zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Zwischen Krieg und Frieden

Im Nahen Osten eskaliert der Krieg � was bedeutet das f�r Menschen in Potsdam, deren Heimat der Libanon und Israel sind? Zwei Pal�stinenserinnen aus dem S�dlibanon und Israeli Ud Joffe sprechen �ber ihre Angst � und w�nschen sich Frieden

Stand:

Auf den ersten Blick k�nnten die beiden Frauen kaum verschiedener sein. W�hrend die 27 Jahre alte Janna Els ein schwarzes Kopftuch tr�gt und ihre Arme und Beine trotz der Hitze bedeckt h�lt, hat die zwei Jahre j�ngere Sirin El ein t�rkisfarbenes Top an und tr�gt gro�en Ohrschmuck aus violetten Glassteinen. Doch die jungen Pal�stinenserinnen sind Freundinnen. �Wir f�hlen uns schon deshalb sehr verbunden, weil wir aus der gleichen Stadt im S�dlibanon kommen�, sagt Sirin El. Ihre Heimatstadt Sour liegt unweit der Grenze zu Israel � und steht seit mehr als zwei Wochen unter Beschuss der israelischen Armee.

Janna Els ist vor einem Jahr nach Potsdam gekommen. Ihren richtigen Namen m�chte sie genauso wie ihre Freundin nicht in der Zeitung lesen � aus Angst vor juristischen und pers�nlichen Konsequenzen. Janna Els ist ihrem pal�stinensischen Mann nach Potsdam gefolgt, weil die Lebenssituation in der Heimat schon damals schlimm war, wie sie sagt. Heute herrscht dort Krieg. Ihre Freundin Sirin, die bereits seit elf Jahren in Potsdam lebt, �bersetzt f�r sie. �Ich habe schon seit einer Woche nichts mehr von meiner Familie geh�rt�, sagt Janna Els leise. �In unserem Viertel leben �berwiegend Pal�stinenser, die Sendemasten f�r Mobiltelefone sind bei den K�mpfen zerst�rt worden.� Festnetztelefone h�tten die Menschen dort ohnehin nicht, weil man ihnen keine Telefonleitungen lege, f�gt sie bitter hinzu. Nicht nur in Israel, sondern auch im Libanon seien Pal�stinenser von offizieller Seite unerw�nscht, so die junge Frau. �Seit unsere Familien aus der Stadt Akka in Pal�stina � dem heutigen Israel � vertrieben wurden, sind wir geduldete Ausl�nder im Libanon und werden wie Menschen zweiter Klasse behandelt.� Sirin El pflichtet ihr bei: �60 Prozent der Pal�stinenser im S�dlibanon sind arbeitslos und wenn ein Pal�stinenser im Krankenhaus nicht gleich bezahlen kann, lassen sie ihn sterben.� Sirin El war in den vergangenen elf Jahren allerdings nur zwei Wochen im S�dlibanon. �Freunde und Verwandte erz�hlen mir das alles�, sagt sie.

Die wichtigste Informationsquelle ist f�r die jungen Frauen zurzeit das arabische Satelliten-TV. Dort haben sie auch gesehen, wie die Israelis ihre Siedlung Raschidia bombardiert haben. Und andere Bilder: �Israelische Kinder haben auf Raketen geschrieben: ,Das ist f�r Euch von Kindern aus Israel��, erz�hlt Janna Els aufgew�hlt. An der Glaubw�rdigkeit dieser Bilder zweifelt sie nicht. W�hrend sie spricht, senkt sie oft den Blick. Nur ihre Freundin Sirin schaut sie direkt an. �Die einfachen Leute, egal ob Israelis oder Pal�stinenser, wollen Frieden�, ist sich Sirin El sicher. Es seien die politischen Machthaber, die den Konflikt immer wieder sch�rten. Die unschuldigen Opfer auf israelischer Seite tun ihr leid, �aber wenn dort zwei Menschen entf�hrt werden, sterben bei uns 100�, sagt sie. �Das ist ein unfairer Kampf.� Und ist es nicht auch unfair, wenn sich pal�stinensische Selbstmordattent�ter in Israel in die Luft sprengen? Es entsteht eine Pause. Die beiden sind unangenehm ber�hrt. �Damit haben wir doch aber nichts zu tun�, sagt Sirin El z�gerlich.

