zum Hauptinhalt
Catrin Eich ist seit 2002 Gedenkstättenpädagogin.

© M. Thomas

Gedenken an NS-Opfer: "Zeitzeugen sind ein wichtiges Medium"

Catrin Eich ist Pädagogin bei der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 für Opfer der NS-Zeit und des DDR-Regimes. Im Interview schildert sie, warum Begegnungen mit Zeitzeugen so lehrreich sind.

Stand:

Frau Eich, Sie sind Gedenkstättenpädagogin in der Lindenstraße 54/55. Welche Rolle spielt die NS-Zeit bei Ihrer Arbeit?

Uns Gedenkstättenpädagogen geht es immer um Demokratie- und Menschenrechtserziehung anhand verschiedener Themen. Die NS-Zeit thematisiere ich mit jeder Schülergruppe, es geht mir darum, die gesamte Geschichte der Gedenkstätte zu vermitteln. Die Schüler können sich in der Ausstellung schwerpunktmäßig mit dem Erbgesundheitsgericht oder der Terror-Justiz der NS-Diktatur beschäftigen. Menschen waren in der Lindenstraße aus verschiedensten Gründen inhaftiert, zum Beispiel saßen hier auch Leute aus dem Widerstand. Die Schüler können sich in kleinen Gruppen mit Einzelfallbeispielen beschäftigen.

Gibt es überhaupt noch Zeitzeugen?

Ja. Ich arbeite hier mit Henry Schwarzbaum und Ilse Heinrich, beide leben in Berlin. Henry Schwarzbaum war in den Konzentrationslagern Auschwitz, Buchenwald und Sachsenhausen. Ilse Heinrich war als Jugendliche in Ravensbrück. Die Schüler führen mit den beiden vorbereitete Interviews durch. Früher habe ich auch mit Willi Frohwein und Adam König gearbeitet – sie leben nicht mehr. Es lebt auch noch ein Zeitzeuge, der zur NS-Zeit in der Lindenstraße inhaftiert war. Er kann zwar nicht mehr nach Potsdam kommen. Ich sage den Schülern aber immer: Wenn ihr eine Facharbeit schreibt, ein Projekt habt, könnt ihr mit ihm reden.

Bleibt in Zukunft nur noch der Rückgriff auf Filmmaterial mit den Zeugen?

Es gibt natürlich schon solche Aufzeichnungen. Aber solange noch Zeitzeugen leben, setze ich das nicht ein.

Warum?

Zeitzeugen sind ein wichtiges Medium.

Wie uns Schüler rückmelden, empfinden sie die Begegnungen als besonders eindrücklich und weitaus lehrreicher als Unterrichtsstunden, Geschichtsbücher oder Vorträge. Die Zeitzeugen sprechen mit den Schülern nicht nur über das damalige Geschehen, sondern auch über das Hier und Heute: Der IS-Terror oder die Anschläge in Paris – das wird alles besprochen, danach fragen die Schüler. Das Ziel ist es, zu hinterfragen, wie wir mit Geschichte umgehen, was wir heute für Probleme haben. Als Gedenkstättenlehrer wollen wir künftig auch die Angehörigen der Verfolgten mehr in den Fokus rücken.

Was erhoffen Sie sich davon?

Damit können wir ein wichtiges Thema aufgreifen: Die Frage, inwieweit Traumata auf die nächsten Generationen übergehen. Was macht das mit Kindern und Enkelkindern, wenn jemand in der Familie so schwer traumatisiert wurde? Ich ermuntere die Schüler immer, auch in ihrer eigenen Familiengeschichte zu graben und den älteren Generationen Fragen zu stellen, die sowohl die Betroffenen- als auch die Täterseite betreffen.

Das Gespräch führte Jana Haase.

Catrin Eich (52) ist seit 2002 Gedenkstättenpädagogin in der Lindenstraße 54/55. Im vergangenen Schuljahr nutzten 4898 Schüler und Studenten ihre Angebote.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })