zum Hauptinhalt

Genuss in Potsdam: Zum Hirsch eine kleine Rede

Katrine Lihn nennt sich Gastrosophin und pflegt einen Genuss-Salon. In ihren privaten Räumen bekocht sie Gäste, die zu gutem Essen gute Gespräche schätzen.

Stand:

Potsdam - Altbau, zweites Obergeschoss, Deckenhöhe drei Meter irgendwas – das ist Katrine Lihns Arbeitsplatz. In ihrer Wohnung bekocht sie regelmäßig Gäste ihres Genuss-Salons, drei Gänge für bis zu zwölf Personen. Alles, was sie dafür braucht, schleppt sie persönlich hoch. „Nicht so schlimm“, sagt die 54-Jährige. Zumindest kein Grund zum Umziehen. Sie ist ja gerade erst angekommen in Potsdam. Und hat ehrgeizige Pläne: Den Potsdamern und Berlinern neues Bewusstsein für gute Lebensmittel und was man aus ihnen machen kann, einzuhauchen. Weil das vielen Menschen abhandengekommen sei. „Wir frühstücken in der Bahn. Wir kaufen Obst, das im Flieger zu uns kommt, und das Brustfleisch überzüchteter Hähnchen, deren Rest als Müll nach Afrika geht“, sagt sie empört. Eigentlich will sie das gar nicht immer wieder sagen, aber dann rutscht es ihr doch raus. Weil es sie so ärgert. Katrine Lihn jedenfalls ist überzeugt, dass es anders gehen könnte.

Essenstechnisch war die Welt früher noch in Ordnung

Zum Salonabend trägt sie bequeme Schuhe. Damit kann sie gut hin und her flitzen zwischen Küche und Esszimmer. Dort sammeln sich die Gäste, die in der Regel einander nicht kennen. Es gibt Apfelprosecco und einen „Gruß aus der Küche“: Schnittchen und Gemüseschweinchen, ausgestochen aus roter Bete. Als ersten Gang bringt sie Sellerie-Essenz in einem kleinen Becher. „Wir trinken jetzt ein Süppchen“, proklamiert Lihn andächtig.

„Ich bin Gastrosophin“, sagt sie über sich. Den Begriff hat sie nicht erfunden, es gibt sogar einen Studiengang über die Schnittstelle zwischen Produkt- und Lebensmittelkunde, Zubereitung und Esskultur. Essen und Kultur – eine große Baustelle in der heutigen Zeit. Bei Lihn zu Hause war die Welt früher in Ordnung. „Bei uns gab es drei Mahlzeiten am Tag, mittags wurde für die Familie und die Angestellten der Firma richtig gekocht. Wer macht das heute noch“, klagt sie. Wie einfach ein Selleriesüppchen herzustellen ist, und dass die Knolle auf dem Markt billiger ist als im Supermarkt, dafür aber aromatischer, das ahnen die wenigsten.

Am liebsten in Gesellschaft kochen und essen

Katrine Lihn stammt aus Niedersachsen. Mit Forellen aus Osterode im Westharz wurde sie 2011 beim Wettbewerb Deutschlands drittbeste Hobbyköchin, die Urkunde hängt über dem Herd. Zunächst lernte sie im elterlichen Transportunternehmen Kauffrau, aber das Kochen machte ihr mehr Spaß. Über viele berufliche Stationen gelangte sie vor zwei Jahren nach Potsdam. Hier will sie sich in der gastrosophischen Szene einrichten, verkaufte auf dem Markt am Nauener Tor anfangs Produkte aus der eigenen Küche, Salze, Öle, Suppenbasen, fertigte auf Bestellung Werbegeschenke, Balsamikofläschchen mit Firmenlogo, Kekse zum Fundraising. Sie wurde in Schulen eingeladen und zeigte den Kindern, wie man aus Limette, Minze und Wasser Limo macht.

Doch Katrine Lihn ist nicht gerne Einzelkämpferin. In Gesellschaft kochen und essen ist ihr am liebsten – entweder zu Hause oder bei anderen Genussmenschen, die sie als Miet-Gastrosophin buchen. Sie hat schon für Betriebsfeiern gekocht und für Geburtstagsrunden Brandenburger Polit-Promis. Namen kann sie natürlich nicht verraten. Eine Salondame muss verschwiegen sein, sagt sie.

Keine Gespräche über Fußball oder Politik

Lihn schwärmt von der Salonkultur früherer Zeiten. Als man bei Tisch nicht nur satt wurde, sondern auch gehaltvolle Gespräche führte, als die Gäste mit einer Stoffserviette noch etwas anzufangen wussten. Und bitte erst schlucken, dann sprechen – aber nicht über Fußball und nicht über Politik, bittet Lihn. Den Gästen fällt das meist nicht so schwer, es sind in der Regel Frauen ab 40, die bei ihr einen Abend buchen. Die oft sogar wiederkommen, Freundschaften knüpfen.

Zum Hauptgang gibt es Hirschbraten, Karotten, Brokkoli und Lauch bissfest gegart. Und, Überraschung, ohne Butter, nur im eigenen aromatischen Saft. Die Stampfkartoffeln („mein Trostessen aus Kinderzeiten“) hat sie aus „Blauen Schweden“ gekocht. Das alles wird unkompliziert in großen Schüsseln zur Selbstbedienung herumgereicht. Ihr Motto: „Essen ohne Chichi“. Schmecken muss es. Sie weiß, wo es gute Dinge gibt. Brot aus Brodowin, Fleisch aus Schmerwitz, Gemüse vom Markt. Leider vermarkten sich die Bauern so schlecht, findet sie. Als sei ihnen nicht bewusst, welche Schätze sie da haben. Das findet sie schade.

Beim Hirsch erzählt sie, wie sie ihren Vater bei der Jagd begleitete. Sie sei eine ganz passable Schützin, nur leider ohne Jagdschein. Und so ist der Hirsch, der nun in einer Soße mit Pilzen antritt, gebürtiger Bayer. Schmeckt natürlich trotzdem.

Fruchtet das Konzept in Potsdam?

Bei dem Abend an der Tafel geht es aber nicht nur ums Essen. An erster Stelle steht die Begegnung, das Gespräch, bei dem Katrine Lihn das Thema vorgibt. Nachdem die Gastgeberin zunächst die Speisen des Abends, Herkunft und Zubereitung erläutert, kommt stets etwas Philosophisches. Am ersten November beispielsweise heißt es: „Wie aus Schmerzen Perlen werden“. Nikolaus und Silvester darf es gern saisonal-feierlich werden. Das gemeinsame Speisen ist stets der Kitt, der alles zusammen hält. Etwa 60 Euro kostet ein Salonabend inklusive aller Speisen und Getränke. In einem guten Restaurant wird das nicht unbedingt billiger.

Ob das Konzept in Potsdam fruchtet, wird sich zeigen. Einige Hundert hat sie bereits bekocht, aus Potsdam, aus Berlin, Alteingesessene, neu Hinzugezogene. Nur das Finanzamt konnte damit wenig anfangen und schickte bereits Steuerprüfer vorbei. „Die konnten sich einfach nicht vorstellen, was ich hier mache“, amüsiert sich Katrine Lihn.

Mehr Infos >>

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })