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Sport: „Wir brauchen eine echte Nummer Zehn“

Turbine Potsdams Coach Bernd Schröder über Beratungen bei der UEFA, die bisherige Bundesliga-Saison und Pläne für die nächsten Jahre

Stand:

Sie sind gerade von einer zweitägigen Beratung beim Europäischen Fußball-Verband UEFA aus der Schweiz zurück, Herr Schröder. Wie war es in Nyon am Genfer See?

Sehr interessant. Und auch sehr bewegend, denn ich bekam dort für die Spielweise unserer Mannschaft in den letzten drei, vier Jahren großen Respekt der anderen anwesenden Trainer zu spüren. Es war schon erstaunlich, wie viele Nationaltrainer über die Jahre unsere Spiele im DFB-Pokal oder im UEFA-Cup verfolgt haben. Ob nun im Fernsehen oder – wie der schwedische und der norwegische Auswahltrainer – bei unseren Spielen in Stockholm und Trondheim. Dass wir von solchen gestandenen Nationaltrainern, die ja auch die Richtung des Klubfußballs in ihren Ländern mit bestimmen, gelobt werden, kann uns schon ein bisschen stolz machen.

Welcher Trainerkreis saß denn in Lyon beisammen?

Wir waren insgesamt zwölf Nationaltrainer und die drei Klubtrainer jener Vereine, die bisher den UEFA-Pokal gewannen. Also Jürgen Tritschoks vom FFC Frankfurt, Andrée Jeglertz von Umea IK und ich. An der Spitze der ganzen Runde standen der Schotte Andy Roxburgh als Technischer Direktor der UEFA und Mitglied der FIFA-Kommission für Technik und Entwicklung und die Norwegerin Karen Espelund, die Vorsitzende des UEFA- Frauenfußball-Ausschusses.

Worum ging es in den Beratungen bei der UEFA?

Es war ein Erfahrungsaustausch der Verbände über die Entwicklung in ihren Ländern, vor allem im Nachwuchsbereich, und um weitere Aktivitäten im Frauenfußball. Wir sprachen auch über den UEFA- Cup. Es kann beispielsweise nicht sein, dass das Halbfinale im November und das Finale dann erst im April oder Mai ausgetragen wird. Natürlich ist es schwierig, alles mit den FIFA-Terminen unter einen Hut zu bekommen. Aber glücklich ist der jetzige Modus nicht.

Welchen Beitrag haben Sie als Cheftrainer Turbine Potsdams selbst eingebracht?

Ich hatte mich vorher mit Jürgen Tritschoks abgestimmt, und wir haben angeregt, aus den im Frauenfußball starken Ländern künftig zwei Vereine am Europacup teilnehmen zu lassen. Im Männerfußball sind schließlich drei oder vier Klubs pro Land in der Champions League dabei. Wir haben darauf hingewiesen, dass die besten Klubs im UEFA Women“s Cup aus den Ländern kommen, die ein hohes Niveau im Frauenfußball haben, und dass es in den Vorrunden zum Teil hohe Ergebnisse gibt, die den sportlichen Wert dieser Champions League der Frauen ein bisschen schmälern.

Fiel Ihr Vorschlag auf fruchtbaren Boden?

Die UEFA sieht das teilweise ein bisschen anders. Sie will möglichst Mannschaften aus noch mehr Ländern im UEFA-Pokal-Wettbewerb sehen, um die Breite des Frauenfußballs weiter zu stabilisieren. Außerdem strebt die UEFA ab 2009 oder 2010 nur noch ein Finalspiel der Frauen auf neutralem Platz an. Wir drei Klubtrainer haben uns dagegen ausgesprochen, denn das könnten die beteiligten Vereine kaum noch vermarkten. Und das wird weiter nötig sein, zumal die UEFA – wahrscheinlich ab 2009 –möglicherweise ihre Zahlungen von 25 000 Schweizer Franken pro Runde an die beteiligten Klubs einstellen will. Dann müsste sich der Europacup selbst tragen, dann aber könnten Mannschaften zahlreicher Länder aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht mehr teilnehmen. Denkbar wäre, irgendwann einmal – ähnlich wie hierzulande beim DFB-Pokalfinale – ein Europacup-Endspiel der Frauen direkt vorm Champions- League-Finale der Männer auszutragen.

Haben Sie für Ihre eigene Trainertätigkeit in Potsdam Erkenntnisse mitgebracht?

