Homepage: „Zuwanderung als Chance“
Prof. Karin Weiss von der FH Potsdam ist seit Jahresbeginn Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg
Stand:
Seit Beginn dieses Jahres hat das Land Brandenburg eine neue Integrationsbeauftragte. Karin Weiss trat die Nachfolge von Almuth Berger an, die seit der politischen Wende Ausländerbeauftragte war. Mit der 55-jährigen Professorin für Sozialpädagogik übernimmt eine Wissenschaftlerin das Ruder, die einst in Israel promovierte, an der Freien Universität Berlin wirkte, seit Anfang der 90er Jahre an der Fachhochschule Potsdam lehrte und parallel dazu über Jugendfragen, Flüchtlingsprobleme und Zuwanderung in die neuen Bundesländer forschte.
Frau Weiss, nur wenige Professoren verlassen freiwillig ihren Lehrstuhl, um sich ganz anders gearteten öffentlichen Aufgaben zuzuwenden. Ist Ihnen das akademische Dasein zu grau geworden?
Nein, falsch geraten. Ich habe Forschung immer mit großem Interesse betrieben, und ich möchte auch im neuen Amt der Wissenschaft nicht ganz den Rücken kehren. Im Mindesten will ich Forschung fördern, weil ich sie für sehr wichtig halte, gerade auch was soziale Entwicklungen und Zuwanderungsfragen betrifft.
Verstehen Sie sich im neuen Amt als Mittlerin zwischen Sozialwissenschaften und Politik?
Praxisbezüge waren mir als Wissenschaftlerin sehr wichtig, ob es nun um Bildungserfolge von jungen Menschen, alleinreisende Flüchtlingskinder oder die Selbstorganisation von Zuwanderern ging. Insofern sehe ich mich tatsächlich ein Stück weit als Mittlerin zwischen Theorie und Praxis. Sozialwissenschaftliche Forschung muss nicht immer den direkten Weg zu Politik und Gesellschaft suchen, das ist auch klar. Wenn es mir und meinen Kollegen aber gelingen sollte, ein paar empirische Erkenntnisse handlungsrelevant in die Brandenburgische Integrationspolitik einzubringen, dann denke ich, haben wir schon einiges gewonnen.
Ende der 90er Jahre waren Sie maßgeblich an dem deutsch-israelischen Forschungsprojekt „Democratic Development? East German, Israeli and Palestinian Adolescents“ beteiligt. Was unterscheidet sich bei jugendlichen Ostdeutschen, Israelis und Palästinensern bei der Bereitschaft zur politischen Partizipation?
Die Studie liegt jetzt ein paar Jahre zurück, manches kann deshalb schon wieder überholt sein. Seinerzeit war ein zentrales Ergebnis, dass sich die israelischen Jugendlichen vom Demokratieverständnis her, und auch von der Bereitschaft, sich politisch zu engagieren, am aktivsten zeigten. Man muss natürlich beachten, dass die jungen Leute in einem sehr unterschiedlichen Kontext aufgewachsen sind. In Israel ist der Alltag viel stärker von der Politik – die Sicherheitspolitik inbegriffen – geprägt als etwa hier in Deutschland. Man ist stärker von den Dingen betroffen, weshalb man sich wohl auch stärker einbringt und Veränderungen nach ganz eigenen Vorstellungen anstrebt.
Und auf der palästinensischen Seite?
Die palästinensische Situation stellt sich gegenüber der deutschen und der israelischen nochmals ganz anders dar, mit anderer Geschichte und anderen gesellschaftlichen Strukturen. Unser Projekt hat wichtige Anregungen dazu geliefert, wie in den jeweiligen Ländern politische Bildung für Jugendliche gestaltet werden könnte. Das sieht in Brandenburg natürlich anders aus als in der Westbank, und dies wiederum anders als in Tel Aviv.
In einer ihrer jüngsten Publikationen schreiben Sie, dass die ausländischen Kinder im Land Brandenburg auf einen höheren Anteil an Gymnasialbesuchern kommen als die einheimische Bevölkerung. In der Tat ein überraschendes Ergebnis.
Generell erreichen ausländische Jugendliche – das heißt, diejenigen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit – in den ostdeutschen Bundesländern deutlich bessere Schulergebnisse als in den westdeutschen. Viele Zuwanderer in den neuen Ländern bringen von ihrem familiären Hintergrund und von der eigenen Biographie her hohe Bildungsansprüche mit, und die wollen sie auch der nächsten Generation vermitteln. Einer guten Ausbildung der Kinder wird hohe Priorität eingeräumt. Es macht sich aber auch bemerkbar, dass das Land Brandenburg einige richtungweisende Schulprojekte auf den Weg gebracht hat, grenzüberschreitende Schulprojekte – und auch dadurch verstärkt sich offensichtlich der Anteil ausländischer Jugendlicher, die dann bewusst die höheren Bildungswege einschlagen und dort auch sehr erfolgreich abschließen.
Ist das Gefälle bei der Abiturquote jugendlicher Ausländer innerhalb Ostdeutschlands damit schon hinreichend erklärt?
Nein, sicher nicht. Wir haben Hypothesen aufgestellt, worauf diese Unterschiede innerhalb Ostdeutschlands und auch zwischen Ost und West zurückgeführt werden können – unter anderem eben der familiäre Hintergrund, ethnische Besonderheiten und der unterschiedliche Anteil von Migrantenkindern in den Schulklassen in Ost- und Westdeutschland. Eine empirische Überprüfung dieser Hypothesen wäre der nächste Schritt, und das ist sicherlich ein sehr lohnender Forschungsauftrag.
Wo setzen Sie die inhaltlichen Schwerpunkte für Ihr erstes Jahr als Brandenburgs Integrationsbeauftragte?
Einwanderung wird häufig nur als Zusatzbelastung diskutiert, als Zuwanderung in die Sozialsysteme. Auch in Brandenburg wird dabei übersehen, dass die Immigration oft ungeahnte Chancen für die Aufnahmegesellschaft bietet. Die exzellenten Abschlüsse der ausländischen Jugendlichen sind nur ein Beleg dafür, dass das Land an Potenzial hinzugewinnt. Und wenn verschiedene Zuwanderungsgruppen schon aus ihren Herkunftsländern hohe Bildungsabschlüsse und berufliche Qualifikationen mitbringen – beispielsweise im naturwissenschaftlichen Bereich –, dann sind das weitere Chancen und Ressourcen. Dass Integration keine Einbahnstraße ist, haben wir nun schon zur Genüge gehört. Nun sind beide Seiten gefordert, und dafür will ich einiges tun.
Was muss noch geschehen?
Ein Anliegen ist mir die Förderung von Selbstorganisationen der Immigranten. Diese Selbstorganisationen haben eine ganz wichtige Mittler-Rolle zwischen dem individuellen Zuwanderer und der Gesellschaft. Dringend vorangebracht werden muss auch die Integration am Arbeitsmarkt, das heißt in Brandenburg nicht zuletzt auch verstärkte Förderung von Existenzgründungen. Es gibt hier schon eine ganz respektable Zahl von Existenzgründungen durch Zuwanderer, logischerweise als ein Ergebnis der hiesigen Arbeitsmarktsituation. In dieser Hinsicht kann und muss noch mehr passieren. Und außerdem ganz wichtig: die Umsetzung des Antidiskriminierungsgesetzes, gerade hinsichtlich der Merkmale ethnischer Hintergrund und Religion. Das Gesetz ist ja noch recht neu, aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass es sich in der Praxis bewähren muss.
Das Gespräch führte Axel Grünfeld
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