Kultur: „... keine Unanständigkeiten begehen“
Ein Blick in die Geschichte der Parkordnungen und ihrer Durchsetzung in den historischen Potsdamer Parkanlagen
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Mitte der fünfziger Jahre. In einem Frühsommer. Zwei Jungen, zehn Jahre alt, tollen über die Wiesen des Paradiesgartens. Fast keine Margerite ist vor ihnen sicher, auch kein Wiesenschaumkraut. Man reist sie aus der Erde, bindet sie zu einem großen Strauß. Eine junge Frau liegt auf der Wiese, genießt den Park an diesem sonnigen Nachmittag und lässt sich von den Jungen nicht stören. Plötzlich steht ein Mann mit Fahrrad vor den Zehnjährigen. Er entpuppt sich als Parkwächter, nimmt den Kindern unter Strafandrohungen die Blumensträuße weg und überreicht sie, ganz Kavalier, der jungen Frau. Die Jungen ziehen von dannen, die Frau hat die Paradiesgartenstille nun ganz für sich allein.
Unter den Aufsehern gab und gibt es ganz unterschiedliche. So mancher möchte als kleiner König auftrumpfen, andere drücken bei einem Mini-Vergehen schon mal ein Auge zu.
Ja, die Wächter und die Parkordnung. Das ist ein weites Feld. Solange es Gärten gibt, ist in ihnen Disziplin gefragt, in absolutistischen Anlagen, in Volksparks nicht minder. In den Gärten der Monarchen hatte man natürlich besonders strenge Regeln zu befolgen. Beispielsweise im Großen Garten in Dresden, der 1800 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Dort war das „Abbrechen von Zweigen, Blüthen oder Früchten der Bäume und anderen Gewächsen, das Beschmutzen, Beschreiben oder Bemalen der Gebäude, Statuen, Bänke verboten.“ Wurde ein Übeltäter vom Gartenaufseher ertappt, so kassierte er ein Strafgeld. Die Besuchsordnung für den Schwetzinger Schlossgarten aus dem Jahre 1787 sah vor, dass „allen Kindern beiderley Geschlechtes und unter zwölf Jahren der Zutritt in den Garten ohne Aufsicht ihrer Eltern oder einer sonstigen erwachsenen Person gänzlich verbotten ist. Alle Hunde von größerer und mittlerer Gattung dörfen weder allein noch unter Aufsicht des Eigenthümers in den Garten gelassen werden.“
Es ist nicht bekannt, ob das allgemeine Publikum die barocken Gartenanlagen in Potsdam, wie den Lustgarten am Stadtschloss, besuchen durfte. Eine strenge Parkordnung wurde 1741 von der Kriegs- und Domänenkammer Berlin für den Park Charlottenburg herausgegeben: „Nachdem bis anhero höchstmißfällig angemercket worden, in dem Königl. LustGartten zu Charlottenburg verschiedene Unordnungen vorgegangen, so daß alle gemeinen Leuthe hineingelassen werden, welche allerhand Unfug darinnen anrichten, absonderlich die Statuen beschädigen, und die Blumen abbrechen, überdem von denen Bäumen und Hecken die Zweige abreißen, als wird Jedermänniglich hiermit verwarnet, sich dessen zu enthalten, zugleich auch denen gemeinen Leuthen bekandt gemachet, daß wenn sich ein oder der andre dergl. unterstehn sollte, es sey Mannes oder Frauens Persohn, sie zu gewärttigen, daß sie sogleich in der dasigen Wache arretiert und zur empfindlichen Leibes-Straffe gefangen werden sollen, wornach ein jeder sich zu achten, und vor Schaden zu hüten hat.“
Solch gefährlichen Drohungen mussten für den im Mitte des 18. Jahrhunderts von König Friedrich dem Großen angelegte neue Park an seiner Sommerresidenz Sanssouci nicht ausgesprochen werden. Nur der König und sein Hof hatten nämlich das Recht, in ihm zu flanieren. Für das Bürgertum und für die Landbevölkerung war er tabu. Personen höheren Standes, die sich vorher beim Gartenaufseher angemeldet haben, wurde der Zutritt in den Park gewährt, aber nur, wenn der König nicht im Schloss weilte.
