte eine Gruppe aus Computerlinguisten, Wirtschaftsinformatikern und Kommunikationswissenschaftlern mit zwei Forschungsprojekten herausfinden. Mit jeweils 800 000 Euro bzw. 850 000 Euro fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung die beiden Projekte, die an den Universitäten Potsdam, Stuttgart und Hildesheim durchgeführt werden.
„Wie entsteht aus dem Plaudern im Internet, auf Facebook, Twitter oder in verschiedenen Blogs eine Struktur? Danach suchen wir“, erklärt der Potsdamer Computerlinguist Manfred Stede. Der Ausgang und die Ergebnisse des auf drei Jahre angelegten Projektes über die „Analyse von Diskursen in Social Media“ sei noch vollkommen offen. Der Wissenschaftler ist sich auch gar nicht so sicher, ob aus einer eher ziellosen Diskussion auf Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter tatsächlich eine strukturierte Diskussion entsteht, aus der sich konkrete Ergebnisse ergeben. Das Forschungsprojekt versucht nachzuvollziehen, ob sich dort Meinungsführer finden, deren Beiträge häufiger zur Kenntnis genommen werden und dann auch ein größeres Gewicht haben als andere Kommentare. Ein mögliches Ergebnis sei aber auch, dass lediglich Themen und Diskussionen hochkochen und dann folgenlos wieder verebben würden, räumt Stede ein. Wie wichtig ein Beitrag sei, lasse sich einerseits daraus folgern, wie oft er verlinkt und zitiert werde, andererseits aus der Art der Zitierung und der Übernahme der Argumente.
Gerade Potsdam habe mit der Diskussion über den Standort des neuen Schwimmbades, die zu weiten Teilen im Internet geführt wurde und letztlich für den Standort Brauhausberg ausging, ein anschauliches Beispiel über die gewachsene Bedeutung der neuen Medien geliefert. Sollten sich systematische Muster finden lassen, so könnte dies Auswirkungen auf wirtschaftliche Entscheidungsprozesse und auch auf politische Diskurse haben. „Alle wollen mehr Bürgerbeteiligung, aber wo lohnt sich das und wie kann es sinnvoll organisiert werden?“, fragt der Wissenschaftler. Ob politische Diskurse auf Plattformen wie Liquid Feedback, bei denen jeweils Textbeiträge eingebracht und dann abgestimmt würden, sinnvolle Entscheidungshilfen im politischen Prozess seien, müsse sich noch zeigen. Verfassungsfragen seien eher nicht geeignet, um in offenen Bürgerforen zur Diskussion gestellt zu werden, meint Stede. „Bei Werbung ist das wieder anders. Die enorme Geschwindigkeit, mit der sich Nachrichten über Medien wie Twitter oder Facebook verbreiten, könnten für Werbestrategien von Großkonzernen bestens geeignet sein“, so der Forscher. Beispiele für dementsprechend erfolgreiche Werbekampagnen bei der Einführung neuer Automodelle würden bereits existieren.
Im zweiten Forschungsprojekt wollen die Forscher herausfinden, wie sich kollektive Identitäten in internationalen Debatten herausbilden. „Wenn gefordert wird, dass ,wir in Afghanistan handeln sollen’ – wer und was ist dann damit gemeint? Die Kanzlerin? Soll Geld gesendet oder Soldaten geschickt werden? Wie bildet sich die kollektive Meinung in der Presse und der Öffentlichkeit bei politischen Themen und zu was führt sie?“, fragt Stede im Rahmen des zweiten Forschungsfeldes.
Die systematische Auswertung von einer halben Million gesammelten Textbeiträgen zu politischen Themen geschehe zunächst über das Filtern von Schlüsselwörtern. Dann gelte es, immer kleinere Mengen aus dem Textberg zu extrahieren, zu systematisieren und zu werten. Letztlich gehe es auch darum, neue wissenschaftliche Auswertungswerkzeuge jenseits von Umfragen, Interviews und Excel-Tabellen zu entwickeln. Wie der Kommunikationsmotor der neuen Medien funktioniert, sei eine bisher weitgehend unerforschte Frage. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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