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Willkommensfest in Flüchtlingsunterkunft auf Brauhausberg: Zeig dein Gesicht, erzähle deine Geschichte

Die Bewohner des Awo-Flüchtlingsheims im „Kreml“ feierten am Wochenende einen Willkommenstag. Doch bei aller Freude wurden auch Ängste und Sorgen laut.

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Potsdam - Vier riesige Köpfe mit großen Augen – braun, gelb, pink und blau – blicken seit Samstag jeden an, der den ehemaligen Plenarsaal im Alten Landtag auf dem Brauhausberg betritt. Geschaffen hat sie der Street-Art-Künstler Thierry Noir, der mit seinen Malereien an der Berliner Mauer in den 1980er-Jahren weltweit berühmt wurde. Geholfen haben ihm Menschen aus Syrien, Afghanistan, Tschetschenien und dem Tschad, die in der Awo-Wohnanlage im Alten Landtag untergebracht sind. Der Künstler kam anlässlich des „Day Of Welcome – ein Tag interkultureller Begegnungen von Menschen für Menschen“ auf den Brauhausberg, auf dem aktuell rund 400 Geflüchtete leben.

Eingeladen hatten die Berliner Werbeagentur Vaterblut und der Awo Bezirksverband Potsdam. Zehn Stunden lang wurde auf den Stockwerken der Unterkunft gemeinsam gekocht, es gab einen Gospel-Workshop mit Kirk Smith, bekannt durch seinen Auftritt in der Sat1-Casting-Show „The Voice of Germany“, Kino für Jung und Alt, für Kinder gemeinsames Postkartenbemalen mit Thierry Noir und einen „Tanz der Kulturen“, zu dem gemeinsam zu unterschiedlicher, landestypischer Musik aus den Herkunftsländern der Geflüchteten getanzt wurde. Finanziell möglich machte es unter anderem die Staatskanzlei des Landes Brandenburg, die eine Förderung über fast 4000 Euro hinzu gab.

Bei allen Programmpunkten ging es Veranstaltern darum, dass sich Menschen direkt begegnen und etwas übereinander erfahren. Besonders groß war der Andrang bei „Show your face, tell your story“, auf Deutsch „Zeig dein Gesicht, erzähle deine Geschichte“. Hier wurden ausdrucksstarke Fotoaufnahmen gemacht und die Porträtierten anschließend interviewt.

Einer, der seine Geschichte erzählte, ist Baghlani Hassibullah. Der 19-Jährige ist vor zehn Monaten alleine aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. In seiner Heimat lebt von seiner Familie nur noch seine Mutter. Auf die Frage, was er sich für die Zukunft wünscht, sagt er: „Einen deutschen Pass und dass meine Mutter kommen kann.“ Vor dem Hintergrund aktueller Abschiebungen von Afghanen aus ganz Deutschland habe er große Angst, dass auch er nicht bleiben könne. „Ich habe nur noch eine Niere, und in Afghanistan gibt es keine medizinische Versorgung für mich“, sagt er.

Auch andere Afghanen erzählen an diesem Tag von der Angst vor Abschiebung – und davon, dass sie angesichts des Taliban-Terrors nicht sicher in ihren Dörfern und Städten gelebt hätten. „We are not here for fun“ – „Wir sind nicht aus Spaß hier“, sagt etwa Mobini Narziv Ahmad. Und dass er sich gerne dafür revanchieren möchte, dass er in Deutschland aufgenommen wurde – indem er arbeitet und Steuern zahlt zum Beispiel. Das sei sein großer Wunsch für die Zukunft.

Was mit den Fotos und Interviews passieren soll, sei noch offen, sagt Veranstalter Yves Krämer von der Agentur Vaterblut. Im Vordergrund habe zunächst gestanden, dass jeder einmal im Mittelpunkt stehen und seine Geschichte erzählen könne – und die Begegnung der Menschen untereinander, die für die Fotos anstanden. „Aber uns war nicht klar, wie gut dieses Projekt angenommen würde. Wahrscheinlich geben wir einen Bildband mit den Interviews heraus“, erzählt Krämer.

Fragt man Bewohner der Unterkunft, ob sie sich auf dem Brauhausberg wohlfühlten, lautet die Antwort ja – mit der Einschränkung, dass man sich trotzdem sehr nach einer eigenen Wohnung sehne. Amina und Hasan Ralet, ein kurdisches Ehepaar aus einem Dorf bei Aleppo, lebt mit zwei Kindern in zwei Zimmern im alten Landtag, der wegen seiner Vergangenheit als Sitz der SED-Bezirksleitung im Volksmund „Kreml“ heißt. Ralets sind froh, hier zu sein, aber es sei auch problematisch, seit einem Jahr kaum Privatsphäre zu haben. Eine Küche teilen sich vier bis fünf Familien, erzählen sie, außerdem seien die Wände sehr dünn, es sei immer laut. Hasan finde kaum noch Schlaf und habe ständig Kopfschmerzen, erzählt Amina, und zeigt eine Packung Schlaftabletten, die ihrem Mann deshalb verschrieben worden seien. Seit Längerem schon bemühten sie sich deshalb um eine Wohnung, doch das sei schwierig, auch, weil sie beide noch keine Arbeit gefunden hätten. Dennoch sagen sie mehr als einmal, fast entschuldigend: „Danke, Deutschland!“, und später sieht man die beiden ausgelassen mitfeiern in der tanzenden Menge.

Bei den Bewohnern der Unterkunft kam der Willkommenstag also offensichtlich gut an – neben Hasan und Amina feiern auch die anderen Bewohnern ein fröhliches Fest. Eines aber fiel auf: Der Austausch fand vor allem unter den Flüchtlingen und Organisatoren statt. Potsdamer selbst waren bis auf einige ehrenamtliche Helfer nur wenige vor Ort. Allerdings wurde die Veranstaltung auch recht kurzfristig angekündigt. Und auch Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), der dem Veranstalter nach dessen Aussage einen Besuch in Aussicht gestellt hatte, kam nicht zur offiziellen Begrüßung. Krämer zeigte sich darüber enttäuscht: „Das ist wirklich mehr als schade“, sagte er.

Vielleicht aber wird der eine oder andere es ja nachholen und sich das von Thierry Noir und den Bewohnern gestaltete Kunstwerk im Plenarsaal ansehen. Als Symbol einer Willkommenskultur für Menschen jeder Hautfarbe und Herkunft soll es dort bestehen bleiben.

Andrea Lütkewitz

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