
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: „Wir hatten nicht mal mehr Geld für das Briefporto“ Detlef Gottschling kennt die BNN und PNN aus allen Bereichen eines Verlages. Erst schrieb er über Wirtschaft, dann war er Verlagsleiter und rettete die BNN über die Nachwendejahr
Herr Gottschling, Sie waren bisher im Leben Azubi, Student, Lehrer, Karikaturist, Journalist, Verlagsleiter, Geschäftsführer, Musiker und nun Pressesprecher. Was gefällt ihnen am besten?
Stand:
Herr Gottschling, Sie waren bisher im Leben Azubi, Student, Lehrer, Karikaturist, Journalist, Verlagsleiter, Geschäftsführer, Musiker und nun Pressesprecher. Was gefällt ihnen am besten?
Es ist die Mischung, es sind die wertvollen Erfahrungen, und alles hat seine Zeit. Wer wird schon ein Leben lang das tun, was er oder sie nach der Schule beginnt? So glaube ich nach 17 Jahren Zeitungmachen, dass ich heute als Pressesprecher ganz gut weiß, was Journalisten brauchen. Und Musiker bleibt man immer. Und Lehrer wohl auch sagt meine Frau.
Angefangen hat alles als Maschinen- und Anlagenmonteur, dann waren Sie Lehrer. Warum wollten Sie nicht mehr Lehrer sein?
In der damaligen Schule 28 in Potsdam-Waldstadt unterrichtete ich zwei Jahre Deutsch und Englisch. Damals habe ich schon hin und wieder für die Brandenburgischen Neuesten Nachrichten Karikaturen gezeichnet. Der stellvertretende Chefredakteur Erhart Hohenstein hat damals die Seite „Zwischen Havel und Spree“ betreut. Die Seite gibt es so ähnlich heute noch. Damals hatte sie eine kleine Umweltschutzrubrik, was zu DDR-Zeiten als Tabu galt. Man schrieb nicht drüber. So war es eben meine Comicfigur Havelhecht, die Umweltsünden aufs Korn nahm. Beispielsweise wie einer an der Badestelle sein Auto gewaschen hat. Da kam der Havelhecht und hat ihn mit der Schwanzflosse mit Schlamm beworfen. Die Zeichnung war in einer Seitenecke platziert und nach dem dritten oder vierten Teil hat mich die Redaktion informiert, dass sie gewarnt worden war, damit etwas verantwortungsvoller umzugehen.
Und dennoch wollten sie nicht mehr lehren.
Der politische Druck in der Schule wuchs immer mehr. Wir als Klassenleiter mussten beispielsweise dafür sorgen, dass sich ein bestimmter Prozentsatz der Schüler als länger dienend bei der Volksarmee verpflichtet. Das begann schon in der fünften Klasse. Die Jungen spielten mit Matchbox-Autos und ich sollte mit denen über den Wehrdienst sprechen. Das wollte ich nicht und so habe ich immer weniger Pioniernachmittage organisiert, weil mir derartige Themen fremd waren. Schnell wurde ich von manchen systemtreuen Kollegen kritisiert. Bald bin ich in die Blockpartei NDPD eingetreten, um Ruhe zu haben vor diesem Gelöchere, wann ich als Lehrer endlich SED-Mitglied würde. Damit war das Thema erledigt. Parallel habe ich eine neue Aufgabe gesucht und bin bei den BNN gelandet.
Sie sind Musiker, haben schon damals mit der Band Steinschlag Konzerte gegeben, die „bösen“ Rolling Stones gecovert, Karikaturen gezeichnet. Wieso wollten sie Journalist in der DDR werden?
Junge Menschen wollen und müssen die Welt verändern, und die Presse gilt als die vierte Gewalt im Staat. Eine gewisse Freiheit bei der Arbeit in der DDR verdanke ich dem damaligen Chefredakteur und humorvollen Freigeist Georg Jopke. Er hat viele politische Angriffe auf seine Mitarbeiter abgefangen, denn auch die SED-Bezirksleitung hat die Zeitung aufmerksam gelesen. Die haben Jopke und den damaligen Verlagsleiter häufig einbestellt. Jopke aber hat die Hand über uns gehalten – wir haben sogar eine Jugendseite gegründet. Welche Zeitung hatte das damals schon?
