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Kultur: Afrika ist mehr als Folklore

„Brückenbauer“ Moussa Sawadogo in der fabrik

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„Brückenbauer“ Moussa Sawadogo in der fabrik Jeder zimmert sich sein eigenes Weltbild zurecht. Für den Afrikaner Moussa Sawadogo stand fest, die Menschen in Deutschland sind genauso kalt wie das dortige Wetter. Außerdem gab es dort den Nationalsozialismus. Damit war sein „Deutschlatein“ am Ende. Für die Deutschen wiederum, so Moussas Erfahrung, bestehe Afrika nur aus Krieg, Hunger und Aids und vielleicht noch Folklore. Gegen dieses zurechtgestutzte Wissen will der patente junge Mann als Kulturbotschafter zu Felde ziehen. Sein eigenes Deutschlandbild wurde sehr schnell revidiert, als er vor einem halben Jahr nach Berlin heiratete. „Kalt ist es allerdings wirklich“, und so hat er schon ab und an Heimweh nach dem 5000 Kilometer entfernten heißen Afrika. Ganz besonders nach Burkina Faso, wo er seine Freunde zurückließ. Aber Moussa ist ein Globetrotter, findet sich schnell – auch sprachlich – in neue Welten hinein. Derzeit ist es die fabrik in Potsdam, die er als Praktikant „durchleuchtet“ und auf einen möglichen Brückenschlag nach Afrika abklopft. Im besten Deutsch erzählt er, was ihn besonders rasend macht: „Dass die Kultur Afrikas kaum wahrgenommen wird und wenn, dann immer nur auf die Folklore reduziert wird. Dabei haben wir in allen Bereichen – von der Bildenden Kunst, über die Musik bis zum Tanz ganz Zeitgenössisches entwickelt. Viele gute Künstler haben sich inzwischen einen Namen gemacht.“ Und er selbst möchte mit dafür sorgen, dass man sich auch in Europa davon ein Bild machen kann. Ein Blick auf das bevorstehende Afrikafest im Waschhaus erntet indes bei ihm ebenso wie der Umzug beim Karneval der Kulturen eher ein Stirnrunzeln. „Es ist mein Wunsch, dieses einseitige Bild zu revidieren“. Nicht umsonst habe er seine Diplomarbeit, die er an der heimischen Universität in Kunstgeschichte und Archäologie ablegte, zum Thema Zeitgenössischer Tanz in Burkina Faso geschrieben. „Die besondere Spezialität unseres Tanzes ist es, dass wir meistens Live-Musik auf der Bühne haben und es ein Zusammenspiel von Rhythmus und Bewegung gibt. Manchmal singen die Tänzer auch dazu. Und immer wird eine Geschichte erzählt.“ Obwohl sich der zeitgenössische Tanz erst vor etwa 15 Jahren auf den Weg machte, gebe es eine große Öffnung. „Viele sagen aber auch: Das ist nicht unser Tanz, sie verstehen nicht immer den Rhythmus.“ Allein in Burkina Faso existieren 60 Ethnien, und jede hat ihre eigene Tanzweise. „Bei uns wird man mit Tanz geboren. Der zeitgenössische Tanz kann sich also auch sehr gut bei diesem reichen Bewegungsvokabular bedienen, ohne sich darin zu versenken.“ Strikt wendet er sich dagegen, von dem afrikanischen zeitgenössischen Tanz zu reden. „Man spricht ja auch nicht vom europäischen zeitgenössischen Tanz. Diese Eingrenzung ist einfach nicht nötig.“ Eine große Anregung für die wenigen, aber sehr guten Companien seines Landes sei das aller zwei Jahre stattfindende Festival für zeitgenössischen Tanz in Madagaskar, wo Programme aus der ganzen Welt gezeigt werden. „Das Schöne daran ist, dass die Gewinner anschließend auf Großtournee gehen können.“ Eine gute Chance auch für afrikanische Gruppen. Auch angesichts des großen Problems der Finanzierung. „Es gibt nur wenige Studios, und die Tänzer müssen ihre Aufführungen selbst produzieren. Lange Zeit galt, dass Tanz keine Arbeit für Afrikaner ist, sondern etwas für Faulpelze. Inzwischen hat sich diese Einstellung etwas geändert.“ Moussa selbst ist an der Elfenbeinküste aufgewachsen. Seine Eltern waren sehr modern eingestellt und so ist er auch nicht mit den alten Tanzschritten der Vorfahren aufgewachsen. Neben seinem Studium hat er immer gearbeitet, in Museen, Tanzzentren und auf Festivals. „Ich war auch Theaterschauspieler. Aber besonders gern habe ich organisiert. Wir brauchen gute Verwalter im Kulturbereich und müssen den Boden bereiten, dass sich die Kultur entwickeln kann.“ Derzeit gebe es in dem 12-Millionen-Land Burkina Faso gerade einmal vier professionelle Kulturmanager. Moussa ist einer von ihnen. Das zweimonatige Praktikum in der fabrik sei für ihn besonders wichtig. „Ich glaube Burkina Faso braucht meine Erfahrung.“ Im September fliegt er in sein Land und organisiert wieder ein kleines Tanzfestival. Ein Stück Potsdam wird mit auf Reisen gehen. Doch soll seine Potsdamer „Lehre“ keine Einbahnstraße werden: Moussa hofft nicht nur, dass die fabrik-Tänzer nach Afrika kommen, er möchte auch die Companien seines Landes nach Potsdam bringen. Vielleicht schon zu den kommenden Tanztagen. Zum Abschied in der kommenden Woche legt er jedenfalls ein Exposé über den Tanz in Afrika vor. In der Hoffnung den fabrik-Leuten den Mund wässrig zu machen. „Unsere Generation muss ein anderes Bild von Afrika vermitteln.“ Und dazu braucht es Verbündete. H. Jäger

H. Jäger

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