
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: „Wir haben den gesamten Ort gesperrt“
Könnte das „autofreie“ Oberstdorf in Bayern ein Vorbild für Potsdam sein?
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Potsdam hat ein Verkehrsproblem. Dadurch, dass die Stadt mit der Langen Brücke und der Humboldtbrücke nur über zwei nahe der Stadt gelegene Möglichkeiten der Havelüberquerung verfügt, ohne eine Umgehung für den Durchgangsverkehr zu bieten, wird die Konzentration von touristischem, Einwohner- und Durchgangsverkehr in der Innenstadt immer mehr spürbar. Über mögliche Lösungen – etwa eine dritte Haveltrasse – wird seit Jahren diskutiert.
Auch das bayrische Oberstdorf im Allgäu, einer der führenden Touristenorte Deutschlands, hatte ein Verkehrsproblem – die Betonung liegt auf „hatte“. Die Kleinstadt liegt an der Mündung eines Gebirgstals, das großen Anteil an den bayrischen Alpen hat. Damit ist Oberstdorf quasi das „Einfalltor“ für etliche Urlauber und Sporttouristen, die zu den zahlreichen dahinter gelegenen Ausflugszielen gelangen wollen. „Eine Umgehungstrasse gab es bis zu den 1980iger Jahren nicht“, schildert Oberstdorfs ehemaliger Bürgermeister Eduard Geyer, „im Zentrum gibt es viele enge Straßen und die Leute konnten teilweise nicht mal auf die andere Straßenseite gelangen.“ Seit den Neunzigerjahren ist die Innenstadt jedoch verkehrsberuhigt, Touristenbusse sind nirgends mehr zu sehen. Gleichzeitig sind die Besucherzahlen des etwa 10 000 Einwohner großen Ortes um etwa zehn Prozent gestiegen – auf rund 2,5 Millionen jährlich. Grund dafür ist das Verkehrskonzept „Autofrei“, das Geyer maßgeblich initiiert hat.
Unter dem Titel „Sanfte Mobilität in Oberstdorf – Anregung für Potsdam?“ hat die Potsdamer FDP den findigen CSU-Politiker daher kürzlich zu einem Informationsabend in die brandenburgische Landeshauptstadt eingeladen. Auch vor dem Hintergrund des Stadtentwicklungskonzeptes Verkehr (STEK), das in diesem Jahr beschlossen werden soll, will die FDP auf diese Weise nach neuen Anregungen für die Bewältigung der Potsdamer Verkehrsprobleme suchen.
Der 76-jährige Geyer, der von 1973 bis 2002 Bürgermeister von Oberstdorf war, hatte in den Siebzigerjahren nach langen Verhandlungen, die ihn bis vor den Bundesverkehrsminister führten, zunächst den Bau zweier Umgehungsstrassen durchsetzen können. Dass dies gelungen ist, kommt ihm heute rückblickend „wie ein Wunder“ vor, denn um das Verkehrskonzept hatte es viel Streit gegeben. Das eigentliche Wunder geschah jedoch erst Anfang der Neunziger, denn trotz der Abzweigung des Durchgangsverkehrs war das Aufkommen im Zentrum nach wie vor sehr hoch. „1992 hat sich alles verändert“, erinnert sich Geyer. „Im Wesentlichen haben wir den gesamten Ort gesperrt und zur Fußgängerzone erklärt.“ Parallel dazu hatte Geyer jedoch etliche Grundstücksflächen rund um Oberstdorf gekauft und auf ihnen Busbahnhöfe und rund 1000 Parkplätze errichtet; fahren in der Innenstadt durften nur noch Anwohner und öffentliche Verkehrsmittel. Geschafft hat Geyer dies durch „intensive Verhandlungen“ und „viel Glück“. Medienwirksam ließ der Bürgermeister dann auch noch öffentlich Ampeln absägen, die neuen Kreisverkehren weichen sollten. Der offizielle Begriff „Sanfte Mobilität“ sei ihm damals zu wenig gewesen, sagt Geyer. Er hätte es etwas „deftiger“ ausdrücken wollen und propagierte „autofreie statt autogerechte Städte“.
Und es funktionierte, allen Unkenrufen zum Trotz. „Einige frühere Gegner sind heute meine Freunde und die Bürgerinitiative, die anfangs dagegen war, hat sich mittlerweile aufgelöst“, sagt Geyer. Zur Krönung erhielt Oberstdorf 1996 den Bundespreis für Umwelt und Tourismus, übergeben von der damaligen Umweltministerin Angela Merkel.
Eine echte Erfolgsgeschichte also. Aber ob sich diese Lösungen so einfach auf Potsdam übertragen lassen, ist eine andere Frage, schließlich gibt es zahlreiche Flüsse und Gewässer rund um die Landeshauptstadt; eine Erschwerung der Verkehrslage, die es in Oberstdorf so nicht gibt. „Na ja“, meint Geyer, „dafür haben wir in Oberstdorf die Berge.“Erik Wenk
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