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Homepage: Zwei Biliner in Potsdam
Wie sich an der Pädagogischen Hochschule Potsdam einst zwei Studenten trafen, die beide aus derselben Stadt in Böhmen stammten – und dann doch ganz unterschiedliche Wege gingen. Von Josef Drabek
Stand:
Josef Drabek, 1939 in Böhmen geboren, studierte von 1958 bis 1962 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, dem Vorläufer der heutigen Potsdamer Universität. Das Studium schloss er als Fachlehrer für Deutsch und Geschichte ab. Derzeit schreibt Drabek seine Erinnerungen „Von Böhmen nach Brandenburg. Wege zwischen Weltkrieg und Wende“ auf, deren erster und zweiter Teil vorliegt. Der dritte Teil zu Brandenburg beginnt mit der Studienzeit, Auszüge daraus erscheinen in den kommenden Monaten in den PNN.
Im Studentenheim in der Forststraße 44-46 angekommen (siehe PNN 11.04.2014), entdeckte ich am Schwarzen Brett eine Liste mit den Namen der Neuankömmlinge. Hinter jedem Namen stand unter anderem auch der Geburtsort. Ganz überrascht entdeckte ich meinen böhmischen Heimtort Bilin (heute: Bílina) noch bei einem anderen Studenten. Seine Großeltern mütterlicherseits waren Schulwarte im Knabenteil der Biliner Bürgerschule – meine Eltern im Mädchenteil. Sehr wahrscheinlich sind wir uns dort während des Krieges also über den Weg gelaufen. Einmal sprach ich unsere gemeinsame Herkunft an. Dann aber nie wieder, denn in der DDR galt seinerzeit jemand, der sich zu seiner Vertriebenen-Biografie bekannte, schnell als Revanchist.
Jedenfalls lebten nun zwei Ex-Biliner vier Jahre unter gleichen Umständen in Potsdam. Noch ein weiterer Zufall kam hinzu: Potsdam war wie auch Bilin urkundlich ebenfalls im Jahre 993 erstmals erwähnt worden. Nach Bilin war auch Alexander von Humboldt gereist, um den Borschen, den größten Klingsteinfelsen Mitteleuropas, zu besteigen. Von dort brachte er dem Preußenkönig Schriften über den Sauerbrunnen mit, einem gesundheitsfördernden alkalischen Säuerling, für die sich Friedrich Wilhelm III. beim „Vater der böhmischen Balneologie“ mit einem persönlichen Schreiben bedankte. Und der mit Potsdam verbundene Theodor Fontane erwähnt jenen Heiltrunk im Roman „Effi Briest“, dessen Hauptgestalt sich eine Flasche Biliner Wasser bringen ließ.
Mein Biliner Kommilitone gehörte zur Seminargruppe Geschichte/Germanistik, deren männliche Mitglieder fast alle ebenfalls im Studentwohnheim Forststraße wohnten. Sie fielen durch stramme Haltung auf. Einer erschien am ersten Tag in NVA-Uniform und versetzte sein Bettzeug in einen militärisch mustergültigen Zustand. Über den Reserveoffizier witzelte ein Mitbewohner, dass er nur dann ins Theater ginge, wenn dort Panzer auf der Bühne führen. Wir hatten zu diesen Mitstudenten ein eher distanziertes Verhältnis und bezeichneten sie als Psychopathen, die uns wiederum staubige Germanisten nannten, obwohl sie im Zweitfach ebenfalls Germanistik studierten.
Unmittelbar nach Studienabschluss wurde der andere Biliner Erster Sekretär der FDJ-Hochschulgruppenleitung. Das wurde damit begründet, dass er das Staatsexamen mit „Gut“ abgeschlossen und erfolgreich an zwei Reservistenlehrgängen teilgenommen hat. Das hatten viele andere auch. Ausschlaggebend dürften seine vor Studienbeginn erfolgte Mitgliedschaft in der SED und damit verbundene Funktionen und Aktivitäten gewesen sein. Von da aus profilierte er sich wissenschaftlich auf dem Gebiet der neueren französischen Geschichte, brachte es zum Professor und Stellvertretenden Minister für Volksbildung. Eine solche Entwicklung ohne nennenswerte Schulpraxis war erstaunlich. Eigentlich sollten die Lehrer künftiger Lehrer mindestens drei Jahre in dem Berugf gearbeitet haben. Bei den besten Angehörigen des Lehrkörpers der Hochschule war das jedenfalls so. Sie konnten durch eigene Praxisbezüge überzeugen.
Mit seiner Entwicklung befand sich der Aufsteiger in gewissem Einklang mit seiner Chefin Margot Honecker, die im Unterschied zu ihm nicht einmal eine entsprechende Ausbildung absolviert hatte, weshalb sie unter der Lehrerschaft wenig geachtet war. Nach ihrem Rücktritt wurde der Stellvertreter amtierender Minister und spielte eine eher klägliche Rolle bei der Pressekonferenz zur Reformierung des Volksbildungswesens 1989, das entideologisiert werden sollte. Er war nun in einer schwierigen Position. Die westdeutsche Bildungsexpertin Hildegard Hamm-Brücher sagte später, dass im Osten zwar ein ideologisiertes Schulsystem bestanden habe, aber im Prinzip ein richtiges, das bis nach Finnland exportiert wurde. Das war auch unser Empfinden damals. Wir wollten in vier Jahren gute Lehrer werden. Meinen Potsdamer Kommilitonen aus Billin habe ich nach dem Studienende nie wieder gesehen.
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