
© Andreas Klaer
Von Henri Kramer: Zukunftsvisionen
Eine Klasse der Waldorfschule hat Texte über das Leben und die Chancen nach der Schule verfasst
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Tammo Walter hat einen Plan. Nach der Schule will der 18-Jährige für ein Jahr nach Neuseeland gehen und dort in einer Schule arbeiten – als freiwillige Hilfskraft. „Ich war schon ’mal in Neuseeland. Besonders haben mir dort die Natur und die lockere Mentalität der Menschen gefallen.“ Von der Mitte der Insel aus will er das Land erkunden.
Tammo sitzt mit vier Mitschülern in der Bibliothek der Potsdamer Waldorfschule, sie sprechen über ihre Zukunftspläne. Über das, was das Leben nach der Schule so bringen kann, haben sie und andere Zwölftklässler im Unterricht gerade eine Projektmappe gestaltet – mit Texten über Themen wie Studium, Auslandsjahr oder Unternehmensgründung, aber auch Hartz IV oder die Wahl der richtigen Versicherung nach der Schule (siehe Kasten). Nun geht es um sie persönlich – fünf Jugendliche, fünf Zukunftsvisionen.
So klar wie bei Tammo sind nicht alle Vorstellungen. Sein Zwillingsbruder Vito etwa hat noch keine konkreten Pläne, außer dass auch er für eine Zeit weg aus Deutschland will. „Es ist wichtig, verschiedene Kulturen und Sprachen kennenzulernen“, sagt er. Amerika ist für ihn eines der Traumziele.
Auch Paluna Braun hat sich noch nicht festgelegt. „Ich möchte zwar ins Ausland, weiß aber nicht genau wohin“, sagt sie. Die 18-Jährige findet eine Zeit des Ausprobierens sehr wichtig. „Ich möchte schließlich rauskriegen, was ich gerne mache.“ Denn was man nicht kenne, das könne auch nicht zur Wunschvorstellung werden. Eine Option für das spätere Leben hat sie aber schon: Dolmetscherin ist ein Job, den sie sich vorstellen kann.
Einen Berufswunsch hat auch Hannah Gölle bereits: Pferdetherapeutin, um Menschen zu helfen und zugleich mit Tieren arbeiten zu können. Doch auch die 18-Jährige möchte zuvor ins Ausland – vielleicht mit Hilfe eines „Work & Travel“-Programms, um die Fahrt einigermaßen finanzieren zu können. Ein Wunsch dabei: Ghana in Westafrika. „Das wird aber eine Geldfrage – vielleicht muss ich mir für so einen Aufenthalt hier zunächst eine Arbeit suchen“, sagt Hannah Gölle.
Ein „Vielleicht“ hat Gregor Schneider nicht in seinem Wortschatz, wenn er über seine Zukunft nach der Schule redet. Erst einmal will der 17-Jährige ein Jahr lang sein Hobby, das Dressurreiten, professionell betreiben. Und dann wie seine Eltern in den Bereich Medizin gehen, inklusive Studium. Oder „Management“ – das könnte er sich auch vorstellen.
Insofern sind unter den Jugendlichen auch die Ansichten über die Zeit vor der genaueren Lebensplanung verschieden. „Beunruhigend ist, dass wir mit dem anstehenden Abschluss gerade so sehr verantwortlich für unsere Zukunft sind“, sagt Paluna Braun. Hannah Gölle hält die Zeugnisse zwar auch für wichtig. Doch für sie ist auch Gewissheit, dass man nur mit „guten Kontakten“ in einem Unternehmen Fuß fassen kann. Paluna Braun hält dagegen: „Wer einen Wunsch hat und ihn verfolgt, wird ihn sich verwirklichen können.“
Die Lebenspläne sind unterschiedlich – aber fast alle wollen zunächst in die Welt hinaus, weg aus Deutschland. Warum? „Mehr Verständnis für das Leben anderer Menschen“, will Paluna Braun so erhalten. Tammo Walter geht es um das „Unterwegssein“ – und die Freiheit zu überlegen, was im Leben wichtig sein wird. Vito Walter will „die Natur erfahren“, abseits der modernen Welt. Und Hannah Gölle stellt über Deutschland schlicht fest: „Hier ist es langweilig.“ Zudem drehten sich viel zu viele Dinge nur ums Geld. „Die Leute hier sind nie mit etwas zufrieden, nicht dankbar.“ Das sei ein Unterschied im Vergleich zu anderen Ländern, in denen die Menschen trotz Armut herzlicher seien.
Das sieht Gregor Schneider wiederum ganz anders. „Die Leute streben immer nach mehr – so ist der Mensch eben.“ Und er findet: Hier in Deutschland seien die Leute „sehr verwöhnt“.
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