Landeshauptstadt: Zurück zu den Anfängen
Während man auf den Designtagen über die digitale Zukunft sprach, zeigt die Ausstellung eher Klassisches
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Im Foyer des T-Werks grüßt laubgesägte Weihnachtsdeko den Besucher, die dunklen gedeckten Farben erinnern an ein ländliches Gasthaus. Kein Notebook, kein Tablet weit und breit. Ausgerechnet hier nun treffen sich die Designexperten der Hauptstadtregion, um über die Herausforderung der digitalen Gesellschaft, das Internet der Dinge und die Industrie 4.0 zu sprechen. Den einzigen Fußabdruck hat die Moderne in der frisch renovierten Toilette hinterlassen.
Doch es zeigt sich, dass auch in der schönen neuen Welt der Digitalität der Mensch sich nicht so rasant verändert wie die Produkte selbst. Andreas Thom vom Studiengang Interfacedesign der Fachhochschule Potsdam findet das Ambiente der Konferenz „süß“. Sein schlichtes, eher funktionales Äußeres passt ebenso wenig in das Klischee des gestylten Designers wie der Look der zahlreichen Besucher, die am Freitagnachmittag zur Designkonferenz der Designtage Brandenburg gekommen sind.
Kapuzenpullis, Fellmützen, Drei-Tage-Bärte, Cowboystiefel – der trendbewusste Designerstyle der 90er-Jahre wurden abgelöst durch den nonchalanten Charme der Buntheit: anything goes, Kleiderordnung war gestern. Bei Design geht es natürlich erst einmal um Äußerlichkeiten, um Formgebung und Funktionalität. In der Ausstellung sind dann viele eher rückwärtsgewandte Ästhetiken zu entdecken, 3D-Holzpostkarten, Kleider, Brotboxen und Mobiles – zurück zu den Anfängen möchte man meinen, ganz im Trend des Landlust-Booms. Wer heute kein Hirschgeweih an der Wand hat, ist schon wieder out.
Die Designtage werden vom Ministerium für Wirtschaft und Energie veranstaltet. Wirtschaft und Wissenschaft binden sich im Land enger zusammen, über 45 000 Unternehmen mit rund 229 000 Beschäftigten suchen im IKT-Cluster nach Synergien. Medien- und Kreativwirtschaft heißt die neue Schlüsselbranche der Region. Hier an der Schiffbauergasse, wo am Havelufer 1870 Engländer Dampfschiffe bauten, wird nun in den ehemaligen preußischen Pferdeställen an die Dampfmaschinen der Zukunft gedacht. Heute werden die Pferdestärken in Terabytes gemessen. Und der Kristallisationspunkt für Designer der Zukunft ist im Spannungsfeld von Formgebung und Gebrauchsfähigkeit die Nutzerfreundlichkeit der neuen Anwendungen.
Das einfachste Beispiel dafür ist das Smartphone, wenn es schön ist und funktioniert, macht es Freude, schafft positive Erfahrungen – und will wieder gekauft werden. Was natürlich auch für ein Auto oder einen Kühlschrank gelten kann. Neu ist nur, dass das Internet der Dinge diese eigentlich eher toten Maschinen immer stärker in unsere Lebens- und Erfahrungswelt hereinholt. Über das Internet korrespondieren und kommunizieren die Menschen mit den Dingen, etwa wenn man die Espressomaschine in der Küche von der Couch aus via Handy einschaltet. Oder wenn man die Pflege der Pflanzen auf der Fensterbank vom weit entfernten Urlaubsort aus regelt.
Andreas Thom spricht von der Verschmelzung von Design und seiner Umsetzung, von den immer kürzer werdenden Entwicklungszyklen der Anwendungen und Geräte, auf die das Design zu reagieren habe. Und schließlich von der Demokratisierung des Design-Prozesses, bei der der Anwender immer stärker in die Entwicklung der Dinge mit einbezogen wird. UX heißt das heute, „User Experience“: Die Erfahrung der Menschen zählt immer mehr.
Für Designer sind Produkte immer auch eine Frage der Ästhetik. Wenn Dinge als ästhetisch empfunden werden, sei es ein Bildband oder eine Internetseite, dann ist das Vertrauen größer, weiß Andreas Thom. Doch Ästhetik beschreibt nicht nur Äußerlichkeiten. Als ästhetisch könne auch empfunden werden, wenn eine E-Mail, die man auf dem Smartphone schreibt, gleichzeitig auch auf dem Laptop weitergeschrieben werden kann. „Es geht um die größte Befriedigung im Nutzungserlebnis“ so der Interfacedesigner.
Als schlechtes Beispiel dafür werden gerne Fahrkartenautomaten genannt, deren Navigation so kompliziert ist, dass Mitarbeiter den Kunden dabei helfen müssen. Als gutes Beispiel werden Geräte genannt, die ihre Funktionen ganz smart von selbst erklären. Kleine, feine Dinge und Anwendungen, die dem Nutzer Freude machen: Jawbone, Googleglass oder Smartwatch heißen die interaktiven Fitnessarmbänder, Brillen und Uhren. Die Haustiere von morgen gibt es bereits, kleine bunte Roboter-Fraggles, die man in der Urlaubszeit einfach abschalten kann. Die Zukunft schließlich gehört intelligenten Geräten ohne Display. Wie die aussehen können und wie eine Interaktion mit ihnen ohne Display gelingt, darüber denken die Designer heute schon nach.
Bleiben die Schattenseiten der digitalen Welt: der immer durchsichtiger werdende Mensch, die Privatsphäre, die unbemerkt auf der Strecke bleibt. Was es heißt, wenn Versicherungen, Arbeitgeber oder auch Geheimdienste über den Gesundheitszustand, Stimmung und Aufenthaltsort der Menschen permanent unterrichtet sind, lässt sich heute noch gar nicht abschätzen.
Eigentlich kein Thema für die Designer. Doch an der Potsdamer FH wird auch darüber diskutiert. „Wir fragen uns, wie die Privatsphäre durch die digitale Durchdringung in Zukunft aussehen wird“, sagt Andreas Thom. Es gehe um die Frage, was mit der Gesellschaft passiert. Man müsse auch hinterfragen, ob man etwas machen muss, nur weil es möglich ist. „Oder ob man eben auch eine soziale Innovation anstatt einer technischen Neuerung schaffen kann.“
Anderseits hat Andreas Thom auch ein gutes Beispiel dafür, dass neue Anwendungen auch Gutes vollbringen und im Zweifelsfall sogar Leben retten können. Er zeigt das Bild von einem schlafenden Baby, das an einem Fuß eine smartes App-Söckchen trägt. Ein Sensor überwacht permanent den Sauerstoffgehalt im Blut des Säuglings. So lasse sich einer der großen Schrecken aller Eltern, der plötzliche Kindstod, relativ einfach vermeiden.
Markt und Messe noch bis 30. November in der Arena und der Schinkelhalle, Schiffbauergasse 4a (www.designtage-brandenburg.de)
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