ZUR PERSON: „Zum Klimaforscher berufen“
Ottmar Edenhofer wurde vom Jesuiten zum weltweit gefragten Klimaforscher. Ein Weg, der eng mit dem Glauben verbunden ist
Stand:
Herr Prof. Edenhofer, Sie haben sieben Jahre im Jesuitenorden gelebt. Wie wird man vom Jesuiten zu einem weltweit gefragten Klimaforscher?
Ich habe das nicht geplant, es hat sich so ergeben. Mich haben immer globale Fragen und Herausforderungen, aber auch Moralphilosophie interessiert. Ich wollte verstehen, wie die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft vernünftig und gerecht sein kann. Beim Austritt aus dem Jesuitenorden 1994 war mir klar, dass es nun um die großen globalen Herausforderungen geht. Ich habe mir die Frage gestellt, was ich dazu beitragen kann. Dann war mein Weg über die sehr verspätete Promotion und Professur recht gradlinig vorgezeichnet. Für mich sind Globalisierung und Klimawandel verschränkte Themen. Über diesen Weg habe ich meine großen wissenschaftlichen Fragen gefunden.
Sind Sie aus dem Orden ausgetreten, um mehr ändern zu können?
Das war die Hauptmotivation. Wir Menschen sind in die Welt gestellt und haben darin eine Berufung. Man kann sogar zum Klimaforscher berufen sein. Dazu muss man nicht in einem Orden leben.
Sehen Sie ihre Tätigkeit als göttlichen Auftrag?
Es gibt dieses Bonmot: Spreche ich zu Gott, nennt man es Gebet, spricht Gott zu mir, nennt man es Psychose. Handeln im göttlichen Auftrag bedeutet für viele Menschen, dass die Regeln rationaler Argumentation nicht mehr gelten. Ich bin der Überzeugung, dass Gott für jeden Menschen eine Berufung, eine Bestimmung hat, und das es zu unseren Aufgaben gehört, diese zu entfalten. Das hat aber nichts mit Irrationalität oder gar Krankheit zu tun.
Ihr Gebiet ist nicht die naturwissenschaftliche Seite des Klimawandels, sondern die ökonomische.
Die Frage ist, ob wir Menschen die Möglichkeit haben, die Globalisierung zu gestalten. Gerade nach dem Desaster von Kopenhagen fragen viele, wie wir globale Probleme ohne globale Institutionen lösen können. Viele Menschen erleben die Globalisierung als einen naturwüchsigen Prozess, der nur erlitten, aber nicht mehr gestaltet werden kann: Es hat sich in das historische Gedächtnis der Menschheit eingebrannt, dass die Überwindung von Armut und das Erreichen von Wohlstand nur möglich war, weil wir Kohle, Öl und Gas nutzen konnten. Die vorindustriellen Wirtschaften beruhten auf der Sonnenenergie. Aber diese Gesellschaften waren von Hunger und Armut geplagt. Daher befürchten manche, dass eine Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen den Kapitalismus und damit den Wohlstand beendet. Dem ist aber nicht so: Wir haben heute die technischen Möglichkeiten, die Weltwirtschaft zu dekarbonisieren.
Auf welchem Wege?
Damit das gelingen kann, brauchen wir globale Institutionen, wie etwa einen globalen Emissionshandel, an dem zumindest die USA, Europa, China, Indien, Brasilien, Japan und Russland teilnehmen müssen. Das ist zwar politisch eine gewaltige Herausforderung, aber es gibt dazu keine Alternative. Ein ungebremster Klimawandel würde vor allem die Entwicklungsländer hart treffen. Entweder wir können zeigen, dass freie Marktwirtschaften das Klimaproblem lösen können oder dieses Wirtschaftssystem verliert seine moralische Legitimation. Auch in Kopenhagen hat keiner der Staatsfrauen und -männer das Problem bestritten oder gar klein geredet. Aber als es darum ging, die dazu notwendigen Mittel zu ergreifen, kam keine Einigung zustande.
