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Landeshauptstadt: Wo der Osten im Westen lag – und der Westen im Osten

In Groß Glienicke prägt ein See den ganzen Ort. Um den Zugang gibt es heftigen Streit. Aber auch so kann man die Landschaft am Ufer auf Spaziergängen genießen

Stand:

Ganz tief müssen sie geflogen sein. Wirklich verdammt niedrig. Hier am Ostufer des Groß Glienicker Sees brausten die Maschinen der Engländer dicht über den Dächern hinweg. Der Flugplatz Gatow war nur einen Steinwurf entfernt. Ganz selten – wahrscheinlich kann man diese wenigen Male an einer Hand abzählen – habe man damals denken können, dass man den Fliegern der Briten fast ins Fenster fassen konnte, erzählt ein Herr, der vor seinem Grundstück in der Kladower Uferpromenade soeben Laub in einen großen hellen Plastiksack gefüllt hat. Seit 1952 sei seine Familie hier ansässig, sagt der Mann im blauen Strickpullover. „Wir fahren raus nach Glienicke“, habe seine Mutter früher immer gesagt. Nach Glienicke? Hier ist doch schon Berlin, Groß Glienicke liegt drüben auf der anderen Seeseite, könnte man jetzt denken.

Ja, das mit Berlin und Groß Glienicke ist eine ganz spezielle Geschichte. Ein wenig verworren. Heute geht die Grenze zu Berlin mitten durch den Groß Glienicker See. Doch früher war das anders. Die Siedlung am Ostufer, die jetzt im Berliner Stadtteil Spandau liegt, gehörte bis in die 1940er-Jahre hinein zu Groß Glienicke. Doch nach Kriegsende erwies sich diese Ortsgrenze für die britischen Besatzer als ziemlich unpraktisch. Sie nutzten in ihrem Berliner Sektor den Flughafen Gatow. Der jedoch lag zum großen Teil in der sowjetischen Besatzungszone. Schon klar, dass den Briten das nicht passte. Also tauschten die Sowjets und die Briten ein bisschen Land am Berliner Stadtrand. Mit der Folge: Der Groß Glienicker Osten lag plötzlich im (politischen) Westen.

Auch die Sommerfrische mit Seezugang, vor der jetzt der Mann im Strickpulli das Laub von einem kleinen Sack in einen großen Sack umfüllt, gehörte nun zu Westberlin. Die Klitsche hatte sozusagen eine steile Karriere gemacht. Und das ganz ohne Ortswechsel. Ein Wochenendhaus mit Seezugang war sicher schon damals ein guter Platz für Erholungssuchende aus der Berliner Innenstadt – wenn da nicht dauernd diese Flugzeuge direkt oben drüber gewesen wären.

Heute, wo die einstige Wochenendlaube längst einem passablen Wohnhaus gewichen ist, kommen die Flieger nur noch höchst selten hier vorbei, nämlich bei Sonderveranstaltungen auf dem alten Flugplatz Gatow. So erzählt es der Anwohner neben seinem großen Laubsack stehend.

Seinen Namen will er zwar nicht nennen. Aber eine klare Botschaft möchte er dann doch noch loswerden: Hier sei keiner begeistert von den Plänen des Bezirksamtes Spandau, am Ostufer des Groß Glienicker Sees einen Uferweg anzulegen. Er kenne niemanden, der hier dafür sei. „Mensch Kinder, das ist doch normal“, wirbt er um Verständnis. „Aber so einfach ist es ja Gott sei Dank in der Bundesrepublik mit Enteignungen nicht.“

Auf der anderen Seeseite, in Groß Glienicke, haben sie das jetzt natürlich nicht hören können. Dabei hätten ein paar Seeanrainer sich bestimmt über die Worte des Mannes von der Berliner Seite gefreut. Nämlich jene Uferwegsperrer, denen es mit den laufenden Enteignungsverfahren zugunsten eines freien Uferweges nun ans Eingemachte gehen soll.

„Enteignung“ sei für das, was da geplant ist, eigentlich ein etwas unglücklicher Begriff, meint Groß Glienickes Ortsvorsteher Franz Blaser. Schließlich verlieren die Anrainer nicht ihre Grundstücke. Sogar dort, wo später der Uferweg quer über ihre Grundstücke gehen soll, werden die Anwohner nach dem Willen der Stadt ihr Eigentum nicht verlieren. Lediglich eine Dienstbarkeit zugunsten eines frei zugänglichen Uferwegs soll in den Grundbüchern eingetragen werden. Doch das ungestörte alleinige Genießen der herrlichen Seelage wäre dann für die sich momentan noch sträubenden Uferwegsperrer dahin.

Die übrigen Groß Glienicker und ihre Gäste müssen derweil mit dem Uferwegtorso vorlieb nehmen, der sich jetzt am See entlang zieht. Ein Weg mit Unterbrechungen. Maren und Peter Eggert etwa laufen hier oft entlang. Unterhalb des Spielplatzes nahe der Badewiese gehen sie gerade der Herbstsonne entgegen. Eggerts kommen von drüben, von der anderen Seite, also aus Berlin. Sie wohnen am Ritterfelddamm. „Bei dem schönen Wetter, lass uns mal um den See gehen“, hätten sie sich heute gesagt, erzählt Maren Eggert. Als vor Jahren der Weg am Ufer auf Groß Glienicker Seite noch komplett frei war, da seien sie beinahe jeden Sonntag um den See gelaufen. Anderthalb Stunden eine Tour. Sicher schafft man das nur mit einem einigermaßen sportlichen Schritt.

Nach dem Mauerfall haben Eggerts erstmal ihr neu gewonnenes Hinterland erkundet. „Als die Mauer dann weg war, das war natürlich toll“, schwärmt Peter Eggert von den Aufbruchjahren nach dem politischen Umbruch. An der Sacrower Heilandskirche, auf einer ihrer Erkundungstouren, schlossen Eggerts damals Bekanntschaft mit einem Einwohner von Groß Glienicke. Eines Tages besuchten sie ihn in seinem Haus. „Auf einem Mal standen wir da oben auf dem Balkon und guckten auf unsere Seite herüber“, erinnert sich Peter Eggert. Ein schönes Gefühl sei das damals gewesen. Doch der Groß Glienicker ist inzwischen weggezogen. Eggerts hingegen sind geblieben und genießen noch immer den See.

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