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SAMSTAGScocktail: Zum Davonlaufen

Jedem, der mich fragt, was ich mit einem Millionengewinn, sagen wir im Lotto, machen würde, sage ich seit Jahren dasselbe: Einen Notausgang kaufen. Laut Baubehörde ist nämlich derjenige, der das Melodie-Kino wiederbeleben wollen würde, verpflichtet, für einen solchen zu sorgen.

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Jedem, der mich fragt, was ich mit einem Millionengewinn, sagen wir im Lotto, machen würde, sage ich seit Jahren dasselbe: Einen Notausgang kaufen. Laut Baubehörde ist nämlich derjenige, der das Melodie-Kino wiederbeleben wollen würde, verpflichtet, für einen solchen zu sorgen. Unbedingt und ausnahmslos. Überhaupt ist jede Wiederbelebung des Filmhauses immer nur an der Frage gescheitert, wie man es im Falle der Flucht verlassen kann. Was in der Tat schwierig, weil so gut wie unbezahlbar ist, da der Fluchtweg über den Hof des rückwärtigen Grundstücks zu laufen hat, sozusagen quer durch den Häuserblock. Von dort aus, wo zwei Wandlaternen eine seit Jahren verrammelte Tür flankieren und ein trostlos leeres Schaufenster in keiner Weise mehr erinnert an die Plakate von Trio Infernale (ja, tatsächlich mein erster Melodie-Film und ja: Romy Schneider!), Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins oder Twister (ach, die späten Neunziger!), und endend auf der gegenüberliegenden Seite, neben dem ebenfalls dichtgemachten Geschäft einer Metzgerei mit schweinchenrosaner Theke, an deren Schaufenster es noch immer heißt: Deftige Speisen/ Gepflegte Biere.

Um die Ecke, ungefähr gleich weit entfernt von totem Kino und toter Metzgerei, sozusagen auf halber Strecke des unabdingbaren Notausgangs, wird neuerdings Tea to go angeboten. Dazu wählt man eine Fruchtsorte aus, die in Form von kleinen mit Aromasirup gefüllten Kugeln in einen Plastikbecher gegeben wird. Auf diese, mit löslicher Folie ummantelten und Badezusatzkugeln nicht unähnlichen bubbles wird zur Verstärkung des Teegeschmacks ein dicklicher Saft gegossen. Hat der Kunde sich zwischen schwarz und grün entschieden, wird der Becher mit einer entsprechenden Flüssigkeit aufgefüllt, durch eine Plastikhaut luftdicht verschlossen und in eine Art Schüttelautomat gestellt. Während die Maschine die fruitbubbles zum Auflösen bringt, kann man sich die Zeit vertreiben, indem man sich auf einem großen Bildschirm, sagen wir, die Eröffnung der Fußball-Europameisterschaft ansieht. Am Ende kommt ein extradicker Strohhalm in das Gebräu hinein. Einfach durch die Plastikhaut stoßen? Ja, ja. Die Plastikhaut bleibt drauf, damit dem Kunden nichts über die Kleidung schwappt. Beim Davonlaufen, hinein in die nächstbeste Lottoannahmestelle.

Unsere Autorin lebt in Potsdam. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“.

Julia Schoch

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