Ihre Gegner behaupten, der Klimawandel sei zu einer Art neuen Religion geworden.
Ja, es wird gesagt, durch den Verlust des Glaubens, hätten sich die Menschen in eine säkularisierte Form der Apokalypse verliebt – eben die sogenannte Klimakatastrophe. So behaupten manche Theologen, die ihr eigenes Fach nicht beherrschen, der Mensch könne die Welt nicht retten, das stehe nur Gott zu, er bestimme den Anfang und das Ende. Der Kampf gegen den Klimawandel wird als typische Hybris des aufgeklärten Menschen denunziert, der Gott ins Handwerk pfuscht. Diese These gibt es auch in säkularisiertem Gewand: Der Klimawandel sei Teil der Evolution, der Mensch soll da nicht eingreifen, denn durch die Anpassung an den Klimawandel könnten neue Formen menschlicher Intelligenz entstehen.
Aber?
Tatsache ist: Der Mensch hat durch Wissenschaft und Technik einen großen Zuwachs an Macht erfahren. In früheren Zeiten war das Klima Fügung und Schicksal. Heute müssen wir lernen, dass wir dafür Verantwortung tragen. Hybris wäre es nur, wenn wir uns vor der moralischen Verantwortung drücken würden. Für die Menschheit stellt sich die Frage, ob sie es fertig bringt, nicht mehr länger über ihre Verhältnisse zu leben. Das ist eine zutiefst moralphilosophische Frage. Es wäre eine Tragödie, theologisch gesprochen sogar Sünde, wenn die Menschheit sich dieser Aufgabe verweigern würde.
Vielleicht will Gott aber gar nicht, dass wir eingreifen.
Was für ein merkwürdiges Gottesbild: Ein eifersüchtiger, kleinlicher Gott, der dem Menschen jede neue Erkenntnis und jedes gelüftete Geheimnis neidet, das er der Natur entreißt. Einer, der um jede Lücke froh ist, die ihm die Wissenschaft noch lässt und der jedes Glück des Menschen mit Unglück bestraft, einer, der dem Menschen alle Verantwortung abnimmt und ihn wie einen Sklaven halten will. Das ist nicht der Gott, an den ich glaube, das ist nicht der Gott der Juden und Christen. Denn dieser Gott ist groß und bietet dem Menschen seine Freundschaft an. Je besser wir verstehen, wie dieses Erdsystem funktioniert, umso feinfühliger werden wir auch gegenüber den Gefahren seiner Zerstörung. Daraus erwächst das Bedürfnis und die Verpflichtung, die Erde als einen freundlichen Ort für uns und unsere Kinder zu bewahren.
Was erwartet Ihr Gott?
Ein Gott, der nur mein Gott wäre, wäre kein Gott, sondern ein Götze. Die neuzeitliche Wissenschaft hat die Welt entzaubert. Gott sei Dank. Sie hat uns von der Magie befreit. Gott sei Dank. Die Wissenschaft hat den Gott vertrieben, der als Lücke für unser Nichtwissen herhalten muss. Gott sei Dank. Wer will denn an einen solchen Gott schon glauben? Die neuzeitliche Wissenschaft hat uns die Möglichkeit zugespielt, die Erde zu ruinieren. Aber wir haben nicht das Recht, die Erde zu zerstören. Die Wissenschaft erlaubt uns, zu verstehen, dass die Verbrennung fossiler Energieträger unerwünschte Nebenwirkungen hat. Also müssen wir das Problem lösen. Das ist keine Hybris, sondern ein unbedingter moralischer Anspruch.
Wie sehen Sie den Aufbau der Welt, eher Darwin und Urknall oder mehr Schöpfungsbericht?
