
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: „Wie Kühe auf der grünen Wiese“
Der Architektur-Professor Klaus Theo Brenner fordert politisch verankerte Qualitätskriterien im Potsdamer Wohnungsbau
Stand:
Herr Brenner, vorab eine These: Beim städtischen Mehrgeschosswohnungsbau geht es darum, einen sozialen Bedarf abzudecken, nicht darum, Architekturpreise abzuräumen.
Das ist grundsätzlich schon so. Aber dennoch bemühen wir uns heute um die Qualität städtischer Architektur. In Potsdam tun wir das bezogen auf die Stadtmitte bereits einige Jahre – möglicherweise mit Erfolg im Sinne der Rekonstruktion. Aber Potsdam ist eine wachsende Stadt und braucht Wohnungen. Dadurch wird der Wohnungsbau automatisch zu einem zentralen Thema der Stadtarchitektur, der Stadtverdichtung, der Stadtreparatur und des Stadtneubaus.
Welche Prämissen braucht der Wohnungsbau in Potsdam?
Wenn man diesen Qualitätsanspruch im Wohnungsbau hat, dann wird ein Widerspruch überwunden, der bisher die Stadtentwicklung in Potsdam weitgehend bestimmt hat: Der Gegensatz zwischen den architektonischen Kriterien für die Innenstadt und dem Wohnungsbau, der sich mehr oder weniger völlig eigenständig in der Peripherie entwickelt hat. Der Wohnungsbau in der Peripherie wird seit den 1920er Jahren Siedlungsbau genannt – Wohnungsbau auf der grünen Wiese. Wenn der Wohnungsbau jetzt zum zentralen Thema der Stadtentwicklung wird, bekommt er einen ganz neuen, anderen qualitativen Anspruch; er wird zum Träger der Stadtentwicklung und zum Gradmesser der Qualität von Stadt.
Aber wie kommen wir zu guter Wohnbau-Architektur und guten städtebaulichen Lösungen, wenn einzig Rendite das Ziel der Investoren ist?
Die Rendite und die quantitative Wohnungsversorgung alleine bringen natürlich noch keine schöne Stadt. Die schöne Stadt braucht Qualitätskriterien, die auch politisch verankert und eingefordert werden müssen.
Was sind diese Qualitätskriterien?
Die Qualitätskriterien für den neuen Wohnungsbau kann man nicht aus der Vergangenheit der letzten 50 Jahre entwickeln, wo man im Wesentlichen die Kisten auf die grüne Wiese gestellt hat. Wenn man dem Motto folgt „Schöne Stadt ist überall“, dann muss man auch im Wohnungsbau viel Wert legen auf die stadträumliche Qualität, die Qualität der öffentlichen Räume – Straßen, Plätze, Gassen, Parks. Das muss das Leitsystem des neuen Wohnungsbaus sein. Und alle Häuser haben eine klare Beziehung zum öffentlichen Raum. Der öffentliche Raum ist das Entscheidende. Dessen Qualität ist ein wesentliches Qualitätskriterium und Identitätsmerkmal für den neuen Wohnungsbau.
Der Investor kümmert sich darum nicht.
Es gibt aufgeklärte Bauherren und Investoren, die auf diese Qualität Wert legen. Dennoch muss die Stadt die Qualität einfordern und Verfahren entwickeln, um diese zu sichern. Da gibt es Masterpläne, Bebauungspläne, Gestaltungssatzungen, eingeladene Wettbewerbe, Gutachterverfahren Aber nicht zuletzt sind es heute die Stadtbewohner, Mieter oder Kunden, die diese Qualitäten fordern.
War die Stadtverwaltung Potsdam bisher ein guter Akteur zum Erreichen von Qualität im Wohnungsbau?
Nein, überhaupt nicht. Ein Beispiel, wie so etwas vollkommen schief laufen kann, ist das Bornstedter Feld, wo die Häuser herumstehen wie die Kühe auf der grünen Wiese.
Aha
Das Bornstedter Feld ist ein Paradebeispiel dafür, wie man Baugebiete eröffnet, ohne eine planerische Zielvorstellung zu haben, die auch nur annähernd dem nahe kommt, was wir schöne Stadt nennen. Die Flächen werden mit mehr oder weniger zusammenhang- und gesichtslosen Gebäuden besetzt, ohne jegliche Qualitätskontrolle. Wir haben in Potsdam das Problem, dass die Wohnungsbaugesellschaften nach den Qualitätskriterien des veralteten Siedlungsbaus außerhalb der Stadt verfahren, nach dem man mehr oder weniger machen kann, was man will und wo es keine Verbindlichkeiten gibt. Sie entziehen sich jeder Qualitätskontrolle. Nehmen Sie die neuen Wohnbauten an der Pappelallee neben der Fachhochschule, das sieht aus wie Siedlungsbau der 1970er Jahre. Mit Stadt-Architektur, auch in einem moderaten Sinne mit gemäßigter Dichte, hat das nichts zu tun.
