
© Andreas Klaer
Von Heidi Jäger: Allein die Haltung
Der Bildhauer Philipp von Appen schuf die „Hörsche“ und will jetzt Don Quichotte zu Leibe rücken
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Die Gedanken sprudeln, doch die künstlerische Kreativität scheint im Moment versiegt. „Sie lässt sich auch nicht erzwingen“, sagt Philipp von Appen lakonisch. Da geht es ihm nicht anders, als seinem Helden Don Quichotte, den er nur allzu gern bildkünstlerisch „besiegen“ möchte. Er hat ihn bereits mannhaft und mit stolz erhobenem Haupt in Eisen verewigt. Doch der 55-jährige Bildhauer ist – anders als sein Hund Bruno, der sich ganz im Einvernehmen an den Fuß der vor dem Kunstwerk rastenden Rosinante kuschelt – mit dieser Darstellung unzufrieden. Seine Windmühlen, gegen die er kämpft, sind die Selbstzweifel. Noch ist ihm diese Cervantes-Figur, in der so viel Liebe zu den Menschen steckt, zu realistisch, zu dicht an der Natur. Der gebürtige Dresdner, der seit sieben Jahre in Potsdam lebt, ringt um den körperlichen Gestus, um die Verknappung.
„Warum machst Du immer wieder Torsi?“, wird er oft von seiner Mutter gefragt, von der er wie auch von seinem Vater die Bildhauerei erlernte. Seine Antwort ist klar: „Ich mag Formen ohne Details, ohne Mimik, ohne Hände. Allein die Haltung soll alles erklären, eine bestimmte Stimmung verkörpern.“
Dass sein Roter, Grauer und Goldener Hörsch für das kürzlich stattgefundene studentische Oh!-Ton Festival ganz deutlich dem wahren Hirschen nachempfunden war, entsprach nicht unbedingt seinem eigenen Anspruch. „Obwohl es schwer war, mich auf die realistischen Vorstellungen der Studenten einzulassen, war es aber auch kein richtiges Verbiegen. Es ist für Künstler durchaus interessant, sich mit anderen Gedanken auseinanderzusetzen.“ Außerdem sei es ihm um die ganze Atmosphäre des Festivals gegangen. „Ich habe den Organisatoren etwas geschenkt und sie mir. Ich konnte mich richtig in die Lesungen fallen lassen und es ist doch wunderbar, wenn man zum Gelingen eines so wunderbaren Ereignisses beitragen kann. Ich mache unbedingt wieder mit, wenn die Studenten der Fachhochschule es möchten. Egal in welcher Form.“
Auch wenn er über die gemeinsame Arbeit mit den Kindern des Offenen Kunstvereins spricht, mit denen er gerade an Insekten aus Schrott, Draht und Bauschaum werkelt, kommt Philipp von Appen ins Schwärmen. „Nicht, was am Ende dabei herauskommt ist entscheidend, sondern einfach das Tun. Manchmal habe ich das Gefühl, die Kinder fressen mich auf, aber ich liebe sie, vielleicht auch, weil ich keine eigenen habe.“
Schon bevor er nach Potsdam kam, hat der Künstler mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Das war noch auf seinem Hof bei Meißen, den er sich von der Erbschaft seines Großvaters, dem bei Brecht und Weigel arbeitenden Bühnenbildner Karl von Appen, ausbauen konnte. 20 Jahre hat er diesen Kunsthof betrieben, nachdem er zuvor zehn Jahre als Maschinen- und Anlagenmonteur in Schicht arbeitete und nur an den freien Tagen Zeit für Kunst hatte.