Das ist doch gar nicht die Alternative. Die darwinistische Evolutionstheorie ist wahrscheinlich die erfolgreichste Theorie der neuzeitlichen Wissenschaft. Ihre Hypothesen haben sich auch jenseits der Biologie, etwa in der Kosmologie und sogar in der Ökonomie als fruchtbar erwiesen und sind bislang nicht falsifiziert worden. Der Schöpfungsbericht ist keine Sammlung naturwissenschaftlicher Hypothesen, sondern eine Erzählung über den Sinn der Schöpfung. Ob menschliche Geschichte einen Sinn hat, ob mein Leben einen Sinn hat, darüber kann mich die Naturwissenschaft nicht unterrichten. Dennoch ist die Frage nach dem Sinn eine vernünftige Frage. Der christliche Glaube gibt darauf eine Antwort, der man zustimmen kann oder die man ablehnen kann. Aber die Gründe hierfür können keine Gründe der empirischen Wissenschaft sein. Daher ist der christliche Glaube keine konkurrierende Theorie zur darwinistischen Evolutionstheorie. Leider predigen die Kirchen allzu oft einen Lückenbüßer-Gott, den sie immer dann auftreten lassen, wenn wir mit unserer Erkenntnis vorläufig am Ende sind. Wenn die Wissenschaft dann in der Erkenntnis fortschreitet, haben die Leute das Gefühl, Gott hätte wieder eine Schachpartie gegen die Wissenschaft verloren. Die Wissenschaft benötigt Gott nicht als Hypothese. In der Vorstellung des christlichen Glaubens wird die Schöpfung von Gott umfangen und von ihm bejaht. Und das gleichzeitig in einem.
Können Sie das erläutern?
Wenn ich ins Kino gehe und mir einen Film anschaue, kann ich mich am Ende fragen, wer der Regisseur dieses Films ist und was er mit diesem Film sagen wollte. Es wäre sogar ausgesprochen töricht anzunehmen, dass der Film keinen Regisseur hat und es wäre auch ziemlich seltsam davon auszugehen, dass der Regisseur mit diesem Film nichts sagen wollte. Das gilt auch dann, wenn der Regisseur im Film gar nicht auftaucht. Die Kirchen sind oft der Versuchung erlegen, dass sie die Existenz eines Regisseurs damit beweisen wollten, indem sie einen der Schauspieler irrtümlich als Regisseur identifiziert haben. Bei den Filmen von Alfred Hitchcock klappt das sogar, weil hier der Regisseur in einer kurzen Szene zu sehen ist. Darum ist Alfred Hitchcock auch ein besonders katholischer Regisseur. Dennoch war das Beweisverfahren der Kirchen hirnrissig. Ich kann Wissenschaft betreiben, ohne Gott als Hypothese für unser Nicht-Wissen einzuführen.
Dafür brauchen Sie Gott also nicht?
So wie ich mir einen Film anschauen kann, ohne an den Regisseur zu denken. Nachdem ich den Film angeschaut habe, kann ich mich fragen, welche geistige Gestalt der Regisseur hat. Ein großer Film kann mich sogar dazu bewegen, eine neue Einstellung zur Welt zu finden. So ist es auch im Verhältnis von Wissenschaft und Glaube. Ein Christ, der Naturwissenschaft oder Wirtschaftswissenschaft betreibt, braucht Gott daher nicht als Hypothese für seine Wissenschaft, er betreibt keine andere Wissenschaft als sein atheistischer oder agnostischer Kollege. Aber offensichtlich hat sein atheistischer Kollege die Frage nach dem Sinn anders beantwortet als der Christ. Darüber kann ich mit ihm reden, so wie ich mit ihm am Ende eines Kinobesuchs über den Sinn des Films reden kann. Aber wenn wir uns darüber Klarheit verschaffen, reden wir nicht mehr nur als Wissenschaftler. Wir reden dann über unsere Lebensfragen, auf die wir unterschiedliche Antworten geben. Weil ich die Diskussion so führen möchte, kann ich als Wissenschaftler auf schlechte „Gottesbeweise“ verzichten, wie etwa die Hypothese des „Intelligent Design“
die besagt, dass nicht natürliche Selektion sondern Gott allein alles erschaffen hat
diese Auffassung behauptet, dass Mutation und Selektion nicht ausreichen, um das Entstehen komplexer Organismen zu erklären. Nehmen wir einmal an, die Biologie käme irgendwann zu dem Ergebnis, Mutation und Selektion seien nicht hinreichend, um das Entstehen komplexer Organismen zu erklären. Würde uns das berechtigen, auf die Existenz Gottes zu schließen? Nein, wir hätten einen weiteren Mechanismus entdeckt, der die Emergenz komplexer Organismen erklären würde. Ob man jedoch für die Emergenz komplexer Organismen diesen Mechanismus benötigt, ist eine rein naturwissenschaftliche Frage.