Sowohl in den Sitzungen als auch bei den Gesprächen am Rande wurden wir hinsichtlich unseres Spielsystems und unserer offensiven Ausrichtung als eine Art Vorzeigeklub gewürdigt, was uns natürlich freut. Aber natürlich habe ich Anregungen erhalten. Eine Auswertung der Männer-WM in Deutschland hat ergeben, dass die meisten Mannschaften mit mehr Sicherheit zu spielen versuchen. Dadurch gibt es wenig Tore und viele Unentschieden; das haben wir selbst ja auch in der Bundesliga zuletzt in München erlebt, als wir beim 1:1 erstmals mit der Vierer-Abwehrkette spielten. Mit den starren Systemen, die heute auf dem Markt sind, neutralisiert sich aber das Spiel irgendwo – es sei denn, dass wir auch künftig eine offensivere Variante spielen. Und die können wir nur mit entsprechenden Spielerinnen gehen.

Hat Turbine die?

Wir brauchen für die Zukunft mehr kreative Spielerinnen im Mittelfeld, auch eine Spielmacherin, eine echte Nummer Zehn. Und darauf müssen wir bei unserer Ausbildung hin arbeiten. Beginnend an der Sportschule bis zu unserer ersten Mannschaft werden wir den Schwerpunkt auf individuelle Ausbildung legen. Eine Mannschaft mit elf, zwölf gleichwertigen Spielerinnen wie vor ein paar Jahren werden wir nicht mehr haben. Zwei Viererketten und eine Stürmerin davor – ein solches System bringt keine Kreativität. Wir müssen und werden mehr auf die individuelle und Persönlichkeitsentwicklung unserer Spielerinnen schon von der Sportschule an achten, um unsere Linie – offensiver Fußball mit einer relativ gesicherten Abwehr – zu praktizieren. Ich werde nicht anfangen, mit einer oder zwei Stürmerinnen zu spielen. Aber wir benötigen für unsere angedachten drei Systeme die entsprechenden Spielerinnen. Wir können, um unsere eigene Philosophie zu verwirklichen, nur noch mit Spielerinnen weiterkommen, die einen hohen Grad an Kreativität und Charakterfestigkeit entwickeln. In der Defensivtaktik haben sich stabile Formen herausgebildet, die nur noch zu knacken sind, wenn man im kreativen Mittelfeld Spielerinnen hat, die das Spiel nach vorn treiben und organisieren.

Diese Nummer zehn hat Turbine derzeit nicht. Werden Sie eine kreative Spielmacherin schon kurzfristig in der Winterpause verpflichten, um in der Meisterschafts-Rückrunde wieder erfolgreicher zu sein?

Entsprechende Überlegungen der sportlichen Leitung gibt es. Natürlich werden wir versuchen, jetzt schon eine entsprechende Spielerin zu bekommen – und zwar nicht nur für das kommende halbe Jahr, sondern langfristig für die nächsten Jahre. Auf dem deutschen Markt ist augenblicklich allerdings keine solche Spielerin zu finden. In der U15 wachsen zahlreiche Mädchen nach, die ein solches Format haben. Momentan aber gibt es hierzulande niemanden, der in unsere Vorstellungen passt. Dabei wäre es ideal, im nächsten halben Jahr möglichst schon die Mannschaft für die nächsten Jahre formen zu können. Wir müssen wieder unseren eigenen Stil mit einem eigenen System finden und spielen, das für die nächsten Jahre modern ist. In der Vergangenheit waren wir mit unserem Drei-Vier– Drei-System eine progressive Größe in Deutschland und Europa. Wir müssen jetzt glasklar analysieren: Wohin wollen wir? Mit wem wollen wir dorthin? Und mit welchem System wollen wir dorthin?

Wohin wollen Sie mit Turbine?

Wir wollen in den nächsten zwei, drei Jahren wieder eine Mannschaft haben, die um die Spitzenplätze der Bundesliga mitspielt und möglichst international dabei ist. Das System ist klar: Wir haben drei Möglichkeiten, um eine gewisse Unberechenbarkeit zu erreichen, im Kopf. Aber weitere Spielerinnen dazu sind nicht von heute auf morgen zu bekommen. Wobei wir von einer Mannschaft für die nächsten zwei, drei Jahre sprechen.

Stichwort Bundesliga: Die bisherige Saison, in der Turbine derzeit Fünfter ist, lief nicht nach Ihren Wünschen

Natürlich nicht, was ich aber weniger an der momentanen Platzierung fest mache. Unser Ziel ist es, in diesem Jahr spielerisch gegenüber der letzten Saison wieder zuzulegen. In der holten wir zwei Titel, aber spielerisch überzeugten wir schon nicht mehr. Das Vorhaben, uns in diesem Punkt in diesem Jahr zu verbessern, ist bisher überhaupt nicht gelungen, und diese Stagnation hat sich auch in der Tabelle niedergeschlagen. Das Schlimmste für mich ist, dass wir uns in Einzelfällen spielerisch nicht weiterentwickelt haben.