Nicht zu wissen, ob es ihren Eltern, den f�nf Schwestern und f�nf Br�dern in der Heimat gut geht, sagt Janna Els, mache es ihr nicht immer leicht, auch an die Leiden der Israelis zu denken. Die junge Frau bekommt bald ihr erstes Kind, f�r das sie sich ein besseres Leben w�nscht. �Wenn ich in Potsdam bleiben d�rfte, w�rde ich auch mit Israelis in einem Haus leben k�nnen�, sagt sie. �Im Koran steht, dass Moslems, Christen und Juden in Eintracht leben sollen. Danach m�chte ich leben.�

Obwohl der Ehemann von Janna Els eine Aufenthaltsgenehmigung hat, ist noch nicht gekl�rt, ob auch sie hier bleiben darf. Zurzeit gibt es jedoch in der Stadt einen m�glichen Abschiebestopp f�r Pal�stinenser aus dem S�dlibanon. �Es ist grotesk�, sagt Katrin B�hme von der Fl�chtlingsberatungsstelle des Diakonischen Werks in Potsdam. �Wenn der Konflikt nicht eskaliert w�re und sich der Libanon nicht weigern w�rde, Pal�stinenser zur�ck zu nehmen, h�tte man Janna Els wohl in diesen Wochen abgeschoben.�

Wenn Ud Joffe in der �ffentlichkeit steht, geht es normalerweise um Musik. Der 38-J�hrige Israeli ist seit neun Jahren musikalischer Leiter der Potsdamer Erl�sergemeinde. Zurzeit kreisen seine Gedanken jedoch haupts�chlich um die gewaltt�tigen Auseinandersetzungen in Nordisrael und im S�dlibanon. Dabei befindet sich Joffe in einem inneren Zwiespalt. �Wenn ich im Fernsehen sehe, wie die Menschen im S�dlibanon leiden, zerrei�t es mir das Herz. Ganz ohne ein Aber.� Gleichzeitig h�lt er den Kampf der israelischen Armee gegen die libanesische Hisbollah-Miliz f�r berechtigt. �Deren Ziel ist die Vernichtung des Staates Israel. Das k�nnen wir nicht zulassen.�

Nach au�en wirkt Joffe sehr besonnen. In den zehn Jahren, die er schon in Deutschland lebt, hat er eine gewisse Distanz zu dem Geschehen im Nahen Osten aufgebaut. �Wenn ich mit Freunden und Verwandten in Israel spreche, dann bringe ich den Blick von au�en mit�, sagt er. Joffe stammt aus der N�he von Tel Aviv im mittleren Teil Israels, der zurzeit nur indirekt durch die mehr als 300 000 Fl�chtlinge aus dem Norden des Landes betroffen ist. Fast jede Familie, die er kennt, habe inzwischen jemanden aufgenommen.

Joffes Gro�vater war 1936 vor der Judenverfolgung aus Lettland gefl�chtet, um in Israel mit seiner Familie ein neues Leben zu beginnen. Joffe selbst hat seine Kindheit dort als gl�cklich empfunden. Dennoch: An den ersten Bombenalarm erinnert er sich gut. Es war 1973 beim Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel, �gypten und Syrien. Joffe war damals sechs Jahre alt und musste sich mit seiner Familie mehrere Tage in einem unterirdischen Bunker verstecken. �Eigentlich ist ein Bunker ja nichts anderes als ein Keller. Aber w�hrend man ihn hier nutzt, um sein Fahrrad unterzustellen, musste er bei uns als Schutzraum leer bleiben.� Mit Schrecken erinnert er sich auch daran, wie sie zu Hause Gasmasken tragen und die Fenster mit Klebestreifen abdichten mussten � aus Angst vor chemischen Waffen.

