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Homepage: „Wir galten in der DDR als die Leute, die alles wissen“ Morgen wird HFF-Präsident Dieter Wiedemann 60 Jahre alt. Ein Gespräch über Vorruhestand, Kinderfilme und die Stasi

Herr Prof. Wiedemann, Sie sehen äußerst erholt aus.

Stand:

Herr Prof. Wiedemann, Sie sehen äußerst erholt aus.

Ich bin gerade erst aus dem Urlaub in Fuerteventura zurückgekehrt. Dort waren fast 30 Grad. Es war schon ein Schock, hier in die Kälte zurück zu kommen.

Morgen feiern Sie ihren 60. Geburtstag. Manch einer in dem Alter bleibt gleich im Süden.

Über Vorruhestand habe ich noch nie nachgedacht. Ich bin gerade erst wieder ins Amt des Präsidenten der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF) gewählt worden. Zwar habe ich auch darüber nachgedacht, zurück in die Forschung zu gehen. Ich möchte aber das zu Ende bringen, was ich begonnen habe. Und das war in den letzten sechs Jahren nicht zu schaffen.

Zum Beispiel?

Die Umstellung auf Bachelor/Master-Studiengänge ist an einer Kunsthochschule alles andere als einfach. Ich habe sie mit dem Senat auf den Weg gebracht. Nun wäre es feige, wenn ich die anderen damit alleine lasse. Ein zweiter Grund ist die Besonderheit dieser Hochschule, die einzige Kunsthochschule Brandenburgs und eine führende Filmhochschule in Deutschland. Wir hätten auch das Potenzial dazu, die führende Filmhochschule in Europa zu werden. Da braucht es aber noch Unterstützung von außen. Je länger man im Amt ist, desto mehr Leute kennt man, Networking wird immer wichtiger. Ich denke, dass ich in fünf Jahren noch einiges für die HFF bewegen kann. Zum Beispiel auch was Campus-TV betrifft. Der Sender ist eine Art Kind von mir, ist aber noch nicht richtig in Gang gekommen.

Präsident einer Filmhochschule, war das ein Ziel in Ihrem Leben?

Nein. Nie. Ich wollte ursprünglich aktiv im Film arbeiten, ich habe an der Potsdamer HFF Dramaturgie und Filmwissenschaft studiert. Ich wollte damals zur DEFA, hatte sogar schon den Vertrag, bin dann aber in die Wissenschaft gekommen. Das hat mir immer Spaß gemacht, ich habe an der HFF dann auch den Studiengang Medienwissenschaft aufgebaut. Ich lehre gerne. Und das Amt des Rektors kam dann einfach auf mich zu. Nach Wolf-Dieter Panse gab es wohl außer mir niemanden mehr, der in Frage kam.

Ihr erster Film war

ein Dokumentarfilm über die Stadt Rostock im Jahre 1971 – es war mein Diplomfilm als Dramaturg. Dann bin ich beim DEFA-Spielfilm gelandet, hatte eine Stelle als Spielfilm-Dramaturg. Als dann das Angebot zum Zentralinstitut für Jugendforschung kam, wechselte ich nach Leipzig. Es hat mir Spaß gemacht, als Jugendsoziologe zu arbeiten. Ich war in der Forschung wohl besser aufgehoben als beim Film. Das Angebot war auch finanziell interessanter als der Job bei der DEFA.

Jugendforschung in der DDR war sicher ein heikles Thema.

Das Problem war, dass wir für drei oder vier Panzerschränke gearbeitet haben. Es war immer schwierig, die Leute, für die man eigentlich gearbeitet hat – also die Filmer und Theaterleute – trotzdem zu informieren. Dazu gehörte etwa, dass man plötzlich Redeverbot bekam, wenn jemand vom „Verein“ mit dabei war. Die Arbeitsbedingungen waren aber ideal. Ich habe Studien zur Filmrezeption gemacht, etwa ging es darum, wie Filme wie „Ich war 19“ oder „Insel der Schwäne“ beim Publikum ankamen. Ich habe aber auch die erste repräsentative DDR-Studie zu Kinobesuchern durchgeführt.

Die Ergebnisse gingen sicher auch an die Regierung.

Der Staat wollte die Ergebnisse einsehen, hat aber nicht danach gehandelt. Wir galten als die Leute, die alles wissen. Etwa wie die Stimmung in der Jugend war. Vor der Wende wussten wir recht deutlich, dass es Schwierigkeiten gab. Der Staat hätte damals schon handeln können, wenn er gewollt hätte. Diese Leute waren aber gegen Argumentationen resistent. Es war relativ zeitig auch klar, etwa in den 70er Jahren, dass die Bevormundung der Jugend nicht funktioniert. Was über die FDJ gelaufen ist, war ja häufig eine Lachnummer.

Und zum Ende der DDR?

In den 80er Jahren war dann auch klar, dass das Verständnis der DDR von Sozialismus bei der Jugend nicht mehr ankam. Die Rezeptionsanalyse der Filme brachte übrigens häufig ein ehrlicheres Bild, als eine direkte Befragung der politischen Einstellungen von Jugendlichen. Ich hatte auf diesem Wege beispielsweise schon in den 80er Jahren herausgefunden, dass ein Potenzial an Rechtsextremismus in der DDR-Jugend vorhanden war. Auch der Theaterbereich war als Forschungsgegenstand sehr ergiebig, die Aufführungen der „Neuen Leiden des Jungen W.“ von Plenzdorf konnten etwa über die Stimmung in der DDR-Jugend mehr aussagen, als viele Jugend-Colloquien.