Aus den Akten ist bekannt, dass Schlosskastellane im 18. Jahrhundert darüber klagten, dass das „gemeine Publikum bei Abwesenheit des Königs im Winter wiederholt über den zugefrorenen Graben in den Garten eingedrungen sind und Holz entwendet hat.“
Johann Gottlob Schulze wurde nach dem Tod seines Schwiegervaters Heinrich Ludwig Manger Garteninspektor und Hofbaurat im Hofbauamt. Auch er musste sich mit dem Verfassen einer Parkordnung beschäftigen, denn im Jahre 1792, unter der Herrschaft König Friedrich Wilhelms II., wurde ein Bürgerrecht des freien Eintritts für den Park Sanssouci eingeräumt. Die Bürger hatten dabei wohl anständige Kleidung zu tragen. Und in der Parkordnung heißt es, dass ein jeder gewarnt werde auf „die Grasstücken oder in den Pflanzungen zu gehen ... keinen Taback zu rauchen, keine Hunde mitzubringen, keine blühenden Sträucher oder sonst etwas abzupflücken, und überhaupt keine Unanständigkeiten zu begehen, sondern sich so zu betragen, wie es sich in einem Königl. Garten gebührt ...“ Wie man einen Besucher im Jahre 1792, zudem einen hochrangigen aus Westfalen, am Eingang des Neuen Gartens behandelte, darüber gibt ein Bericht Auskunft: Reichsgraf Ludwig zu Bentheim-Steinfurt, ein großer Gartenliebhaber, und sein Begleiter, wollten den Garten am Heiligen See besichtigen, doch der Pförtner des Areals lehnte den Besuch ab, denn „falls er ihrem Wunsch entspreche, könne dies für alle Beteiligten Festungshaft in Spandau zur Folge haben.“ Überhaupt war der Neue Garten zur Zeit des „Bürgerkönigs“ Friedrich Wilhelms II. fest verschlossen. Das nährte den Verdacht, dass man die spiritistischen Sitzungen des Monarchen, die hier stattfanden, nicht stören sollte. Erst nach dessen Tod konnte der Park nach Anmeldungen besichtigt werden. So verfuhr man in allen königlichen Gärten. Die kronprinzlichen und prinzlichen Gärten waren sowieso nur ihren Besitzern vorbehalten, vor allem der Park Babelsberg. Auch sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm IV., erlaubte, dass die Anlagen nur bei seiner Abwesenheit besucht werden können. Natürlich durfte man „nur mit angemessenem Verhalten in den Gärten promenieren.“ Einige Gartenteile waren komplett gesperrt. Beispielsweise der Marlygarten. Man durfte in die Anlage nur nach Anmeldung beim Kastellan oder beim Gartendirektor Peter Joseph Lenné.
In der wilhelminischen Zeit stellte man Schilderhäuschen mit dem entsprechenden Wachpersonal an den Eingängen auf. Von ihm wurde ein Auswahl getroffen, wer den Garten betreten durfte. Jemand, der in ärmlicher Kleidung kam, wurde abgewiesen.
Um 1900 wurde nach und nach nicht mehr nach sozialen Gesichtspunkten unterschieden, denn der nun einsetzende Tourismus in Potsdam ließ eine Besucherauswahl kaum mehr zu. Nach 1918, nach der Abdankung Kaiser Wilhelms II., wurde der Andrang in den preußischen Schlössern und Gärten sehr groß. Die Parkordnung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts behielt weitgehend ihre Gültigkeit. Obwohl schon Garteninspektor Schulze Ende des 18. Jahrhunderts den Genuss von Tabak seitens der Gäste in den Parkanlagen beklagte, wurde seit den zwanziger Jahren in ihnen verstärkt geraucht, nicht nur von Männern.