Woran lag es aus Ihrer Sicht, dass sich Turbine in diesem Spieljahr früh von allen drei möglichen Titeln – Meister, DFB-Pokalsieger, UEFA-Cup-Gewinner – verabschieden musste?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer ist, dass zahlreiche Spielerinnen durch die Erfolge der letzten Jahre eine gewisse Selbstzufriedenheit an den Tag legten – nicht vordergründig, aber im Unterbewusstsein – und dann mit unserem schlechten Start in die Saison nicht zurecht kamen. Dazu kam die große körperliche Belastung für unsere jungen Spielerinnen, auf die wir bauen, im Vorfeld der Saison durch die U19-EM und U20-WM.

Hatten Sie während der vergangenen Wochen und Monate mal das Gefühl, auch selbst etwas falsch gemacht zu haben?

Trainingsmethodische oder taktische Fehler schließe ich aus. Mein größter Fehler – wenn man es überhaupt so nennen kann – war, das ich immer versucht habe und versuche, alle Spielerinnen unserer Mannschaft gleich zu behandeln, egal wie lange sie schon bei uns sind. Das kommt aber heute wohl nicht mehr so an, manche Spielerin kommt sich so womöglich falsch behandelt vor.

Sie haben im Saisonverlauf mehrmals ironisch erklärt, als Trainer immer an allem schuld zu sein

Wenn es im Fußball nicht wie gewünscht läuft, kann man sich entweder von einigen Spielern trennen oder die sportliche Leitung ändern. Nach der letzten Saison hätte ich sagen können: Okay, jetzt ist Feierabend. Dann hätte es geheißen: Schröder hat alles erreicht, geht jetzt nach Hause und lässt einen Scherbenhaufen zurück. Die Schwierigkeiten, die wir jetzt haben, wären meiner Meinung nach nämlich unabhängig davon eingetreten, wie die sportliche Leitung aussieht. Ich bringe jetzt meine ganze Erfahrung ein, damit wir diese Situation meistern.

Besteht die Gefahr, dass 2007 nach Britta Carlson, die jetzt zum VfL Wolfsburg wechselt, weitere Führungsspielerinnen den FFC Turbine verlassen?

Das wird sich zeigen. Mit den jungen Spielerinnen haben wir längere Verträge, mit den gestandeneren Spielerinnen kürzere bis zum Sommer 2007. Natürlich werden immer wieder Spekulationen geschürt, auch von anderen Klubs. Wenn Spielerinnen sich verändern wollen, weil sie denken, sich sportlich und privat verbessern zu können, sind wir damit einverstanden. Man muss aber mit offenen Karten spielen und ehrlich sein.

Spekuliert wird beispielsweise über Inken Bechers Zukunft bei Turbine. Presseberichte bringen sie mit dem Zweitligisten Tennis Borussia Berlin in Verbindung.

Inken Becher hat bei uns ihre beste Zeit als Fußballerin erlebt. Aber auf Grund ihres Dienstes bei der Berliner Polizei, ihres geplanten Studiums und der zahlreichen Verletzungen ist es für sie problematisch, in Zukunft Hochleistungssport zu treiben, obwohl sie bei Turbine noch einen Vertrag bis 2008 hat und den auch gern erfüllen möchte, wenn es die Umstände erlauben. Es kann aber sein, dass sie – falls es wirklich nicht mehr geht – zum 30. Juni dieses Jahres in beiderseitigem Einvernehmen aufhört. Dass dann Tennis Borussia an sie herantritt, ist doch ganz klar. Aber die Entscheidung, ob Inken Becher weiter spielt, trifft sie nur ganz allein gemeinsam mit uns.

Am Freitag dieser Woche trifft sich Ihre Mannschaft zur gemeinsamen Weihnachtsfeier. Was werden Sie Ihren Spielerinnen in den dreiwöchigen Urlaub mitgeben?

Bei einer solchen Feier steht die Harmonie im Vordergrund. Ich werde den Spielerinnen mit auf den Weg geben, dass sie gegenüber dem Verein, den Fans und allen, die uns jahrelang die Treue halten, eine große Verpflichtung haben: Die Verpflichtung, das nächste Jahr so zu gestalten, dass es wieder Freude macht, uns beim Spielen zuzuschauen.

Am 8. Januar beginnt die Vorbereitung auf den Rest der Bundesliga-Saison. Welches Ziel streben Sie mit Turbine noch an?

Wir müssen mindestens Platz drei schaffen. Auch um zu zeigen: Wir sind noch da und klopfen weiter oben an.

Das Interview führte Michael Meyer

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