Gab es etwas, was Sie umsetzen wollten, aber nicht konnten?
Man hat nicht alles gewollt, weil man wusste, es geht nicht. Die Schere im Kopf war da. Wir durften nicht über Alkoholismus und Drogensucht schreiben, das waren Tabuthemen. Sonst hätte wohl auch der dickfelligste Chefredakteur sagen müssen: Können wir den Artikel vielleicht noch den einen oder anderen Tag schieben?
Wie schnell änderten sich die Restriktionen?
Mit der Maueröffnung brach die Einflussnahme ab. Bis dahin kam regelmäßig am Nachmittag ein Telex. Darauf stand: Die National-Zeitung, das Zentralorgan in Berlin, macht morgen wie folgt auf. Es folgten drei Überschriftzeilen, drei Unterzeilen und dann kam der Text. Wir saßen als Nachrichtenredakteure davor und haben uns kopfschüttelnd die sogenannte Empfehlung angeschaut. Es gab Leute, die haben das Eins zu Eins übernommen, oder Kritiker wie Jopke: Der hat mit seinem berühmten Bleistiftstummel wild darin herumgestrichen. Dieses Nachmittags-Telex verstummte nach dem 9. November 1989. Übrigens hatten nur wenige bei uns in der Redaktion anfangs an eine deutsche Wiedervereinigung gedacht. Wir wollten eine gerechtere DDR. Wir wollten, dass die alten Opas da oben verschwinden, wir wollten Pluralismus, Meinungs- und Reisefreiheit – aber wir wussten nicht, in welch desolatem Zustand das Land wirklich war. Schnell merkten wir: Die DDR-Wirtschaft brauchst du nicht abzuschalten, denn selbst der Schalter war auch schon kaputt.
Warum sind Sie Verlagsleiter geworden?
Der Generationswechsel in der Verlagsleitung stand auf der Tagesordnung: Wir brauchten einen neuen Chef, und plötzlich guckten alle mich an. Wohl, weil ich die Einführung von Computern vorangetrieben hatte, weil ich nach der Maueröffnung sofort Verbindungen zu anderen Verlagen im Westen aufgebaut und mit Verlags- und Finanzprofis geredet hatte und wusste: Der Wettbewerb läuft, deshalb müssen wir schnell lernen und anwenden. Meine journalistischen Ambitionen stellte ich zunächst zurück.
Wieso wurde der Heinrich-Bauer-Verlag Hamburg der erste Partner, obwohl der Tagesspiegel als erster vor der Tür stand?
Die beiden damaligen Tagesspiegel-Geschäftsführer waren tatsächlich ein paar Tage vor dem Bauer-Verlag da. Doch offenbar waren sie zur falschen Zeit in der falschen Situation in Potsdam unterwegs, so dass die Gesprächspartner das Ganze als unsanfte Übernahme auffassen mussten. Es gab so viele Missverständnisse zu der Zeit. Heute weiß jeder, dass man sich ein Angebot erst einmal anhört, und dass man auch eine Nacht drüber nachdenken darf.
Dann kam die neue Chance, der Heinrich- Bauer-Verlag Hamburg.
Die Hamburger boten mir eine unkomplizierte Kooperation an. Konkret: Schon ab der nächsten Woche könne man eine Programmbeilage liefern. Telestar hieß das Heft, dann Telestunde – erst später bezogen wir von woanders die rtv. Leider liegt diese seit kurzem nicht mehr bei. Zurück zur Frage: Vier Wochen später habe ich mit dem Dienst-Wartburg die ersten vier Apple-Computer nach Potsdam geholt, und der Zöllner in Zarrentin wollte mich damit nicht einreisen lassen. Als ich ihm von der Sicherung der Arbeitskräfte erzählte, winkte er mich durch. In den BNN erschienen plötzlich mit Hilfe der Hamburger große Anzeigen bekannter Automarken, was ordentlich Geld in die Kasse spülte.