Welche Aufschlüsse über Gott haben sich für Sie aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben?
Ich staune darüber, dass die Erde ein so lebensfreundlicher Planet ist. Mich bewegt die Herausforderung, nach einer menschlichen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft zu suchen. Aber die religiöse Erfahrung ist für mich keine Erfahrung jenseits der Alltagserfahrung. Ich habe keine Visionen gehabt oder Bilder und Gesichte gesehen – jedenfalls nicht im nüchternen Zustand. Durch den Glauben gewinnt die Alltagserfahrung eine Tiefe, die ich ohne den Glauben nicht erfahren würde. Ich gelange dadurch zu einer anderen Einstellung der Welt gegenüber.
Die wie aussieht?
Die Erfahrung der Ehrfurcht, die Bewältigung von Niederlagen, das Vergeben von Schuld, Achtung für den Gegner, die Liebe zu meiner Frau, die Dankbarkeit für meine Kinder, der Respekt vor meinen Kollegen, die Freude an meiner Arbeit, die Furcht vor dem Tod verlangen nach einer vernünftigen Deutung meines Lebens. Der religiöse Glaube ist in dem Sinn vernünftig, dass er eine alle Bereiche der Wirklichkeit integrierende Sinndeutung vermittelt. Durch den Verzicht auf diese Deutung würde das Leben zersplittern und führte letztlich zu einem Scheitern des Lebens. Diese Deutung und dieser Sinn kann aber nicht aus der Wissenschaft gewonnen werden. Dennoch darf diese Deutung nicht unvernünftig, willkürlich oder gar unverständlich sein. Wittgenstein hat einmal gesagt: „Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.“
Wozu gehen Sie in die Kirche?
Nicht vor allem wegen der Predigten. Im Gottesdienst geht es um Anbetung, die keinen Zweck verfolgt, sondern die Gott groß sein lässt. Im Gottesdienst ist alles meinem Zugriff entzogen – die vorgelesenen Texte, die gesprochenen Gebete kommen auf mich zu, sie sind nicht von mir ersonnen; schon zweitausend Jahre vor mir haben Menschen diese Gebete gesprochen und auch kommende Generationen werden diese Gebete noch sprechen, werden ihre Hoffnung und Freude, ihre Angst und Verzweiflung vor Gott tragen.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
In der PNN-Serie „Glaubens-Frage“ reflektieren Potsdamer Forscher Erkenntnisse ihrer Arbeit vor dem Hintergrund von Religion, Glaube, Transzendenz und Spiritualität.
Ottmar Edenhofer (48) ist stellvertretender Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Er ist Lehrstuhlinhaber für die Ökonomie des Klimawandels an der Technischen Universität Berlin. Zudem ist er einer der Vorsitzenden der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates IPCC, dem 2007 der Friedensnobelpreis verliehen wurde. An der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 nahm er für den Weltklimarat als Berater für die Minister teil. Ottmar Edenhofer beschäftigt sich mit dem Einfluss von technischem Wandel auf die Kosten und Strategien des Klimaschutzes. Er beriet bis 2009 Bundesaußenminister Frank- Walter Steinmeier in Fragen der globalen Klimapolitik. Ottmar Edenhofer stammt aus Bayern, hat Wirtschaftswissenschaften und Philosophie in München studiert und an der TU Darmstadt promoviert. Von 1987 bis 1994 war er Mitglied des Jesuitenordens. Kix
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