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Von Jana Haase: Zurück in die Slums
Der Potsdamer Arzt Dietrich Rutz half bei einem Projekt in Kenia – bereits zum vierten Mal
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Kurz vor acht Uhr in Mathare Valley. Wer hier wohnt, den gibt es offiziell gar nicht, der hat keine Adresse. Das verästelte Wegesystem in dem Megaslum im Nordosten der kenianischen Hauptstadt Nairobi kennt keine Straßennamen, keine Straßenbeleuchtung und eigentlich auch keine Straßen. Es sind Staubwege, auf denen die Bewohner der ärmlichen Wellblechhütten am Morgen in die mehrere Kilometer entfernte Stadt zur Arbeit laufen, wenn sie denn eine haben. Auch für den Potsdamer Arzt Doktor Dietrich Rutz war es für sechs Wochen der morgendliche Weg zur Arbeit. Nur in umgekehrter Richtung. Der pensionierte Gynäkologe engagierte sich in Nairobi ehrenamtlich in einem Gesundheitszentrum des Vereins „Ärzte für die Dritte Welt“.
„Baraka“ heißt das Projekt, in dem die Ärmsten der Armen dort seit beinahe 20 Jahren eine medizinische Grundversorgung bekommen. Es soll ein Segen für die Bevölkerung sein: das jedenfalls bedeutet der Name des Hauses, wenn man ihn aus dem Kiswahili übersetzt. Aber auch die deutsche Assoziation – eine Baracke – ist nicht verkehrt: das Gesundheitszentrum ist in einfachsten Räumen in einem Steinhaus mitten im Slum untergebracht.
Wenn Dietrich Rutz am Morgen von seinem Bungalow am Rande des Slums zur „Baraka“ gekommen ist, haben dort schon um die 200 Menschen gewartet: „Es war proppevoll“, berichtet der Mediziner, der gerade von seinem vierten Einsatz in Kenia zurückgekommen ist. Um acht Uhr begann die Sprechstunde.
Rund 350 Patienten besuchen „Baraka“ pro Tag, es sind Slumbewohner ohne Adresse und ohne Geld. Sie leiden an Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Aids oder Malaria, haben Mangelerscheinungen, schwere Verbrennungen vom Hantieren mit Kerosinkochern, chronische Krankheiten wie Asthma und Diabetes oder Hautkrankheiten. Aber selbst die Behandlungsgebühr im kommunalen Krankenhaus, umgerechnet vier Euro, können sie sich nicht leisten.
Von den deutschen Ärzten im Gesundheitszentrum – eine Gruppe von jeweils fünf bis sechs Freiwilligen aus verschiedenen Fachrichtungen – werden die Patienten kostenlos behandelt und bekommen die nötigsten Medikamente. Es ist eine Herausforderung für die Ärzte, die deutsche Standards gewohnt sind: „Man muss sich auf seine medizinischen Grundkenntnisse besinnen, um mit den bescheidenen Möglichkeiten dort helfen zu können“, sagt Dietrich Rutz. Unterstützt werden die Mediziner dabei von einem Team von etwa 70 einheimischen Mitarbeitern, darunter Krankenschwestern, die gleichzeitig dolmetschen; Labormitarbeiter, Apotheker, aber auch Fahrer.
„Baraka“ ist eins von weltweit neun Projekten des Vereins „Ärzte für die Dritte Welt“ mit Sitz in Frankfurt am Main. Finanziert wird es durch Spendengelder aus Deutschland. Nach Vereinsangaben gehen jährlich mehr als 330 deutsche Ärzte dafür unentgeltlich ins Ausland – so wie Dietrich Rutz.
Den Wunsch nach einem solchen Engagement habe er schon lange gehegt, sagt der 69-Jährige, der als Chefarzt der Gynäkologie im niederrheinischen Geldern bei Krefeld arbeitete: „Solange ich klinisch tätig war, hatte ich einfach keine Zeit dafür.“ Erst nach der Pensionierung konnte er sein Vorhaben wahr machen.
Dass sein Einsatz in Kenia mehr als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein ist, davon ist der Potsdamer nach seinem vierten Einsatz überzeugt. „Es gibt eine langsame Veränderung des Gesundheitsbewusstseins“, erklärt er. Etwa beim Thema Aids: Noch vor vier Jahren hätten die meisten Patienten bei der Diagnose „dicht gemacht“, erinnert er sich: „Die haben das einfach nicht akzeptiert und sind gegangen.“ Mittlerweile seien die Slumbewohner offener für eine Behandlung. „Sie haben durch Mund-zu- Mund-Propaganda oder bei unseren Vorträgen erfahren, dass sie gegen die Krankheit nicht völlig machtlos sind“, meint Rutz.
Für Erkundungen in Nairobi blieb dem Potsdamer nach dem Acht-Stunden-Tag im Sprechzimmer kaum Zeit: Mit Einbruch der Dunkelheit gegen halb sieben dürfe man sich als Weißer nicht mehr auf die Straßen trauen, erklärt er. Und trotzdem will er wieder nach Nairobi zurück: „Wenn ich gesund bleibe, werde ich nächstes Jahr nochmal gehen.“
Spendenkonto: Ärzte für die Dritte Welt e.V., Evangelische Kreditgenossenschaft Frankfurt, BLZ: 520 604 10, Kontonummer: 4 88 88 80. Infos: www.aerzte3welt.de.
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