Landeshauptstadt: „Wir haben gestaunt, dass sie so dreist sind“ Potsdamer Antifa-Aktivisten stellten eine Chronik zu rechtsradikalen Aktivitäten in Potsdam vor
Stühle, Sitzsäcke, der Boden – alles ist besetzt. Die Aktivisten der Antifa Potsdam sind etwas überrascht über den Andrang von circa 125 Besuchern zwischen 16 und 30 Jahren, die am Samstagabend ins Spartacus auf dem Freilandgelände zur Infoveranstaltung unter dem Motto „Antifa United“ gekommen sind.
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Stühle, Sitzsäcke, der Boden – alles ist besetzt. Die Aktivisten der Antifa Potsdam sind etwas überrascht über den Andrang von circa 125 Besuchern zwischen 16 und 30 Jahren, die am Samstagabend ins Spartacus auf dem Freilandgelände zur Infoveranstaltung unter dem Motto „Antifa United“ gekommen sind. Zwischen wandfüllenden Bannern mit Aufschriften wie „Antifa – nicht ‚extremistisch’ sondern extrem wichtig!“ stellen die Antifa und das Antifaschistische Pressearchiv Potsdam (APAP) eine Chronik zu neonazistischen Aktivitäten in Potsdam von Juli bis Dezember 2011 vor.
Diese gehen laut der Antifa weiterhin vor allem von den „Freien Kräften Potsdam“ (FKP) aus: „FKP bleiben zentrale Akteure, NPD scheintot“, lautet eine kurze Zusammenfassung in der Chronik. Die früher aktive Alternative Jugend Potsdam existiere gar nicht mehr. Dennoch gebe es ein halbes Dutzend weiterer rechter Gruppen in Potsdam. „Hinter den meisten steht aber der gleiche Personenkreis“, sagt Antifa-Potsdam-Mitglied Martin Witold(*), der die Zahl der aktiven Neonazis in der Landeshauptstadt auf etwa 30 bis 50 Personen schätzt, dazu kämen rund 100 Unterstützer. Viele davon machen offenbar Musik: „In Potsdam gibt es die größte rechte Musikszene in Brandenburg.“ Für Erheiterung unter den Anwesenden sorgt die Info, dass es mittlerweile sogar ein rechtes Hip-Hop-Projekt namens „Natürlich“ geben solle.
Ein Blick in die Chronik zeigt, dass viele Vorfälle des letzten Halbjahres auch im Ortsteil Fahrland stattgefunden haben sollen: Mehrmals sollen hier alternative Jugendliche von Rechten angepöbelt, beschimpft und angriffen worden sein. Der schwerste Angriff ereignete sich laut APAP jedoch mitten in der Innenstadt, wo am Abend des 6. August ein Jugendlicher am Platz der Einheit von acht bis zehn Neonazis vom Fahrrad gerissen und mehrfach in den Bauch getreten worden sein soll. Allerdings: Die meisten der beschriebenen Angriffe hat die Polizei nicht registriert, weil keine Strafanzeigen eingegangen sind. Man habe Angst vor Racheakten der Neonazis, hieß es.
Insgesamt sei in diesem Jahr ein leichter Anstieg tätlicher Übergriffe in Potsdam zu registrieren, so Witold. Auch in der Waldstadt, wo nach Angaben der Antifa mittlerweile viele aktive Rechtsradikale ihren Wohnsitz hätten, habe es im vergangenen Jahr viele Aktionen gegeben. „Herausragend“ war in diesem Zusammenhang wohl der Fackelzug am 9. November, bei dem 30 bis 50 FKP-Mitglieder durch die Waldstadt marschierten. „Viele von uns haben echt gestaunt, dass sie so dreist sind“, meint Witold, „es war eine neue Dimension für Potsdam, dass die Neonazis überhaupt auf die Straße gehen.“
Nach den Informationen hat die Antifa am Samstag noch eine Party veranstaltet: Neben verschiedenen DJ’s hat dabei vor allem die Antifa-Kirmes für Stimmung unter den Besuchern gesorgt – sie konnten ihr Wurfgeschick an Blechdosen mit Fotos bekannter Potsdamer Neonazis testen.
So sehr sich Witold über die vielen Besucher freut, er stellt aber auch fest: „Es gibt in Potsdam zwar eine große linke Szene, aber nur eine kleine Antifa-Szene.“ In der Chronik ist auch von mangelndem Problembewusstsein seitens der Stadt und der Bürger die Rede. „Aber auch die antifaschistische Szene Potsdams muss in diese Kritik einbezogen werden, ihr (Nicht-)Handeln reflektieren und nach neuen Konzepten suchen“, heißt es einen Satz weiter. Auf Nachfrage will der Antifa-Aktivist diese Selbstkritik aber nicht weiter konkretisieren.
(* Name von der Redaktion geändert)
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