Der Feuilletonist Victor Aubertin schrieb in den zwanziger Jahren: „Bemerkenswerterweise hat der Park nicht dadurch verloren, dass er aufgehört hat, ein königlicher Park zu sein, und ein bürgerlicher Park geworden ist. Es stehen die alten Verbotstafeln noch in Kraft; es ist streng verboten, Zigarren zu rauchen, auf die Wiese zu gehen, Blumen abzupflücken. Ja, ein neues Verbot kam hinzu: es ist verboten, Automobil zu fahren; und dieses Verbot ist zu begrüßen, dieweil hier früher etwas zu viel geautot und getutet worden ist.“ Doch wen entdeckt der Autor im Park: Prinz Eitel Friedrich. Der fährt in seinem Automobil spazieren. Und Aubertin: „Da bin ich auf die Wiese hinausgegangen, habe mir vor aller Welt eine Zigarre angesteckt und einen Strauß Grasnelken gepflückt.“
Von Juni 1946 bis Februar 1949 wurde Eintrittsgeld für den Besuch des Parkes Sanssouci erhoben. Heute wird um einen freiwilligen Eintritt gebeten. Und Parkwächter drehten nach wie vor ihre Runde, mal mehr, mal weniger. Manchmal hat man gedacht, es gäbe sie gar nicht mehr. Seit den vergangenen Wochen wird die bestehende Parkordnung von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg kräftig durchgesetzt, mit Verwarnungen und Bußgeldern. In allen Gartenanlagen.
Man möchte deutlich machen: Diese Kulturlandschaft ist geschützt, sie gehört zum Weltkulturerbe der Unesco. Auch der Babelsberger Park. Den hat man nämlich schon seit den frühen DDR-Zeiten als Volkspark angesehen. 1953 bis 1957 hat der Landschaftgestalter Walter Funcke Pläne angefertigt, in dem er ihn zu einem Jugend-, Kultur- und Sportpark umgestalten wollte. Doch fehlende Finanzen und der Mauerbau 1961 verhinderten dies. Ende der fünfziger Jahre hat die Ortsgruppe Babelsberg des DDR-Kulturbundes darauf hingewiesen, dass der Park in Babelsberg ein erschreckendes Bild der Vernachlässigung böte. Es würde ein unerlaubtes Befahren mit Fahrrädern und Autos hier geben, die Wiesen würden voller Papierfetzen sein, Trampelpfade eingerichtet. In der Parkordnung der Staatlichen Schlösser und Gärten hieß es unter anderen: Für den Volkssport stehen nur die Ballspielwiesen am Mühlentor zur Verfügung. Es ist nicht erlaubt, die Benutzung oder das Mitführen von Fahrzeugen, auch von Fahrrädern; Hunde sind an der kurzen Leine zu führen.
Doch bei Babelsbergern ist der Volkszorn entfacht. Man möchte den Park weitgehend so benutzen, wie man es von jeher gewohnt ist. Michael Rohde, Gartendirektor der Stiftung, sagt: „Der Babelsberger Park ist ein Kunstwerk. Und Kunstwerke sind in unserem Land durch Gesetze geschützt.“ Er räumt ein, dass mancher Zeitgenosse einen Landschaftspark eher als Landschaft ansehe, nicht als eine Tochter der bildenden Künste, wie etwa bei einem barocken Garten. Ein Landschaftspark, beispielsweise von Lenné oder Pückler–Muskau, ist instabil und fragil, in ihm müssen die Prinzipien der Gartenpflege unbedingt eingehalten werden.
Eine Parkanlage ist ein Museum ohne Dach, man kann sie nicht als Kulisse zu seinem Privatvergnügen nutzen, sei es als Picknickplatz oder für die Feier eines Kindergeburtstages. Niemand kommt auf die Idee im Neuen Palais oder in der Bildergalerie solche Feiern zu veranstalten. Den Kunstwerken im Inneren scheint man mehr Respekt zu zollen als einem historischen Landschaftsgarten. Doch Parkordnungen müssen sein.
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