Joffe wuchs mit dem Bild �vom b�sen Araber� auf, der ihn und seine Familie t�ten will. Auch heute verfolgen ihn diese �ngste noch manchmal. �Ich tr�ume dann, dass wir angegriffen werden und ich meine Familie retten muss�, erz�hlt er. �Sicher haben viele Pal�stinenser die gleichen Alptr�ume von den Israelis.� In seiner Schulzeit, erz�hlt Joffe, fanden oft Klassenfahrten ins Westjordanland statt, weil es dort viele historische j�dische St�tten gibt. �Wir haben in arabischen D�rfern gegessen und �bernachtet und ich habe gemerkt, dass es auch bei den Pal�stinensern viele gute Leute gibt�, sagt Joffe. An der Schule habe er dann Arabisch statt Franz�sisch als Fremdsprache gew�hlt und sp�ter im Musikstudium habe er Kurse f�r orientalische Musik belegt und mit seinen arabischen Lehrern Konzerte gegeben. Das habe ihm Hoffnung auf ein friedliches Miteinander gegeben. Aber im Hinterkopf sei die Angst vor Extremisten immer geblieben. �Wenn ich in Israel bin und mit dem Bus fahre, schaue ich unwillk�rlich, ob ein arabischer Mann frisch rasiert ist, weil Selbstmordattent�ter das machen, bevor sie in den Tod gehen�, erz�hlt Joffe.

Im Laufe der Jahre habe er auch umdenken m�ssen, sagt er. �Als ich aufgewachsen bin, war Israel noch eine territoriale Einheit. Und so konnte ich lange innerlich nicht akzeptieren, dass wir die Halbinsel Sinai an �gypten zur�ck geben mussten. Heute wei� ich: Sinai geh�rte nicht wirklich uns.� Sehr viel schwieriger sei die Situation jedoch mit dem Westjordanland, sagt er. �Wenn wir dieses Gebiet aufgeben, ist Israel an dieser Stelle nur noch 15 bis 30 Kilometer breit und nicht zu verteidigen�, sagt Joffe und zeichnet zur Erkl�rung eine kleine Landkarte. Solange es dort pal�stinensische Organisationen gebe, die Israel vernichten wollen, k�nne man dieses Risiko nicht eingehen. �Was mich sehr frustriert, ist das unfaire Spiel der Extremisten. Indem sie die Zivilbev�lkerung als Kanonenfutter nutzen, machen sie jedes Handeln unm�glich. Bek�mpft man sie nicht, so gewinnen sie an Einfluss, bek�mpft man sie, sind katastrophale Folgen f�r die Zivilbev�lkerung vorprogrammiert. Welchen Ausweg hat man?�

Joffe holt Luft und kommt gedanklich zur�ck in seinen Potsdamer Garten. Auf dem Rasen liegt �berall Spielzeug von seinen Kindern, der f�nfj�hrigen Noa und dem anderthalbj�hrigen Ben. �Hier im Frieden leben zu k�nnen ist ein gro�es Privileg�, sagt er, �auch wenn es mit den Opfern des Zweiten Weltkrieges teuer bezahlt wurde.� Dass man in Israel und im Libanon jetzt wieder so weit davon entfernt sei, mache ihn sehr traurig.

Zusammen mit seiner deutschen Frau und den Kindern wollte er im August seine Familie in Israel besuchen. Jetzt hat er die Fl�ge storniert. �Selbst wenn man in Tel Aviv relativ sicher ist�, sagt er, �ist es doch nicht die richtige Zeit, um dort Urlaub zu machen.�

Juliane Schoenherr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })