Sanierung des Holländischen Viertels in Potsdam: Zum Duschen ins Schwimmbad
Das Holländische Viertel, heute ein Schmuckstück in Potsdam, wäre zu DDR-Zeiten fast abgerissen worden. Kneiper Ralf Hildebrandt erinnert sich, wie es sich damals hier wohnte.
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Potsdam - Das erste, was Ralf Hildebrandt machen musste, als er 1976 in die Mittelstraße 19 zog, war ein bürokratischer Akt. Er musste sich ins Hausbuch eintragen. Das Buch, ein graues, labberiges Heft, gehörte in der DDR in jedes Mietshaus, und der Abschnittsbevollmächtigte, eine Art Revierpolizist, kontrollierte regelmäßig, ob das Buch ordentlich geführt wurde.
Der Abschnittsbevollmächtigte vom Holländischen Viertel meckerte des öfteren darüber, dass die Hausgemeinschaft Mittelstraße 19 hier nachlässig war. Darüber kann sich Hildebrandt noch immer amüsieren. Es ist lange her, und die meisten Leute, die in dem Buch namentlich stehen, leben nicht mehr. „Ich glaube, ich bin der Letzte von damals“, sagt Hildebrandt. Und meint: Der letzte Bewohner des Holländischen Viertels, der bereits zu DDR-Zeiten einzog.
Holländisches Viertel gammelte vor sich hin
Heute hat er eine Kneipe, die „Hohle Birne“, und die ist ebenso authentisch wie ihr Inhaber. Das Quartier, das jetzt 25 Jahre Sanierung Holländisches Viertel feiert, ist für ihn ganz normale Heimat, Alltag. Und er, Hildebrandt, hat es seit fast vier Jahrzehnten begleitet. 21 Jahre war er alt, als er von Berlin nach Potsdam kam. Bei der Armee hatte er gehört, dass das Stadttheater einen Schlosser sucht. Das wollte er machen. Er konnte das Zimmer von einer anderen Mitarbeiterin übernehmen, die auszog. „Alle zogen hier aus, spätestens wenn sie Kinder hatten. Als die Neubauviertel in Potsdam fertig wurden, bekam man da Wasser aus der Wand, Strom aus der Steckdose“, sagt er.
Im Holländischen Viertel sah es anders aus. Es gammelte damals wie viele Altstadtquartiere vor sich hin, das Geld floss in der DDR für Wohnungsneubau, selten in die Sanierung. Hier wohnten auch viele alte Menschen, die sich nicht mehr um ihre Häuser kümmern konnten. Hildebrandt zog in der denkbar unwirtlichsten Jahreszeit ein: im Winter.
Von innen vereiste Wände
„Im Sommer war es hier herrlich, vor allem in den Gärten. Im Winter war es eisekalt. Die Fenster waren einfach verglast, die Öfen taugten nichts.“ Er hatte von innen vereiste Wände, holte sich Wasser aus dem Flur, die Klos waren unten im Haus. „Da begann mein Lotterleben“, sagt er und grinst. Wenn eine Frau eine warme Bude hatte, ging er eben mit.
Ansonsten ging man als Viertel-Anwohner oft ins Schwimmbad, dort konnte man duschen. „Wir lebten sehr gesund.“ Dann lernte er seine Frau kennen, eine Krankenschwester. Und ging zum Duschen auch mal ins städtische Krankenhaus um die Ecke. Heute klingt das lustig, damals nervte es freilich. Aber irgendwie war es doch schön, Hildebrandt wollte im Holländischen Viertel bleiben.
Man half sich, mit Material, mit Autos. Und brach irgendwo etwas zusammen, wurde der Schutt anderswo wieder eingebaut. Als die holländischen Häuser neben der Französischen Kirche abgerissen wurden, bekamen die Anwohner die Genehmigung, sich die Ziegel zu holen. Wer kein Auto hatte, nahm die Schubkarre.
30 Mark Miete
„Alles original hier“, sagt Hildebrandt und zeigt auf die Wände der Kneipe. Verrottete Balken schleppte er heran, sägte von Hand mühsam das schlechte Ende ab und verbaute den Rest im Haus. Er hatte Zeit: Damals ist er neben seinem Theaterjob mit einer Karatetruppe unterwegs, hat an Wochenenden Auftritte, in der Woche arbeitet er am Haus.
Irgendwann konnte er ins Untergeschoss ziehen, mit Frau und Kind, und für das Kind setzte die Wohnraumverwaltung ihm endlich einen vernünftigen Ofen in die Wohnung. 30 Mark Miete zahlte er. Im Sommer spielte sich das Leben draußen ab, Hildebrandt zeigt Fotos, da sitzt der Kleine im Planschbecken – inmitten einer Ruinenromantik.
Nachbarn, die ähnlich verrückt tickten
Für 4200 Mark konnte er noch wenige Monate vor der Wende das Haus kaufen. „Ich musste aber unterschreiben, dass ich die Sanierung allein schaffen würde.“ Eigentlich ein irres Unterfangen. „Ich habe den Stress unterschätzt“, sagt er heute. „Es gab keinen Baumarkt, keine Maschinen, kaum Transportmittel“, sagt er. Aber es gab Nachbarn, die ähnlich verrückt tickten, die gegen den Verfall des Holländischen Viertels ankämpften – manchmal wie Don Quichotte gegen Windmühlenflügel.
Nach der Wende wurde es zwar einfacher, sich Material zu beschaffen. Aber dann meldeten sich Alteigentümer. Vielen Anwohnern ging das so. In einem Musterprozess wurde der Verkauf des Hauses an ihn als rechtens gewertet, die Stadt musste die Alteigentümer zum Teil entschädigen.
Bis heute hat Ralf Hildebrandt zwei Millionen Mark in das Haus gesteckt. Eine gemütliche Kneipe ist daraus geworden, die Raumaufteilung entspricht dem historischen Grundriss. Im Obergeschoss ist seine Wohnung. „Jeden Nagel hab ich hier selbst reingekloppt“, sagt er nicht ohne Stolz. Ob er zwischendurch mal daran dachte, auch in eine Neubauwohnung zu ziehen? „Niemals“, sagt er. „Ich sterbe hier.“
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