Sie kritisieren auch die Architektur, nicht nur städtebauliche Konzeptlosigkeit?
Der Qualitätsanspruch an die Fassaden ist in einem Wohngebiet nicht anders als in der Innenstadt. Wir brauchen schöne repräsentative Fassaden aus guten Materialien, schöne Hauseingänge, Vorzonen für die Häuser, nach hinten hinaus private Freiflächen, die von den öffentlichen getrennt sind – Höfe mit Terrassen, Balkonen, Dachgärten.
Was wäre ein Ausweg?
Wir müssen wegkommen von diesem Ghetto-Denken, das sich in den Wohngebieten breitgemacht hat. Der öffentliche Raum muss so attraktiv sein, dass Menschen, die nicht da wohnen, da gern durchgehen. Dazu muss es Nutzungen geben wie Büros oder Läden, die für die Öffentlichkeit gedacht sind. Wir brauchen zudem viel mehr Bauherren, die sich im Wohnungsbau engagieren. Denn wenn wir eine Vielfalt der Bauherrschaft haben, bekommen wir auch eine Vielfalt der Architektur, die unbedingt notwendig ist im Wohnungsbau.
Kein Plädoyer für Großinvestoren?
Nein, ganz im Gegenteil. Es geht um schöne Gassen, Straßen, Plätze, Parks mit identifizierbaren Häusern auf einzelnen Parzellen; mit anspruchsvollen Fassaden, flexiblen, großzügigen Grundrissen, die interessant sind für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. Das kann erreicht werden, wenn es Konkurrenz gibt, wenn sich auch individuelle Vorlieben äußern können und es eine Vielfalt in der Bewohnerschaft, in der Nutzung und in der ästhetischen Erscheinung gibt.
Warum ist das beim Bornstedter Feld Ihrer Ansicht nach so schief gelaufen?
Das ist ganz einfach mangelnde Kompetenz der Verantwortlichen.
Wie gefällt Ihnen das neue Semmelhaack-Viertel am Hauptbahnhof?
Es ist wie beim Bornstedter Feld ein Beispiel dafür, wie man es genau nicht machen darf. Wir können nicht mehr solche Großstrukturen in die Landschaft setzen und die gewachsenen städtebaulichen Strukturen, die ja Potsdam auszeichnen, ignorieren. Wenn Wohnungsbau in den nächsten Jahren so aussieht, dann ist das für Potsdam ein großes Problem. Das Viertel am Hauptbahnhof ist ein Schlag ins Gesicht der Stadt.
Besteht beim Wohnungsbau in Potsdam die Gefahr, dass eine Art „Tonnenideologie“ durchbricht: Die Masse macht’s?
Die rein quantitative Betrachtungsweise – Wer baut wie viele hundert Wohnungen? – ist falsch. Das hat keine Zukunft. Potsdam hat die Chance, quantitativ und qualitativ mit dem Wohnungsbau zu wachsen. Sie darf nicht verspielt werden. Es muss aufhören, dass man ein schön zurechtgebasteltes Zentrum hat, das nach den traditionellen Gesichtspunkten einer schönen Innenstadt funktioniert – und drum herum auf der grünen Wiese wird der Wohnungsbau abgesetzt.
Gibt es Beispiele für guten Wohnungsbau in Potsdam?
Wichtig ist, dass der neue Wohnungsbau möglichst nahe am und innerhalb des bestehenden Stadtkörpers gebaut wird. Es muss eine sinnfällige Anbindung geben an das, was schon da ist. Wichtig ist der Respekt vor bestehenden räumlichen Strukturen. Das ist es, was dem Kirchsteigfeld beispielsweise fehlt – Einbindung in bestehende Strukturen. Das macht das Kirchsteigfeld zu einem relativ artifiziellen Gebilde. Was gut gelaufen ist im Kirchsteigfeld: Es gab einen Masterplan und es gab Parzellierungsstrategien. Trotz dieser räumlichen und sozialen Isolation ist das Kirchsteigfeld immer noch ein relativ gutes Beispiel. Aber ein wirklich gutes Beispiel für eine gute Stadt- und Wohnarchitektur ist die Brandenburger Vorstadt. Da haben sie alles was man braucht: schöne Straßen, Vorgärten, schöne Fassaden, einen Platz dazwischen, großzügige Wohnungen, schöne Fenster zum öffentlichen Raum, der ein oder andere Wintergarten, nach hinten hinaus schöne Höfe. Das können Sie in modern genauso bauen. Diese Qualität von Architektur ist zeitlos. Die Prinzipien sind immer die gleichen. Und das ist die Architektur, die sich noch heute am Besten vermietet und in die breite Schichten der Bevölkerung einziehen wollen. Warum sollen wir nicht aus der Geschichte lernen?
Das Interview führte Guido Berg
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