Mussten Sie um Distanz zur Staatssicherheit bemüht sein?

Am Institut hat mich am Anfang jemand zur Seite genommen, und mir die Kollegen genannt, die für den „Verein“ arbeiteten. So konnte man reagieren, etwa bei Bedarf das Thema wechseln. Es passierte aber dennoch, dass Bücher als zu gefährlich, wieder eingestampft wurden, oder dass man eine Zeitlang nicht veröffentlichen durfte. Persönlich verletzend war es dann, als ich in den 90er Jahren erfuhr, dass ich auch von Freunden ausgehorcht worden war.

Die Wende war für sie dann wohl ein Befreiungsschlag.

Deswegen bin ich 1990 wieder an die Filmhochschule gekommen. Ich dachte, nun kannst du umsetzen, was du vorher zur Filmwirkung erforscht hast. Ich habe dann erst einmal ein Institut für Medienforschung gegründet, um mehr zu forschen. Ein reines Forschungsinstitut war dann aber zu viel für die Filmhochschule, die einen ganz anderen Auftrag hatte. Deshalb habe ich dann den Studiengang AV-Medienwissenschaft entwickelt, der heute sehr erfolgreich ist, man denke nur an das Studentenfilmfestival „Sehsüchte“.

Sie sind am 16. März 1946 in Liebschitz geboren, das heute in Tschechien liegt.

Ich war fünf Wochen alt, als wir vertrieben wurden. Für meine Eltern war das immer eine schwierige Situation. Ich war später unbelasteter, bin schon in den 60er Jahren zum ersten Mal dort gewesen, um mir meinen Geburtsort anzuschauen. Ein Teil meiner Familie ist in Tschechien geblieben, meine Großmutter war zur Hälfte Tschechin. Daher habe ich heute noch viel Verwandtschaft in Tschechien. Das prägt eine besondere Beziehung zu dem Land. Leider kann ich kein Tschechisch, ich habe es nie gelernt, weil meine Eltern das nicht wollten.

Sie sind dann in Thüringen aufgewachsen, haben in Leipzig an der Theaterhochschule studiert.

Nach zwei Jahren Studium an der Theaterhochschule Leipzig kam die Anfrage ob nicht ein Teil unseres Studiengangs an die Filmhochschule möchte, weil in Berlin das zweite DDR Fernsehen aufgebaut werden sollte. Da brauchten sie plötzlich eine Menge Dramaturgen. Ich bin dann gleich ins dritte Studienjahr an der HFF gekommen. An der Stelle, wo heute unser Neubau steht, habe ich vor 30 Jahren gewohnt. Hier stand das Studentenwohnheim an der Sandscholle.

Das Studium in den Villen der damaligen HFF soll eine besondere Art von Filmen hervorgebracht haben.

Ein interessanter Punkt, über den ich derzeit nachdenke. Studenten der UDK erstellen für uns eine Art Marketing-Kampagne. Die Ist-Analyse kommt zu der Auffassung, dass die HFF heute sehr über das Gebäude definiert wird. Ich weiß nicht, ob die Villen eine andere Art von Filmen hervorgebracht haben. Ich trauere ihnen auch nicht nach, denn sie waren eigentlich nicht für eine Ausbildung von Filmschaffenden gedacht. Doch die Frage, wieso von Außen unser Gebäude stärker wahrgenommen wird als unsere erfolgreichen Filme, bleibt im Raum.

Eigentlich ist der Kinderfilm ihr Steckenpferd.

Da kommt vielleicht der Pädagoge in mir durch. Ich halte es für sehr wichtig, dass Kinder mit dem richtigen Medium bekannt gemacht werden. Mein Traum ist ein Masterstudiengang Kinderfilm hier an der HFF. Regie, Kamera, Produzieren für Kinder ist etwas anderes als für Erwachsene. Einen solchen Studiengang gibt es in ganz Europa noch nicht. Andererseits wird in Zukunft auch die Generation 50-plus als Zuschauergruppe immer wichtiger. Auch dafür entwickeln wir Modelle.

Fünf Jahre noch an der Spitze der HFF, und dann?

Danach habe ich private Ziele. Ich will noch etwas schreiben. Sowohl für die Forschung, aber auch etwas über das Leben in der DDR. Mir schwebt ein fiktionaler Text vor. Da fehlt noch einiges. Als Jugendforscher war ich ja gut informiert. Es existieren bereits Text-Fragmente auf meinem Laptop.

Und für die Filmhochschule?

Neben der genannten Umstellung auf Bachelor/Master und einer Qualitätssteigerung für Campus-TV steht für die Hochschule die Findung einer Leitidee ins Haus. Wir müssen auf dem internationalen Markt stärker werben. Zehn Prozent ausländische Studierende mag viel klingen, wir brauchen aber mehr. Für die geplante deutsch-koreanische Universität in Korea werden wir voraussichtlich das Konzept für die Filmausbildung entwickelt. Ich hoffe, dass die Einweihung der Universität noch in meine Dienstzeit fällt.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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