Wie kam die Fernseh-Beilage in die Zeitung hinein?
Wir hatten keine eigene Druckerei und waren Kunde in der Friedrich-Engels-Straße. Dort lief für uns damals eine russische Hochdruckmaschine, für die noch Bleidruckzylinder gegossen wurden. Technik zum Einsortieren von Beilagen gab es nicht. Also sind wir mit einem Dutzend Leuten aus Vertrieb und Buchhaltung abends in die Druckerei gefahren und haben von Hand die Beilage in die Zeitung gesteckt. Später hat die Deutsche Post die Aufgabe übernommen, danach moderne Technik. Die Leser merkten davon nichts: Ab sofort gab es dienstags zu ihren BNN eine farbige TV-Beilage kostenlos dazu.
Es war eine turbulente Zeit, neue Druckerei, neue Titelköpfe, neue Redaktionen. Und dann wurde die Zeitung auch noch umbenannt?
Das Kartellamt stellte sich nach dem Jahreswechsel 1989/90 gegen die Fortsetzung der Kooperation mit den Hamburgern. Ohne Partner galt es, bange Monate zu überstehen; wir schlidderten knapp an der Insolvenz vorbei. Die Zusammenarbeit mit dem Tagesspiegel schmiedete ich in letzter Minute. Unsere Mitarbeiter brachten die Abo-Rechnungen sogar eigenhändig an ihren Wohnorten zu den Lesern, weil wir zuletzt nicht einmal mehr das Geld für das Briefporto hatten. Die folgerichtige Titeländerung kam dann erst in Zusammenarbeit mit dem Tagesspiegel. Die PNN sind bis heute eine Zeitung aus Potsdam, sie erscheinen in Potsdam und das Wort brandenburgisch war seinerzeit aus den Köpfen der Menschen heraus.
Warum stieg anfangs die Auflage und sank dann kontinuierlich?
Wir hatten in der DDR etwa 19 500 Exemplare. Mehr durften wir laut staatlich zugeteiltem Papierkontingent nicht drucken. Wenn Oma Soundso starb, konnte ein anderer das Abo bekommen. Nach dem Mauerfall stieg die Auflage auf bis zu 24 000. Der Bruch kam in dem Moment, als wir aus wirtschaftlichen Gründen aus der Bezugsgebühr von drei Mark im Monat bald sechs, zwölf und mehr machen mussten. Da hat es bei allen Verlagen gerasselt.
Wie bewerten sie den Journalismus heute?
Das Tageszeitungsgeschäft ist äußerst hart. Der Trend, ich kaufe mir Platz in der Zeitung und produziere meine eigene PR-Nachricht, steigt. Das liegt auch daran, dass beispielsweise Anzeigenblätter wie Pilze aus dem Boden geschossen sind und von vielen Lesern inzwischen als Nonplusultra begriffen werden. Wenige merken, dass diese Zeitungen zu einem Großteil aus gekauften Inhalten bestehen. So ist gut recherchierter Journalismus heute seltener geworden.
Die PNN feiern 60. Geburtstag. Wie lange gibt es Zeitungen noch?
Ewig. Der klassischen Zeitung in Papierform gebe ich noch zehn Jahre. Die werbetreibende Wirtschaft hat die neuen Medien angenommen. Versandhauskataloge erscheinen kaum noch in gedruckter Form und sind komplett im Internet. Musik wird immer weniger im Laden auf CD gekauft. Das gesamte Nutzerverhalten ändert sich hin zum Digitalen, warum also nicht die Zeitung? Der Schwenk hin zum Elektronischen ist so stark, dass auch ich ab morgen meine Zeitung – meinethalben auch Teile verschiedener – im Abonnement auf dem iPad lesen würde. Für die Verlage wäre es ein Segen, denn nichts ist aufwändiger als der Vertrieb in der Nacht zu den Läden und Briefkästen. Guter Journalismus indes wird geschätzt, und damit behalten die Redaktionen auch für Online-Zeitungen ihre Berechtigung.
Das Gespräch führte Jan Brunzlow
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