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Bitte warten. Zahlreiche Baustellen sorgen seit Montag auf Potsdams Straßen für Staus mit langen Wartezeiten.

© Julius Frick

Landeshauptstadt: Wirtschaft rügt Stadt für Verkehrschaos

Staus führten zu Umsatzrückgängen und ausbleibenden Kunden, kritisieren Unternehmer

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Das anhaltende Chaos auf Potsdams Straßen sorgt weiter für scharfe Kritik an den städtischen Verkehrsplanern. Am gestrigen Mittwoch schlug einerseits die regionale Wirtschaft Alarm, andererseits gab es erneut heftige Vorwürfe von Verkehrsexperten.

Die regionale Wirtschaft werde durch die Verkehrseinschränkungen „stark belastet“, sagte Manfred Wäsche, der kommissarische Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Potsdam (IHK). Der Verkehrsinfarkt zeige, „dass nicht ausreichend geplant wurde“. Wie berichtet steckten am Montag Tausende Potsdamer wegen einer Reihe von neuen Baustellen im Stadtgebiet stundenlang bei brütender Hitze im Stau, auch am Dienstag und Mittwoch kam es vielerorts wieder zu langen Wartezeiten.

Insbesondere im Norden fehlten Alternativen für die völlig überlastete Bundesstraße 2, so Wäsche. Unverständnis äußerten auch Gewerbetreibende wie der Gastronom Mario Kade vom „Restaurant am Pfingstberg“: Wegen der Staus hätten Gäste vermehrt ihren Besuch kurzfristig abgesagt. In drei Tagen habe es 38 Absagen gegeben. „Alle Hauptverkehrswege auf einmal zu sperren, ist der touristischen Entwicklung Potsdam wenig zuträglich“, sagt Kade.

Auch im Karstadt-Kaufhaus in der Brandenburger Straße machen sich die Staus „deutlich durch eine schlechtere Kundenfrequenz bemerkbar“, wie Filialleiterin Beate Stadler sagte. Diesen Eindruck bestätigt auch der Einzelhändler Axel Ballhause vom Teegeschäft „Time for Tea“ in der Brandenburger Straße: „Zum Start des Sommerschlussverkaufs die Potsdamer Innenstadt fast abzuriegeln, das gelingt mit so einer ungeschickten Planung“, ärgert er sich: „Wir Einzelhändler von der Brandenburger Straße sind sehr enttäuscht und hatten so wenig Weitblick nicht erwartet.“ Zusätzlich schmerzhaft sei, dass besonders Touristen vom Besuch in der Stadt abgeschreckt würden. Ähnlich sieht das auch die Einzelhändlerin Martina Albrecht von S & M Moden in der Dortustraße: „Die Situation ist katastrophal und macht sich sofort am Ladentisch bemerkbar.“ Gäste von außerhalb blieben verständlicheweise aus: „Die Stadt sollte schnell darüber nachdenken, wer hier zum Haushalt beiträgt.“

Auch der frühere Potsdamer Verkehrsplaner Horst Prietz meldete sich mit einer Generalkritik zu Wort. Die jetzt auftretenden Probleme seien hausgemacht und Ergebnis einer über Jahre hinweg verfehlten Verkehrspolitik der Stadt, so Prietz, der in den 1990er-Jahren Verkehrsplaner in Potsdam war. Die heutige Situation führt er auf politische Fehlentscheidungen zurück: Die Absagen an einen Tunnel entlang des Neuen Gartens und an einen dritten Havelübergang mit der innerstädtischen Entlastungsstraße – kurz Ises. Über beide habe er 1991 im Bundesverkehrsministerium verhandelt – und eine Finanzierungszusage bekommen. „Aber trotz Spendieren der Baukosten sagten die Verkehrsplaner damals: Das brauchen wir nicht“, so Prietz. Der Tunnel entlang des Neuen Gartens hätte das Nadelöhr Behlertstraße/Am Neuen Garten/Alleestraße entschärfen sollen: Der Verkehr hätte vierspurig – zwei Spuren unter der Erde, zwei darüber – geführt werden können. „So kann garantiert werden, dass die Trasse wegen eines liegen gebliebenen Fahrzeuges nie verstopft ist“, sagt Prietz. Das Verkehrsaufkommen an dieser Stelle zu verringern sei praktisch unmöglich. „Augen zu hilft nicht, wie wir aktuell sehen.“

Auch die Ises hätte laut Prietz Abhilfe geschaffen: Der Autoverkehr hätte auf einer gemeinsamen Trasse mit der Bahn vom Hauptbahnhof zur Zeppelinstraße geführt werden können, „ohne zusätzlichen Flächenbedarf“. „Heute zeigt sich, dass dies alles verschlafen und verschenkt wurde“, so Prietz. Wie berichtet hat sich die Stadt 2013 bei der Neuauflage des Stadtentwicklungskonzeptes Verkehr endgültig von den lange diskutierten Ises-Plänen verabschiedet.

Der zuständigen Bauverwaltung unter Führung von Matthias Klipp (Grüne) wirft Prietz Polemik gegen Autofahrer vor. Pendler nutzten das Auto „nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil die Arbeitswelt den wenigsten einen Arbeitsplatz vor der Haustür anbietet“, sagt Prietz. „Wer in der Stadt seine Arbeit zu Fuß oder per Rad erreichen kann, soll nicht mit dem Finger auf die zeigen, die es schwerer haben“. Erklärtes Ziel der Stadt ist es bekanntlich, den Anteil der im Privatauto zurückgelegten Wege bis 2025 um acht Prozent zu senken und stattdessen Radverkehr und Nahverkehr zu stärken.

Teils scharfe Kritik hatte sich die Stadt in dieser Woche schon von SPD-Fraktionschef Mike Schubert, dem CDU-Landtagskandidaten Wieland Niekisch und der Neu Fahrländer Ortsvorsteherin Carmen Klockow (Bürgerbündnis) gefallen lassen müssen (PNN berichteten). Auch der ADAC-Verkehrsexperte Jörg Becker hatte Versäumnisse bei der Baustellenplanung kritisiert. Er plädierte unter anderem für eine bessere zeitliche Verteilung der Baustellen und für Arbeit auch in den Nachtstunden. Der ADAC bot der Stadt zudem an, bei der Vorbereitung von Baustellenprojekte beratend zu helfen.

Die Stadt hatte ihr Vorgehen am Dienstag verteidigt. Während der Ferien seien im Berufsverkehr rund 20 Prozent weniger Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs als sonst. Mit den jetzt gleichzeitig in Angriff genommenen Baustellen hätte man nicht warten können, da es sich um Hausanschlüsse handelt, für die es bestimmte Bereitstellungsfristen gebe.

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