Zum gesellschaftlichen Umbruch kam nach 1989 sein privater. Er verließ das Sachsenland und tourte sieben Jahre mit einem Subaru-Kombi und Brunos Vorgänger durch Europa: Mal arbeitete er auf dem Bau, mal künstlerisch. „Ich lebte von der Hand in den Mund, aber es war wunderbar. Vor allem weil ich so viele Kontakte knüpfen konnte.“ Dann kam er nach Potsdam und half bei der ersten Schlossgrabung mit. „Ich lernte die Leute vom Kunstwerk kennen und sagte: ,Das ist es!’“ Etwas reisemüde geworden, ging er vor Anker. „Ich hatte auch gemerkt, dass ich Deutscher bin und nach all’ der Pasta, Pizza und Döner doch am liebsten Grützwurst mit Sauerkraut und Kartoffeln esse.“
Sein Einbruch kam zehn Jahre nach dem Aufbruch. Es war ihm nicht mehr möglich, von der Kunst zu leben. „Inzwischen bekomme ich Hartz IV und möchte unbedingt wieder raus. Man kommt sich so unbeholfen vor, wenn man in Abhängigkeit steckt.“ Trotzdem verkriecht sich der Bildhauer keineswegs in sein altes Fährhaus in Uetz. Jeden Tag macht er sich auf den Weg zur Arbeit, in sein Atelier. Die Kinder vom Kunstwerk, die ihm vor sieben Jahren Bruno schenkten und mit ihm groß geworden sind, schubsen ihren großen Freund und passen auf, dass er sich nicht in seinem kreativen Loch vergräbt. Philipp von Appen weiß, dass Blockaden für Künstler ganz normal sind. „Aber wenn es einen selbst erwischt, ist es schwer auszuhalten.“
Mit einem Augenzwinkern hat er derweil einen aufgeblasenen „Bodybuilder“ mit Hundekopf aus Beton gebaut, der sich nun neben Don Quichotte und einer blondmähnigen Hexe im Kunstwerk-Hof in illustrer Gesellschaft befindet. Gern würde er auch dem Heiligen Sebastian, der ihn schon als Kind faszinierte und verwirrte, dort einen Platz zuweisen. Aber auch der ist sein Sorgenkind. Für den mit Pfeilen durchbohrten, an einem Baum gefesselten Mann, der trotz Schmerzen lächelt, sucht der Bildhauer ebenfalls nach der „richtigen“ Form. „Meine ersten Versuche sind einfach zu naturalistisch. Ich möchte über meine eigenen Gefühle dahinter kommen, wie man selbst dastehen würde, wenn man so leidet.“ Ein Künstler müsse etwas tun, das einen Inhalt habe. „Aber oft gibt es Tage, wo man den Inhalt nicht findet. Dann sitze ich da, mache Entwürfe, die auch lustig sind, lasse mich treiben auf ein imaginäres Ziel zu.“ Und genau das möchte er finden. „Viele Leute lästern darüber, dass Künstler so schräg drauf sind. Aber darum geht es in der Kunst. Ich möchte die Menschen begreifen, wie sie in ihrer Seele funktionieren, und da ist die Bandbreite riesig. Jeder hat sein Geheimnis.“
Das herauszuschälen, bedeutet eine Versenkung ins Innere. Das Material, in das Philipp von Appen seine Fantasie und Kraft treibt, ist für ihn dabei zweitrangig. „Man muss für sich klären, ob man sich für die eigene Sprache entscheidet oder für die des Materials.“ Auch da hallt ein Spruch seiner Mutter in ihm nach: „Als Bildhauer darfst du nicht zulassen, dass du das tust, was das Material von dir will. Gibst du dem Material nach, bist du ein Kunsthandwerker.“
Und so verewigte er sich bereits in Sandstein, Marmor, Metall, Beton, Gips oder Holz. Für seine erste Arbeit in Stein erhielt er 1991 bei einem internationalen Bildhauersymposium in Rochlitz den 1. Preis. Er hatte offensichtlich zur richtigen Zeit die richtige Vision.
Derweil er nun mit sich hadert und versucht, den richtigen Gestus von Don Quichotte oder vom Heiligen Sebastian zu ergründen, legt Philipp von Appen die Hände keineswegs in den Schoß. Im Juli baut er in Potsdam einen Lehmofen für den Evangelischen Kinder- und Jugendkreis zum Brot- und Pizzabacken. Und auch die Insekten, die er mit den Kindern vom Offenen Kunstverein kreiert, wollen bald in ihre Ausstellung krabbeln. Zeit, sich selbst zu bemitleiden, bleibt also keine.
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